Die Europäische Zentralbank (EZB) treibt das Projekt „Digitaler Euro“ weiter voran. Auf einer Interaktionsplattform sucht man nun den Dialog mit Banken, Start-ups, Fintechs und Händlern. Was als offener Diskurs verkauft werden soll, ist in Wahrheit kalkulierte Camouflage.
von Thomas Kolbe
Während sich der wirtschaftspolitische Diskurs auf den Handelskonflikt mit den USA verlagert hat, ist es still geworden um den digitalen Euro (CBDC). Dabei hat die Europäische Zentralbank kürzlich eine Interaktionsplattform online gestellt, auf der Händler und Zahlungsdienstleister ihre Meinung zum neuen Zahlungssystem äußern können.
Etwa 70 vorab ausgewählte Marktteilnehmer sollen das „Ökosystem“ des Digitaleuro im konkreten Anwendungsfall testen und Probleme identifizieren. Die Plattform ermöglicht die Erprobung neuer Zahlungsdienste wie bedingte Zahlungen oder die Integration digitaler Wallets in Postfilialen. Den Befürwortern des Projekts geht es um eine Modernisierung des Zahlungssystems, das auch denen Zugang zum Finanzsystem gewähren soll, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation derzeit ausgeschlossen sind.
Allerdings trifft dies zum größten Teil auf Menschen in den ärmeren Regionen der Welt zu – hier ist der Nutzen einer digitalen Zahlungsinfrastruktur, wie sie Stablecoins bieten, in der Regel in US-Dollar nominiert, offensichtlich. Die Frage lautet, ob wir so etwas für die Eurozone in Betracht ziehen sollten? Entspricht das chinesische Modell des digitalen Yuan wirklich unseren Vorstellungen, die Nutzen, Effizienz, Sicherheit, aber eben auch individuelle Souveränität in ein sinnvolles Gleichgewicht bringen sollen?
Was ist der digitale Euro?
Der digitale Euro wäre eine kleine Revolution und führte zu einer vollständig zentralisierten Form von Zentralbankgeld. In tokenisierter Form ließe er sich technisch programmieren und kontrollieren – jede Geldeinheit könnte mit Bedingungen versehen, jede Transaktion zentral gesteuert werden. Die EZB wäre dann die alleinige Herausgeberin und Betreiberin zentraler Wallets und der gesamten Konteninfrastruktur.
Das wirft die Frage nach der Zukunft der Geschäftsbanken auf. Sie könnten allenfalls noch als Distributionskanäle fungieren – ihre klassische Rolle als Intermediäre des Zahlungsverkehrs würde damit faktisch entfallen. Das Kreditgeschäft wanderte dann in die Hände eines weitgehend autonom operierenden Zentralkörpers, der, und da muss man keine Vogelschau betreiben, mit der Zielmatrix der Europäischen Union synchronisiert würde.
Nach eigenem Bekunden ist es das Ziel der EZB, den digitalen Euro als „sicheres, gebührenfreies und datenschutzfreundliches Zahlungsmittel“ zu entwickeln, das, so kolportiert man in Frankfurt, die Nutzung von Bargeld lediglich ergänzen soll. Beteuerungen dieser Art aus dem Umfeld der EZB sind nichts Neues und so sollte man die Freischaltung der Interaktionsplattform als mediale Charmeoffensive interpretieren.
Oder besser: Man kann sie als eine Art Transparenzsimulation verstehen, die über die eigentlichen Probleme dieser Technologie hinwegtäuschen soll. Teilnehmer sind vorselektierte Dienstleister, deren Know-How für das Systemdesign und die prozessualen Abläufe unverzichtbar ist. Der unmittelbare Angriff auf die monetäre Souveränität des Individuums oder die Trennung von Staat und Geldsystem werden auf der Plattform nicht weiter thematisiert. Als Volksentscheidung über die Zukunft des Bargelds in der Eurozone scheint abwegiger denn je.
Der Stand der Dinge
Seit November 2023 befindet sich die Europäische Zentralbank in einer zweijährigen Vorbereitungsphase. Bis Oktober oder November dieses Jahres sollen technische Grundlagen, Datenschutzanforderungen und erste Tests abgeschlossen sein. Die kürzlich gestartete Interaktionsplattform, auf der sich Bürger, Händler und Zahlungsdienstleister beteiligen können, ist Teil dieses Prozesses. Technisch orientiert sich die EZB erkennbar an bestehenden Stablecoin-Modellen, bei denen Transaktionen schnell, sicher und gebührenfrei ablaufen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte im März eine Einführung des digitalen Euro bereits für Oktober 2025 in Aussicht gestellt.
Doch wie so oft bei groß angelegten EU-Projekten wirkt dieser Zeitplan überambitioniert und aus dem Moment der Hektik heraus geboren. Die Herausforderung liegt nicht nur in der technischen Komplexität – täglich werden Milliarden Transaktionen über bestehende Systeme abgewickelt –, sondern auch im sensiblen Zusammenspiel zwischen Zentralbank, Geschäftsbanken, Handel und Verbrauchern. Der Umbau gleicht dem Versuch, einen Monolithen mit bloßer Hand zu bewegen: gewaltig, träge, riskant.
Hinzu kommt: Die Sicherheitsarchitektur des digitalen Euro bleibt bislang weitgehend im Dunkeln. Angesichts der realen Gefahr gezielter Angriffe aus der internationalen Hackerszene ist diese Zurückhaltung bemerkenswert – reale Gefahren werden, genauso wie fundamental-systemische Kritik, ausgeblendet.
