Von Kai Rebmann
Wenn sich die Justizminister der Länder am 4. Juni in Bad Schandau (Sachsen) treffen, wird aller Voraussicht nach Historisches beschlossen, so frohlocken Unterstützer. Oder aber die Büchse der Pandora geöffnet werden, wie Kritiker befürchten. Auf Antrag von Baden-Württemberg und Bayern soll auf der Konferenz folgender Vorschlag ganz oben auf der Tagesordnung stehen:
„Die Justizministerinnen und Justizminister sprechen sich im Hinblick auf die damit verbundene Möglichkeit einer weiteren Konkretisierung der Ermittlungsansätze dafür aus, die Zulässigkeit molekulargenetischer Untersuchungen von Spurenmaterial – auch zur Vermeidung von Grundrechtseingriffen gegen Unbescholtene, etwa durch Eingrenzung des Personenkreises bei Massengentests – auf das Merkmal der biogeografischen Herkunft des mutmaßlichen Täters für die Aufklärung schwerster Straftaten in Betracht zu ziehen. Sie bitten den Bundesminister der Justiz [Stefanie Hubig, SPD], gegebenenfalls im Benehmen mit dem Bundesminister des Inneren [Alexander Dobrindt, CSU], einen entsprechenden Regelungsvorschlag zu prüfen.“
Politik wacht in der Realität auf
Was in sehr verklausulierten Worten daherkommt, könnte zum echten Gamechanger in der Kriminaltechnik werden – aber Missbrauch auch Tür und Tor öffnen. Das liegt weniger im Auge des Betrachters, sondern wird ganz entscheidend von der künftigen Umsetzung abhängen. Denn dass die in diesem Vorschlag angestrebte Änderung des hierfür maßgeblichen Paragrafen 81a der Strafprozessordnung (StPO) kommen wird, gilt als sehr wahrscheinlich.
Im Klartext heißt das: Der Kreis von Tatverdächtigen im Zusammenhang mit „schwersten Straftaten“ kann aufgrund von DNA-Analysen nach einem ganz bestimmten Merkmal eingegrenzt werden – nämlich dem seiner geografischen Herkunft. Technisch möglich ist das schon seit einiger Zeit, nur erlaubt war und ist es bisher eben nicht. Die Folge war, das zum Beispiel nach einer Vergewaltigung hunderte oder gar tausende Männer mit einer Augen-, Haarfarbe oder eines bestimmten Alters zu einem mehr oder weniger freiwilligen Massengentest antanzen mussten.
Genau das wollen die Justizminister künftig scheinbar verhindern. Niemand soll sich mehr verdächtig machen, nur weil er etwa der Abgabe einer Speichelprobe widerspricht. So weit, so lobenswert! Andererseits drängt sich natürlich die Frage auf, weshalb dieses Instrument nicht schon viel länger genutzt wird und nicht zuletzt, weshalb es den Ermittlungsbehörden gerade jetzt an die Hand gegeben wird. Denn neu ist der Vorschlag keineswegs, einen entsprechenden Vorstoß gab es bereits vor sechs Jahren, der damals allerdings mit Pauken und Trompeten durchfiel.
Die Antwort scheint klar, zumindest auf den ersten Blick: Selbst die Politik kann und will offenbar nicht mehr leugnen, dass insbesondere bei „schwersten Straftaten“ die Verdächtigen ganz bestimmten Herkunftsregionen zuzuordnen sind, die nicht selten außerhalb von Deutschland oder auch Europa zu verorten sind. Wird an einem Tatort künftig eine DNA-Spur gefunden und liefert deren biogeografische Analyse den Nachweis, dass der mutmaßliche Täter nicht aus Deutschland, sondern – zum Beispiel – aus Afrika oder von der Arabischen Halbinsel stammt, so bringt das der Polizei einen sicherlich nicht unwichtigen Erkenntnisgewinn. Und dieses Detail ist wichtig, das neue Instrument kann lediglich eine Aussage über die Herkunft bzw. Abstammung des Trägers einer DNA-Spur liefern – nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Täter gefasst – und dann?
Doch was passiert danach? Was passiert, sobald der Täter überführt, gefasst, inhaftiert und vor Gericht gestellt wird? Denn schon bei der Inhaftierung, gegebenenfalls auch U-Haft, gerät die Argumentationskette der Unterstützer arg ins Stottern, wenn Vergewaltiger und Totschläger regelmäßig nur wenige Stunden nach ihrer Ergreifung wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Oder von Gerichten und Gutachtern „schuldunfähig“ erklärt werden, etwa aufgrund traumatischer Erlebnisse während ihrer Flucht, die sie in nicht wenigen Fällen durch ein halbes Dutzend sicherer EU-Länder nach Deutschland geführt hat.
Spätestens in diesem Licht betrachtet, erscheint Kritik an der angedachten Reform der Strafprozessordnung angebracht. Denn was bringt es, wenn Täter dank der biogeografischen DNA-Analyse zwar schneller oder überhaupt erst überführt und ergriffen werden können – dann aber von Gerichten freigesprochen oder von Politik und Medien im Zuge der ebenfalls regelmäßig betriebenen Täter-Opfer-Umkehr reingewaschen werden?
Ein wenig erinnert das Ganze an die vielerorts eingeführten Messerverbotszonen. Diese werden keinen einzigen Messerangriff verhindern, wie erst am Freitag der Messer-Terror am Hamburger Hauptbahnhof – einer „Messerverbotszone“ – mit mindestens 12 teils lebensgefährlich Verletzten gezeigt hat. Sie geben der Polizei aber gleichwohl die Möglichkeit, alles und jeden zu kontrollieren, einen konkreten Verdacht oder sonstigen Anlass braucht es dazu nicht mehr. Dieses Gefühl der Macht in den Händen eines fragwürdigen Charakters kann Willkür Tür und Tor öffnen, wie leidvolle Erfahrungen mit der Blockwart-Mentalität während der Corona-Jahre schon gezeigt haben.
Und genau diese Gefahr birgt auch der aktuelle Vorschlag der Justizminister aus Bayern und Baden-Württemberg. So notwendig dieses Instrument in Zeiten wie diesen erscheint, so unabsehbar ist das, was daraus entstehen kann. Das Fachportal „LTO“ zitiert eine Stellungnahme des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, in der es unter anderem heißt: „Bei dem Ergebnis ‘europäisch’ ist in Deutschland der Personenkreis in der Regel zu groß, um nützlich zu sein. Gleichzeitig ist das Merkmal kontinentaler Herkunft ein sehr vages Merkmal: Ganze Communities würden damit unter Pauschalverdacht gestellt. Bei einer Kommunikation an die Presse könnte dies erst recht rassistische Hetze nach sich ziehen.“
Eine Kollegin aus dem Team Reitschuster brachte ihre Bedenken sehr treffend auf den Punkt, als sie dazu meinte: „Es könnte unser Menschenbild verändern. Wer den Menschen genetisch beschreibt, beginnt, Herkunft und Aussehen erneut kriminalistisch aufzuladen. So offensichtlich die aktuellen Entwicklungen in Deutschland sind, birgt es dennoch ein hohes Risiko.“
Merz taumelt ins Kanzleramt – aber um welchen Preis? Das wahre Drama hinter dem zweiten Wahlgang
Geheim-Urteil gegen die AfD: Der Staat brandmarkt – aber die Begründung dafür verrät er uns nicht
CDU unterschreibt ihr Ende – Koalitionsvertrag macht sie endgültig zu rot-grünem Erfüllungsgehilfen
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: Screenshot Youtube
Bitte beachten Sie die aktualisierten Kommentar-Regeln – nachzulesen hier. Insbesondere bitte ich darum, sachlich und zum jeweiligen Thema zu schreiben, und die Kommentarfunktion nicht für Pöbeleien gegen die Kommentar-Regeln zu missbrauchen. Solche Kommentare müssen wir leider löschen – um die Kommentarfunktion für die 99,9 Prozent konstruktiven Kommentatoren offen zu halten.
Mehr von Kai Rebmann auf reitschuster.de

