Die Linke führt die Opposition gegen Schwarz-Rot in Berlin an: Ihre neue Vorsitzende Kerstin Wolter erklärt, wie sie mit einem Sicher-Wohnen-Gesetz die hohen Mieten in den Griff bekommen will. Es geht um 35 Prozent aller Neuvermietungen
Die Linke-Vorsitzende Kerstin Wolter will Wohnen in Berlin wieder bezahlbar machen
Foto: Steve Braun
Was macht eine Partei, die von einem Wahlerfolg zu neuen Mitgliederrekorden eilt? Kerstin Wolter, neue Co-Vorsitzende der Linken Berlin, plant die konkrete Politik der kommenden Jahre, und ihr Schwerpunkt steht fest: Gegen steigende Mieten kämpfen.
der Freitag: Frau Wolter, was halten Sie von Ihrer ehemaligen Oberbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD)?
Kerstin Wolter: Franziska Giffey hat vor zwei Jahren eine falsche Entscheidung getroffen, nämlich lieber mit der CDU zu regieren. Sie hat sich in die Arme von Kai Wegner geworfen und tut nichts gegen die Mietenkrise, sondern steht für Haushaltskürzungen.
Gute-Kita-Gesetz & Co.: Bei Gesetzesnamen, die jeder gleich versteht, scheinen Sie sie sich zum Vorbild genommen zu haben: Die Linke Berlin plant ein „Sicher-
ich lieber mit der CDU zu regieren. Sie hat sich in die Arme von Kai Wegner geworfen und tut nichts gegen die Mietenkrise, sondern steht für Haushaltskürzungen.Gute-Kita-Gesetz & Co.: Bei Gesetzesnamen, die jeder gleich versteht, scheinen Sie sie sich zum Vorbild genommen zu haben: Die Linke Berlin plant ein „Sicher-Wohnen-Gesetz“.Wir wollen private Vermieter dazu verpflichten, bis zu 35 Prozent ihrer Wohnungen bei Neuvermietungen an Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen zu geben. Denn ein wichtiger Ansatzpunkt zur Lösung der Mietenkrise ist, in den Markt einzugreifen. Der regelt das ja ganz offensichtlich nicht. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, die wir fordern – die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne, ein konsequentes Vorgehen gegen Mietwucher oder eine Stärkung des kommunalen Wohnungsbaus. Das Sicher-Wohnen-Gesetz ist ein Baustein für bezahlbares Wohnen.Welche Vermieter sind mit dem Gesetz gemeint? Wohnungskonzerne oder auch der westdeutsche Zahnarzt, der sich in den 90ern hier eine Wohnung gekauft hat?Der westdeutsche Zahnarzt ist nur dann gemeint, wenn er mindestens 50 Wohnungen besitzt. Jemand mit so viel Wohnraum oder mehr sollte bis zu 35 Prozent seiner Wohnungen bei Neuvermietung an Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein vergeben müssen. In Berlin haben über eine Million Menschen Anrecht auf solch einen Schein. Das müssen Sie sich mal vor Augen führen.Dementgegen stehen knapp 90.000 Sozialwohnungen, von denen bis 2030 die Hälfte aus der Bindung fallen wird.Und gleichzeitig werden zu wenig neue bezahlbare Wohnungen gebaut. Wir steuern da auf ein riesiges Problem zu. Mit unserem Gesetz wollen wir dem entgegenwirken.Geplant ist auch ein Mieten- und Wohnungskataster. Was erhoffen Sie sich davon?Bei vielen Maßnahmen ist es wichtig zu wissen, wo wie viel Miete gezahlt wird, wer die Eigentümer sind: Wir möchten ans Licht holen, was bisher im Dunkeln verborgen bleibt. Und der bessere gesetzliche Schutz vor Kündigungen soll den Menschen mehr Sicherheit im Umgang mit ihren Vermietern geben. Das hören wir