Was früher der Stammtisch war, ist heute die Chatgruppe. Was früher im Wohnzimmer gesagt wurde, steht heute in einer WhatsApp-Nachricht. Doch so verschieden die Formate, so klar war bisher der Grundsatz: Das Private ist privat. Und es geht den Staat nichts an.
Dieser Grundsatz wankt.
SPD und Union planen, den Paragrafen 130 Strafgesetzbuch – die sogenannte Volksverhetzung – auszuweiten. Erfasst werden sollen künftig auch Äußerungen in „nicht-öffentlichen Gruppen“. Was das konkret bedeutet, ist noch offen – aber es könnte auch Chatgruppen betreffen, digitale Stammtischrunden oder Zoom-Gespräche mit mehreren Teilnehmern. Was bislang nur im öffentlichen Raum galt, wird damit zum ersten Mal auf das „erweiterte Private“ ausgedehnt.
Das ist ein Einschnitt.
Denn die Grenze zwischen öffentlich und privat war nie bloß eine Formalie – sie war ein zivilisatorischer Schutzraum. Dass jemand im Freundeskreis Dummheiten redet oder sich zu drastischen Formulierungen hinreißen lässt, galt als unschön, aber nicht als staatsrelevant. Diese Trennung schützte nicht nur vor staatlicher Willkür – sie schützte auch vor einer Gesellschaft, die sich gegenseitig denunziert.
Nun beginnt diese Trennung zu bröckeln.
Man muss weder Sympathie für drastische Aussagen hegen noch menschenverachtende Tiraden verharmlosen, um hier alle Alarmglocken schrillen zu hören. Der Gedanke, dass Äußerungen im privaten Raum strafrechtlich relevant werden, birgt politischen Sprengstoff. Denn sobald das Strafrecht in den Halb-Privatbereich vordringt, sind die Grenzen nicht mehr klar. Wer garantiert, dass morgen nicht auch vertrauliche Gespräche unter vier Augen verfolgt werden? Oder das, was Alexa mithört? Oder was Ihr Telefon nachts im Schlafzimmer aufzeichnet?
Die Technik ist bereit. Es fehlte bislang nur der gesetzliche Hebel.
Und dieser Hebel wird nun angesetzt – mit dem Argument, man müsse verhindern, dass sich Hass in der Gesellschaft ausbreitet. So als ob den Staat unsere Gefühle irgendetwas angingen. Denn Hass ist ein Gefühl.
Ein Staat, der Gefühle kriminalisiert, ist totalitär. Umso mehr, wenn er diese auch im „erweiterten Privaten“ tun. Er sät damit Misstrauen, Angst und Kälte. Er entzieht dem Menschen den letzten Rückzugsraum. Nicht weil dieser Rückzugsraum ideal oder moralisch rein wäre – sondern weil er notwendig ist. Für eine freie Gesellschaft. Für das Recht, auch einmal Unsinn zu reden. Für die Chance, sich zu korrigieren, bevor es öffentlich wird.
Ein totalitärer Staat interessiert sich nicht dafür, was jemand tut – sondern dafür, was jemand denkt. Und was jemand sagt, selbst dann, wenn es niemand hört. Wer beginnt, dieses Denken zu bestrafen, öffnet die Büchse der Pandora. Dass ausgerechnet die Union, einst Garant bürgerlicher Freiheitsrechte, solche linken Kontrollmethoden unterstützt, zeigt, wie tief der Wandel bereits reicht.
Es geht nicht um Schutz. Es geht um Kontrolle. Und wir sind auf dem Weg in den totalitären Staat schon viel weiter vorangeschritten, als wir es uns noch vor Kurzem hätten vorstellen können.
Die letzten Dämme beginnen zu brechen.
Der Gedanke an Freiheit – er wird bald nur noch eine Erinnerung sein.
P.S. Wie tief die staatliche Sprachlenkung bereits wirkt, habe ich bei der Arbeit an diesem Text selbst gespürt. In einem frühen Entwurf schrieb ich ganz selbstverständlich von „Hass“ und „Hetze“ – bis ich innehielt. „Hass“ ist eine Emotion. Ob jemand hasst, liebt oder Gleichgültigkeit empfindet, ist seine Sache – nicht die des Staates. Und „Hetze“? Ein Begriff aus dem Vokabular der Nationalsozialisten, später von der DDR übernommen, nun wieder salonfähig gemacht – maßgeblich unter Angela Merkel. Dass sich solche Worte selbst in meinen Texten einschleichen, obwohl ich ihre Geschichte kenne und ihre Wirkung kritisch sehe, stimmt mich nachdenklich. Sprache prägt Denken – und vielleicht ist es genau das, worum es in Wahrheit geht.
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Bild: Shuttesrtock
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