Eine Komödie gegen den Krieg wird in der DDR verboten, weil sie Gut von Böse nicht wie vorgeschrieben trennt – sondern ihr Autor Rudi Strahl den Weltfrieden will


Rudi Strahl war einst der „meistgespielte Autor der östlichen Hemisphäre“ (Peter Hacks) – außer manchmal

Foto: Barbara Morgenstern/dpa


In Petrus’ Büro stapeln sich unerledigt die Akten. Computertechnologie, Umweltschutz („nutzlos, aber sinnvoll“), eine überfällige Verwaltungsreform. Doch nichts davon wird angepackt. Denn es kommt Militär ins Spiel: zwei Erzengel. Michael ist Chef der Himmlischen Heerscharen. Oberst Gabriel leitet den Geheimen Abschirmdienst. Wo ist Gott? Abwesend. Petrus macht für ihn den Statthalter.

Und muss hören, dass die Welt am Abgrund steht. Schon wieder? Was ist los? Nichts. Das ist es ja! Funkstille herrscht zwischen den auf Erden verfeindeten Lagern. Daraus folgt kriegs-logisch: Gleich knallt’s. Und die Generalität drängt zur Aktion. Die Herren Engel fordern, um „die undurchsichtige Gesamtlage zu erhellen, behutsam, versteht si