Messerverbote: Warum die Faeser-Pläne nur fürs Schaufenster taugen
Züge und Bahnhöfe werden in Deutschland immer mehr zu Angsträumen. Der Ruf nach „anlasslosen Kontrollen“ und strengeren Waffengesetzen wird lauter, entpuppt sich jedoch schnell als politische Nebelkerze der Innenministerin. Von Kai Rebmann.

„Haben Grund zu großer Wachsamkeit und konsequentem Handeln“
Mit markigen Worten will uns die Ministerin einen starken Rechtsstaat vorgaukeln, demonstriert in Wahrheit aber genau das Gegenteil. Dazu zeigen neue Zahlen aus Berlin: die Hemmschwelle von Messerangreifern sinkt immer weiter. Von Kai Rebmann.

Mohamed S.: Freigang für Messer-Mörder und viele offene Fragen
Er schlachtete sein Opfer mit 111 Messerstichen regelrecht ab und enthauptete es schließlich noch. Trotzdem kam ein Somalier in den Genuss von Erleichterungen, von denen Steuerhinterzieher nur träumen können. Von Kai Rebmann.

150.000 offene Haftbefehle: Wenn Justizversagen zur tödlichen Gefahr wird
Ein Familienvater aus Berlin könnte wohl noch leben – wenn gegen Gewaltkriminelle ähnlich hart vorgegangen würde wie gegen Andersdenkende. Aktuelle Zahlen führen die Floskel von der „vollen Härte des Rechtsstaats“ ad absurdum. Von Kai Rebmann.

Rechtsstaat ad absurdum: Polizist in Lebensgefahr, Täter auf freiem Fuß
Innerhalb weniger Tage kommt es zu zwei Übergriffen auf Beamte. Gewerkschafter fordern „sofortiges“ Handeln, doch Politik und Justiz zeigen sich macht- und zahnlos. Und die Medien kehren die wahren Hintergründe allzu oft unter den Teppich. Von Kai Rebmann.