Jährlich ziehen sich in Deutschland zwischen 3.000 und 6.000 Menschen eine Enzephalitis, eine Hirnentzündung zu. Zwischen 500 und 1.500 von ihnen sterben. Gemessen daran, dass jährlich rund 2.000 Menschen im Straßenverkehr umkommen, ein recht stattlicher Tribut.

Indes, von den meisten, die an einer Enzephalitis, einer Gehirnentzündung versterben, hören Sie nichts.

Kein Medium mit einiger Reichweite berichtet davon, schon gar nicht dringt eine entsprechende Meldung aus einer der öffentlich-rechtlichen Anstalten in die Normalwelt. Enzephalitis ist, wie der Blitzschlag, der jährlich rund 200 Leute in Deutschland dahinrafft (Quelle für die Zahlen: Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. bzw. Statistisches Bundesamt) eines der Lebensrisiken für Menschen, von dem außerhalb von Ereignissen mit erheblicher Totenzahl nicht berichtet wird.

Indes:

Quelle

Letztlich ist der Mann in Pfaffenhofen nicht am Borna-Virus, sondern an einer Gehirnentzündung verstorben, von der angenommen wird, dass sie durch das Borna-Virus hervorgerufen wurde. Indes gilt dem Schreiber des BR, Susanne Pfaller, die Tatsache, dass beide Männer sich mit dem Borna-Virus infiziert haben und einer von ihnen davon dahingerafft wurde, als gesicherte Erkenntnis, weil Borna-Virus in beiden nachgewiesen werden konnte.

Aber so einfach ist die Sache nicht.

Machen wir uns auf die Suche nach dem da, dem Borna-Virus:

FIG. 1
Quelle: Carbone, Kathryn M. (2001). Borna disease virus and human disease. Clinical Microbiology Reviews 14(3): 513-527.

Sechs Open Reading Frames umfassen rund 8.900 Nukleotide in vier Strukturproteinen, einer Polymerase und einem regulativen Protein. Die Geschichte dieses Virus geht etwas zurück und beginnt in der Nähe von Leipzig im Jahre 1885. In Borna sterben in diesem Jahr viele Pferde an einer seltsamen als „hitzige Kopfkrankheit“ bezeichneten Erkrankung. Zwick und Seifried gelingt Anfang der 1920 Jahre der Nachweis, dass die „Bornasche Krankheit“ auf ein Virus, das Borna Virus zurückgeführt werden kann:

ZWICK, W. & SEIFRIED, O. (1925). Übertragbarkeit der seuchenhaften GehirnRückenmarksentzündung des Pferdes (Bornasche Krankheit) auf kleine Versuchstiere (Kaninchen). Berliner Tierärztliche Wochenschrift. 41, 129.

Fortan gilt das Borna-Virus als Erreger einer Hirnerkrankung, die vor allem Pferde, aber auch Schafe heimsuchen kann. Diskussionen darüber, ob das Borna-Virus eine Gefahr für Menschen darstellt, beginnen in den 1990er Jahren und nehmen nach 2000 an Fahrt auf, und dass sie das tun hat damit zu tun, dass es dem Borna-Virus gelingt, eine Kopie seiner RNA als cDNA anzulegen und in das Genom der von ihm befallenen Organismen zu integrieren. Eine solche Fähigkeit übt natürlich eine große Anziehnung nicht nur auf Virologen, sondern auch auf diejenigen aus, die ganz andere Motive an die Erforschung von Pathogenen herantragen. Und so schreiben Kinnunen et al. im Jahre 2013:

„Borna disease virus (BDV) has gained lot of interest because of its zoonotic potential, ability to introduce cDNA of its RNA transcripts into host genomes, and ability to cause severe neurobehavioural diseases.“

Die Phantasien, die sich mit einem Pathogen verbinden, das nicht nur in der Lage ist, seine RNA in das Genom eines Wirtsorganismus zu schreiben, sondern zudem in der Lage ist, Verhaltensänderungen herbeizuführen, von kognitiven Störungen bis zu Enzephalitis hätte man früher ausführlich beschreiben müssen. Heute reicht ein Verweis auf die Vielfalt der medizinischen Interventionen, bei denen man nicht mehr weiß, ob es sich um ein Medikament oder einen biologischen Kampfstoff handelt.