ersteht sich, rein defensiv“, Luftlandetruppen, Spezial- und Sonderkräfte, schweres Gerät, was man so braucht. Entsetzt lehnt Petrus ab.So beginnt Das Blaue vom Himmel. Eine Komödie. Ihr Autor heißt Rudi Strahl. Wir staunen, wie’s im Himmel irdisch zugeht. Militärs, oberwaffengeil, wollen rote Knöpfe drücken.Da platzt Michaela herein, ein Mensch, jung, gottgläubig, voller Lebenswillen und sympathisch. Was hat sie im Reich der Seligen verloren? Wie überhaupt ist sie hergelangt? Einen Regenbogen rauf, ran bis an die Himmelsleiter, da die Sprossen hoch, easy. Lebensgefährlich war’s zuvor. „Landstraßen und Autobahnen sind vollgestopft von Militärkolonnen. Und die Grenzen! Raketen, Panzer. Soldaten, Soldaten. Na – ist vielleicht die Angst, die große.“ Aber alles ging gut, Michaela ist unbeschadet im Himmel angekommen. Was will sie da? Dass genau das endet. Die Angst, die große. Darum will sie Gott bitten. Dass er den Menschen die Waffen aus der Hand nimmt. Den Krieg verbietet. Dass Frieden herrscht!An der Grenze von Kugeln zersiebtPetrus’ Computer („veraltet, fünfte Generation“) spuckt endlich die Info aus: Dreizehn Geschosse hätten Michaela treffen sollen beim illegalen Grenzübertritt. Warum, Gottseidank, taten sie’s nicht? „Ein Glücksumstand“, erläutert freundlich der Tod, der zur Klärung des Sachverhalts herbeieilte. „Die Soldaten hielten Michaela für eine Todesahnung, die ihnen erscheint. Da haben sie wild drauflos gefeuert. Und daneben.“ „Ah, die Angst, die große“, erinnert sich die Runde, „klar. Da schießt man auf alles, was sich bewegt. Bis sich nichts mehr bewegt. Und sie hätten sie zersiebt!“Das steht da? Das steht da. Diese Sätze, geschrieben von einem Autor Anfang der 1980er Jahre in der DDR, die ihre Grenzsicherung tabuisiert. In einer Welt, deren Leben allen Ernstes einem Gleichgewicht des Schreckens anvertraut ist. Und ja, Michaela ist Christin. Auch das noch.Im Folgenden ist im Himmel schwer die Hölle los. Michaela und Michael verlieben sich. Das wandelt den General zum Friedenskerl. Gabriel indes bleibt bös und stürzt, hoppla, vom Himmel ins Bodenlose. Es tritt auch noch der Teufel auf. Gott bleibt dem Ganzen fern. Der Grund: Er hat die Menschheit satt. Sie ist zum Frieden nicht fähig. Er bastelt an was Neuem. Michaela, mutiger als der Himmlische Vater, gibt indes ihre Hoffnung nicht und nicht die Menschen der alten Baureihe auf. Sie kehrt zurück zur Erde im Flug mit dem Geliebten. Dem seine Heerscharen nachfolgen. Fortan tätig im irdischen Friedensdienst. Rudi Strahl ist ein Meister des Schwanks. Seine Theaterstücke Ein irrer Duft von frischem Heu oder Arno Prinz von Wolkenstein sind Renner zwischen Putbus und Bad Elster. Wundersames geschieht darin plötzlich und ungeahnt. Auf diese Weise poetisiert er ostdeutschen Alltag, macht ihn kenntlich, auch lächerlich. Nun wollte Strahl was anderes. Alle Tage steht es in der Zeitung: „Dein Arbeitsplatz, dein Kampfplatz für den Frieden!“Uraufführung an der Volksbühne verbotenSo begab der Autor sich an seinen Schreibtisch-Kampfplatz. Tat, was er kann. Schrieb eine Komödie. Das Monats-Bühnenheft Theater der Zeit bringt den Text im Februar 1984. Das mutig-heitere Friedensbemühen des Dramatikers wiege Mängel im Text auf, heißt es redaktionsintern. Man stellt aber vorsichtshalber dem Stückabdruck ein Interview zur Seite, das erwartbaren Einwänden zuvorkommen soll. Darin beteuert Strahl etwa, er treibe nicht Spott mit dem atomaren Schrecken, keinesfalls, Gott bewahre! Der Text ist also veröffentlicht. Und die Volksbühne am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz will ihn uraufführen. Dort hat gerade ein halbes Dutzend junger Absolventen begonnen. Die werden spielen. Ihr Regiedebüt gibt Ursula Karusseit, prominente Hauptdarstellerin am Haus. Die Proben beginnen im Mai 1984. Premiere ist im September. So der Plan. Aber denkste. Am 7. März bereits bittet der Intendant den Autor zum Gespräch. Ihm sei eindringlich bedeutet worden, das Stück nicht zur Aufführung zu bringen. Es sei pazifistisch und differenziere bei Darstellung der nuklearen Gefahr nicht genügend zwischen den Atommächten. Strahl fällt um ein Haar vom Glauben ab. „Ich bin überzeugt“, notiert er in einem Brief an den Schriftstellerverband, „eine gute und nützliche Arbeit zum Thema Krieg und Frieden geschrieben zu haben, die – in den Möglichkeiten und Grenzen eines Dramas dieser Art – meiner eigenen Auffassung und den Forderungen unserer Partei entspricht: in dieser wichtigsten Sache der Welt alle erdenklichen Mittel einzusetzen.“ Strahls gute Absicht? Geschenkt. Das Wort „pazifistisch“ fiel. Pazifismus ist Teufelswerk. Muss er sein. Anders ist nicht zu erklären, wieso die DDR-Ideologie gerade ihn als hinterlistigsten Gegner auf ihrer Abschussliste hat. Erich Honecker trifft den Klassenfeind par excellence, „Kriegsminister“ (O-Ton DDR) Franz-Josef Strauß, speist mit ihm in ehemals Hermann Görings Jagdschloss und lässt sich eine Milliarde Westmark geben. Das ist Realpolitik. Schüler, die sich „Schwerter zu Pflugscharen“ auf die Jacke nähen, werden relegiert, dürfen nicht studieren. Das ist Irrsinn. Regisseurin Ursula Karusseit empört sich über Verbot live im DDR-RadioDie Friedensfrage wird als Machtfrage gestellt. In aller Härte. Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Und mit dem gleichen Scharfblick wird auf die Kultur geschaut. Dient sie, dient sie nicht? Ist sie pazifistisch? Künstler, längst verstorbene und erhaben über jeden Verdacht antikommunistischer Propaganda – was wird herumgestochert im Gesamtwerk etwa eines Kurt Tucholsky oder Erich Mühsam. Es gleicht dem Verhalten von Kulturoffizieren einer Besatzungsmacht, woher es ja auch kommt. Strahl versucht, sein Stück noch zu retten und erreicht einen Deal. Das Stück wird einstudiert. Dann in einer internen Aufführung vor „Entscheidungsträgern“ gezeigt. Vielleicht ändern die am Ende ihre Meinung? Sowas hat es schon gegeben. Diese Oper, jenes Drama durfte dem Volk schließlich doch zugemutet werden. Aber nicht Das Blaue vom Himmel. Die Proben starten. Werden nach der Sommerpause abgebrochen. Der Deal ist tot. Ursula Karusseit macht ihrem Ärger Luft in einer Live-Talkshow des Berliner Rundfunks. „Ich hatte ein Stück von Rudi Strahl, es durfte aber nicht kommen“, sagt sie couragiert. „Ich hatte fast die Hälfte der Probenzeit gemacht, da wurde dieses Stück im September also richtig verboten.“ Dem Interviewer fällt vor Schreck das Mikro aus der Hand; was er jetzt fragt, ist unverständlich. Karusseit weiter: „Das war ein, ein Ministeriumsbeschluss, was ich schade finde, weil es für mich kein schlechtes Stück ist, und wir hatten gute Bühnenlösungen gefunden.“ Keine folgende Sendung dieser Reihe kommt je wieder live.Keine Lust auf diese WGStrahls Stück wird 1989 noch einmal geprüft, aber weiterhin „nicht zur Aufführung empfohlen“. Da existiert bereits das Konzept vom „gemeinsamen Haus Europa“. Eine Idee des anderen Moskau jener Tage. Michail Gorbatschow tourt mit ihr durch den Westen, stellt sie vor jedes Auditorium, wird gefeiert als Popstar. Und bleibt vollständig wirkungslos. Sein „Neues Denken“ ist nirgends gefragt. Keine Macht der Welt hat Lust auf diese Wohngemeinschaft. Das „Haus Europa“ wird nie gebaut.Dietrich Bonhoeffer, von den Nazis noch gehenkt im April 1945, die DDR würdigt ihn zurecht als mutigen Antifaschisten, seine theologischen Schriften kursieren in Friedenskreisen der Kirche. Bonhoeffer sagt: „Friede muss gewagt werden, ist das eine große Wagnis, und lässt sich nie und nimmer sichern.“ Friede sei das Gegenteil von Sicherung, denn „Sicherheiten fordern, heißt Misstrauen haben, und dieses Misstrauen gebiert wiederum Krieg.“ Das ist heute eine Zumutung. Ein frommer Wunsch. Uns unerträglich.Für die freundliche Unterstützung bei der Recherche zu diesem Text danken wir dem Archiv des Literaturzentrums Neubrandenburg



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Von Veritatis

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