oft in den Sozial- oder Mietrechtssprechstunden, die wir als Linke anbieten: Viele Mieterinnen und Mieter trauen sich gar nicht, etwas gegen ihre Vermieter zu sagen – aus Angst davor, rauszufliegen.Ein Transparenzregister wird schon lange gefordert – und immer wieder verhindert. Und die Rechtssicherheit der Mietpreisbremse hat auch nicht gerade dazu geführt, dass die Mieten massenhaft sinken. Warum sollte all das dieses Mal besser laufen?Einerseits wird der Leidensdruck und auch die Wut der Menschen immer größer. Wir möchten dazu beitragen, dass auch die Hoffnung wächst. Viele der Probleme bei der Mietpreisbremse, aber auch bei Themen wie der Zweckentfremdung, hängen mit fehlendem Personal zusammen. Im Moment sollen das die Bezirksämter kontrollieren, die einfach viel zu schlecht ausgestattet sind. Deswegen fordern wir auch ein Landesamt für Wohnungswesen, um den bestehenden Mieterschutz endlich auch mal wirklich durchzusetzen. Es geht darum, Lücken zu schließen.Mieten am LimitIllegale Ferienwohnungen, Spekulation mit Wohnraum: Die Zeit der günstigen Mieten in Berlin ist lange vorbei. Allein zwischen 2014 und 2023 haben sich die Preise für Erst- und Wiedervermietungen in der Hauptstadt auf durchschnittlich 16,35 Euro verdoppelt. Die Linke in Berlin hat auf ihrem Landesparteitag ein „Sicher-Wohnen-Gesetz“ beschlossen. Es soll Kündigungen erschweren, Zwangsräumungen verhindern und Vermieter verpflichten, mehr bezahlbaren Wohnraum anzubieten. Ein Wohnungskataster soll einen Überblick über alle Wohnungen und deren Miethöhe geben. Das Gesetz wird unter der schwarz-roten Mehrheit kaum verabschiedet werden – eine Vorbereitung auf einen zukünftigen Wahlkampf?Was beschäftigt die Menschen in Ihren Sprechstunden noch?Es sind nicht nur die Sozial- und Mietenberatungen, sondern auch Angebote wie die „Rote Küche“, bei der wir kostenlose Mahlzeiten verteilen. Das Thema Nummer eins waren die hohen Mieten. Aber die Menschen sorgen sich auch um die insgesamt gestiegenen Preise, zum Beispiel für Lebensmittel. Und ein drittes Thema, das viele Menschen beschäftigt, ist die Müllfrage. Verdreckte Hausflure, eine zugemüllte Stadt – auch dagegen müssen wir etwas unternehmen.„Berlin bleibt dreckig“ war mal ein Slogan gegen Gentrifizierung.Das stimmt, aber man kann und sollte auch eine saubere Stadt fordern und trotzdem gegen Gentrifizierung sein. Es geht doch um die Freiräume der Menschen – um Parks, Spielplätze. Das eigentlich Absurde ist, dass wir uns davor fürchten müssen, dass unsere Stadt noch schöner wird, weil dann ein noch größerer Ausverkauf droht. Es sollte genau andersherum sein: Die Stadt den Leuten zurückzugeben heißt, Orte so zu gestalten, dass man dort gerne Zeit verbringt.Bei den Menschen kommt Ihr Fokus offensichtlich gut an. In Berlin war die Linkspartei bei der Bundestagswahl stärkste Kraft – und die Mitgliederzahl in Berlin hat sich in den letzten neun Monaten fast verdoppelt.Das ist gerade das Schöne. Viele der Neumitglieder wollen sich wirklich einbringen. Viele haben sich schon im Wahlkampf beteiligt, sie engagieren sich in Projektgruppen oder eben in Sozialberatungen oder bei Haustürgesprächen. Bis zur Bundestagswahl haben wir in Berlin an 350.000 Haustüren geklingelt – und damit machen wir jetzt weiter. Wir fragen danach, wo der Schuh drückt, aber wir wollen die Menschen auch zur Selbsthilfe ermächtigen.Und wie soll diese Selbsthilfe funktionieren?Letztes Jahr haben wir die Mietwucher-App entwickelt. 