Indes zu diesem Zeitpunkt, Anfang 2000, ist die Frage, ob das Borna Virus eine entsprechende Borna Erkrankung nach sich ziehen kann, die Menschen befallen kann, noch umstritten, die „existence of potential ‘human Borna disease’ with its suspected neuropsychiatric symptoms is highly controversial“. Die Situation ändert sich erst im Jahre 2018 und mit zwei schnell aufeinanderfolgenden Arbeiten:

Korn, Klaus, Roland Coras, Tobias Bobinger, Sibylle M. Herzog, Hannes Lücking, Robert Stöhr, Hagen B. Huttner, Arndt Hartmann, and Armin Ensser (2018). Fatal encephalitis associated with Borna disease virus 1. New England Journal of Medicine 379(14): 1375-1377.

Schlottau, Kore, Leonie Forth, Klemens Angstwurm, Dirk Höper, Daniel Zecher, Friederike Liesche, Bernd Hoffmann et al. (2018). Fatal encephalitic Borna disease virus 1 in solid-organ transplant recipients. New England Journal of Medicine 379(14): 1377-1379.

Besonders die Arbeit von Schlottau et al. (2018) lässt wenige Zweifel daran, dass es im Jahre 2017 ein Borna-Virus gibt, das in der Lage ist, Menschen in sehr sehr kurzer Zeit ins jenseits zu befördern, denn Schlottau et al. (2018) berichten die Fälle zweier 65 und 66 Jahre alter Männer und einer 74 Jahre alten Frau, die von einem 70jährigen Mann, der KEINERLEI Symptome neurologischer Erkrankung oder andere Krankheitssymptome zeigte, posthum Organe gespendet bekamen. Der 65jährige und die 74jährige erhalten je eine Niere, der 66jährige die Leber. Die beiden Nierenempfänger entwickeln Tetraparese, Lähmung in allen vier Gliedmaßen, die durch eine Schädigung des Gehirns hervorgerufen wird, fallen in ein Koma und sterben. Der 66jährige Leberempfänger kommt mit erheblichen neurologischen Beeinträchtigungen und einer Fazialisparese, einer Gesichtslähmung davon – wenn man so will.


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Alle drei Organempfänger werden positiv auf das Borna-Virus getestet. Es stellt sich heraus, dass das Borna-Virus als Zugabe zu den Spenderorganen mitgeliefert wurde. Ab 2018 gibt es somit keinen Zweifel daran, dass das Borna-Virus auch Menschen befallen und umbringen kann. Diese Erkenntnis führt indes zu viel mehr Fragen als sie beantwortet.

Borna-Viren finden sich vor allem in Feldspitzmäusen, Crocidura leucodon, eigentlich putzige Gesellen, die das Virus problemlos und permanent mit sich herumtragen können, ohne zu erkranken.

Und wenn man sich, wie Jungbäck et al. (2025) der Mühe unterzieht, all das, was es bislang über das Borna-Virus zu sagen gibt, zusammenzustellen, wenn man 823 Einträge in entsprechenden Literatur-Datenbanken prüft, daraus 41 Studien gewinnt, die es sich lohnt, zu lesen, 11, die über Borna-Viren und Menschen, 30, die über Borna-Viren und Tiere berichten, dann kommt man am Ende zu der Feststellung, dass die vollmundigen Behauptungen darüber, dass es ein Borna-Virus gibt, das Enzephalitis hervorruft und von Spitzmäusen übertragen wird, auf ziemlich dünnen Boden stehen und sich lediglich darüber begründen, dass in Spitzmäusen und in Menschen und in Pferden (und Schafen …) dasselbe Virus gefunden wird, das bei Pferden und Menschen, die als „dead-end host“ fungieren, das Virus also nicht weiter übertragen zu können scheinen, mit einer vergleichbaren Pathologie verbunden ist, in den meisten Fällen mit einer Entzündung der Hirnhaut einhergeht und dem schnellen Ableben des Betroffenen endet. Dabei werden die Borna-Virus Träger in aller Regel nicht vom Borna-Virus umgebracht, weshalb die Schlagzeile des BR schlicht falsch ist, sondern von ihrem eigenen Immunsystem, das mit einem t-Zellen overload auf das Pathogen zu reagieren scheint, der wahllos in der Tötung von (Hirn-)Zellen resultiert.