Der Leviathan – Gedanken zum Hintergrund des CBDC
Der digitale Euro ist kein neutrales Zahlungsmittel. Er ist ein Machtinstrument. Die EZB positioniert sich nicht mehr nur als Zentralbank, sondern als zentrale technologische Infrastrukturbetreiberin für den Zahlungsverkehr in Europa. Erstmals hätte sie direkten Zugriff auf die gesamte monetäre Infrastruktur der Eurozone – von den Zahlungsströmen über die Kontenführung bis hin zur potenziellen Steuerung einzelner Geldeinheiten. Der digitale Euro würde der EZB nicht nur mehr Einblick in das Finanzgeschehen, sondern auch weitreichende Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten über das Finanzsystem verschaffen – mit weitreichenden politischen und gesellschaftlichen Implikationen.
Als weitgehend autonom agierende Instanz entzieht sich die Europäische Zentralbank seit ihrer Gründung jeder demokratischen Kontrolle. Schon während der vergangenen Staatsschuldenkrise vor 15 Jahren gelang es ihr, realpolitische Kompetenzen massiv auszuweiten, indem sie in großem Umfang Staatsanleihen aufkaufte und damit faktisch begann, Staatsverschuldung zu monetarisieren. Die geplante Einführung eines digitalen Euro würde diese unmittelbare Macht weiter zementieren – mit potenziell tiefgreifenden Folgen für das Gleichgewicht zwischen monetärer Souveränität, fiskalischer Verantwortung und demokratischer Legitimation.
Weshalb der Zeitdruck?
Vor diesem Hintergrund drängt sich eine zentrale Frage auf: Aus welchem Grund forciert die EZB gerade jetzt die Einführung eines digitalen Euro? Die Eurozone steckt seit geraumer Zeit in einer strukturellen Wirtschafts- und Schuldenkrise. Deutschlands Wirtschaft, traditionell der Stabilitätsanker der EU, befindet sich im dritten Jahr einer hartnäckigen Rezession. Gleichzeitig haben in Südeuropa viele Staaten die Kontrolle über ihre Staatsverschuldung längst verloren.
Inmitten dieser fragilen Lage erhöht die EZB den Druck auf die Umsetzung des digitalen Zentralbankgeldes – ein Schritt, der nicht nur technokratisch motiviert ist, sondern tief in die Architektur des europäischen Finanzsystems eingreifen soll. Frankreich mit einer Staatsverschuldung von 120, Italien von 140 Prozent werden sich nicht mehr ohne massive geldpolitische Interventionen aus der Schuldenspirale befreien können – die EZB ist in den Hauptstädten der Eurozone als „Lender of Last Resort“, als letzter Kreditgeber, fest eingeplant.
Massive Kreditinjektionen sowie Zinskurvenkontrolle scheinen der einzige Ausweg aus diesem Dilemma zu sein. Ein Staatsbankrott ist keine Option, da er das Aus der gesamten Eurozone bedeuten würde. Die Griechenland-Krise lässt grüßen. Allerdings hat sich der Schuldenberg in der Eurozone auf 95 Prozent weiter aufgetürmt.
Ihn im Falle einer Schuldenkrise unter Kontrolle zu bringen, dürfte wesentlich komplizierter sein. Die erforderliche Ausweitung der Kreditbasis zur Rettung überschuldeter Staaten wäre so massiv, dass Investoren die Stabilität der Währung infrage stellen würden. In einem solchen Szenario wäre der digitale Euro nicht ein neutrales Zahlungsmittel, sondern ein Werkzeug zur Marktabschottung – mit programmierbaren Transaktionen, die eine einsetzende Kapitalflucht im Keim ersticken.
Der digitale Euro mutiert so zum elektronischen Schlossriegel: Die EZB schließt die Zugbrücken des Kastells EU, um eine Flucht aus dem System und damit den Kollaps des Euro zu vereiteln.
Konsequenzen und Ausblick
Was man im Frankfurter EZB-Tower offensichtlich unterschätzt, ist die Geschwindigkeit, mit der sich mobiles Kapital heute bewegt. Es ist zu erwarten, dass sich die bereits einsetzende Kapitalflucht aus der Eurozone drastisch beschleunigt – genau in dem Moment, in dem an den europäischen Finanzplätzen das Gerücht die Runde macht, die EZB wolle mit Hilfe eines digitalen Euro die Tore schließen. Angesichts der politischen Bewegung in den Vereinigten Staaten gegen den CBDC und der klaren Ablehnung dieser Technologie durch die Federal Reserve, besteht die Gefahr, dass sich Europa, insbesondere die Eurozone, durch den Vorstoß der EZB isoliert.
Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, die derzeit auf Deregulierung und marktwirtschaftliche Ordnungspolitik setzen, wirkt der Euro-CBDC wie ein digitales Panoptikum: Eine zentrale Machtinstanz, die alles überwacht, steuert und sich diskretionäre Eingriffe im Einzelfalle vorbehält. Ein intransparentes Monstrum, das die Souveränität des Bürgers unmittelbar bedroht.
Mit dem digitalen Euro plant die EZB nicht nur die Schaffung eines neuen Zahlungsmittels. Wir erleben den Versuch, die Art und Weise, wie wir mit Geld umgehen, auf radikale Weise zu verändern. Was als bequeme, bargeldlose Zahlungsmöglichkeit angepreist wird, könnte sich als Trojanisches Pferd für eine tiefgreifende Kontrolle des Finanzsystems und des einzelnen Bürgers herausstellen. Leider bietet die neue Interaktionsplattform nicht die Möglichkeit, diese Gedanken detailliert darzustellen.
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