50.000 Menschen haben sie genutzt, in Berlin wurden den Bezirksämtern 2.000 Wuchermieten über die App gemeldet. Etwas Ähnliches wollen wir entwickeln, um Leerstand und Zweckentfremdung durch Airbnb-Wohnungen erfassen und melden zu können.Ich habe schon die Schlagzeilen vor Augen: Linke entwickelt „Spitzel-App“. Davon lassen Sie sich nicht entmutigen?Überhaupt nicht. Hier geht es nicht ums Denunzieren, sondern darum, Menschen und Wohnraum zu schützen. Gerade beim Mietmarkt braucht es doch mehr Transparenz statt weniger.Die verschiedenen Apps im Kampf gegen den Mietenwahnsinn erinnern an die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Die Kampagne war modern und erfolgreich – mit radikalen Forderungen.Das Tolle daran war, dass die Kampagne es geschafft hat, die Eigentumsfrage mit der sehr konkreten Frage nach bezahlbarem Wohnraum zu verknüpfen. Heute sorgt der Begriff der Enteignung sehr viel seltener für Stirnrunzeln. Das ist ein Erfolg der Kampagne, aber auch Folge einer Realität, in der sich die Menschen bis weit in die Mittelschicht die Mieten in der Stadt nicht mehr leisten können. Da bleibt einer vierköpfigen Familie oft nur noch, an den Stadtrand zu ziehen.CDU und SPD verschleppen den Prozess, der durch den gewonnenen Volksentscheid angestoßen werden sollte. Was kann man dagegen tun?Schwarz-Rot ablösen. Dass die aktuelle Regierung die Umsetzung des Volksentscheids verschleppt, ist ein Skandal. Ständig sagen CDU und auch Berlins Oberbürgermeister Kai Wegner, es gelte, die Demokratie gegen die Rechten zu verteidigen. Das ist ja alles richtig. Aber wie hält es Herr Wegner denn mit der Demokratie, wenn es um einen erfolgreichen Volksentscheid geht? Da wird Demokratie mit zweierlei Maß gemessen. Ich hoffe, dass Schwarz-Rot die Stadtgesellschaft damit nicht entmutigt, sondern im Gegenteil, ihr Feuer neu entfacht, damit diese Regierung abgelöst werden kann.Durch eine Regierung mit linker Beteiligung?Die Bundestagswahl zeigt das große Potenzial für linke Politik. Wir machen den Berlinerinnen und Berlinern mit unserer Politik ein Angebot für eine solidarische Stadt. Umsetzen würden wir das schon auch gerne.Eine Regierungsbeteiligung ist innerhalb der Linken oft ein umstrittenes Thema.Am Ende kommt es darauf an, ob es genug Gemeinsamkeiten unter möglichen Koalitionspartnerinnen gibt, damit für die Menschen etwas rumkommt. Wir werden das unter breiter Beteiligung der Partei und der Stadt entscheiden. Uns geht es nicht ums Regieren, sondern ums Verändern. Politik ist kein Selbstzweck. Es geht darum, dass die Menschen nicht länger unter hohen Mieten leiden und ihnen die Infrastruktur nicht unter dem Hintern weggekürzt wird. Wenn sich da andere anschließen wollen, sind wir für Gespräche bereit.Kerstin Wolter (geboren 1986 in Perleberg) hat für die Linken-Vorsitzenden Katja Kipping und Janine Wissler gearbeitet, war seit 2019 Bezirksvorsitzende der Linken Friedrichshain-Kreuzberg und ist seit Mai 2025 mit Maximilian Schirmer Co-Vorsitzende der Linken Berlin.