„Unlike most viruses, much of the morbidity and mortality following BDV infection stems from the host immune response to the virus and the ensuing immune-mediated death of infected and nearby uninfected cells rather than from direct virus-mediated lysis of infected cells. (Carbone 2001, s.o.)“

Quelle. RKI

Aber glücklicherweise sind diese Fälle sehr sehr selten. Beim RKI schätzt man, dass sich jährlich 5 bis 10 akute Erkrankungen, die vom Borna-Virus ausgelöst werden, in Deutschland einstellen, und das obwohl das Virus in weiten Teilen Süd- und Ostdeutschlands endemisch ist.

Und damit verlassen wir den Bereich dessen, was wir wissen und betreten den Bereich des Nichtwissens, den Jungbäck et al. (2025) so hervorragend zusammengestellt haben:

  • Wie wird das Borna-Virus unter Crocidura leucodon übertragen?
    Wir wissen es nicht.
  • Wie wird das Borna-Virus von Crocidura leucodon auf Tiere und Menschen übertragen?
    Wir wissen es nicht.
    Versuche, den Übertragungsweg dingfest zu machen, sind bislang erfolglos geblieben. Der bislang umfangreichste Versuch, den Übertragungsweg aufzuspüren, den Böhmer et al. (2024) unternommen haben, kommt zu dem Ergebnis, dass das Risiko, sich das Borna-Virus zuzuziehen, in ländlichen Gegenden, in Wohngebieten, die sich am Rande von naturbelassenen Gebieten befinden, am höchsten ist. Das, indes, ist kein Wunder, denn das Habitat von Crocidura leucodon findet sich in Brachgebieten, z.B. Straßenböschungen, die kleinen Insektenfresse finden sich in Steinmauern oder abgestorbenen Hecken. Zudem reduziert die Tatsache, dass die Feldspitzmaus scheu und nachtaktiv ist, die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme zwischen Mensch und Maus, zwecks Weitergabe eines Virus.

    Böhmer, Merle M., Viola C. Haring, Barbara Schmidt, Franziska S. Saller, Liza Coyer, Lidia Chitimia-Dobler, Gerhard Dobler et al. „One Health in action: Investigation of the first detected local cluster of fatal borna disease virus 1 (BoDV-1) encephalitis, Germany 2022.“ Journal of Clinical Virology 171 (2024): 105658.

  • Hinzu kommt, dass sich das meiste Borna-Virus im Zentralen Nervensystem von Spitzmäusen findet, etwas weniger im Speichel und noch weniger im Urin oder in den Fäkalien der Tiere. Indes, ein direkter Kontakt mit dem zentralen Nervensystem von Feldspitzmäusen ist nur Mitarbeitern eines entsprechend spezialisierten Labors möglich. Ein Kontakt mit Speichel in Feld und Wiesen (die Tiere mögen keinen Wald) eher außergewöhnlich, bleibt der Kontakt mit Urin oder Fäkalien, der indes auch nicht sonderlich häufig sein wird und zudem eher mit wenig Virenladung belastet ist.
    Wie kommt das Virus von der Maus zum Mensch? Niemand weiß es.
  • Um die allgemeine Verwirrung zu vergrößern, haben immunologische Studien gezeigt, dass der Hauptansteckungsweg über das olfaktorische System zu verlaufen scheint, also den Geruchssinn/-nerv. Man muss, im wahrsten Sinne des Wortes, seine Nase schon sehr tief in Dinge stecken, die einem nichts angehen, um sich das Borna-Virus zu sichern.
  • Ist das Borna-Virus von Mensch zu Mensch übertragbar?
    Der einzige bekannte Fall, in dem das Borna-Virus von Mensch zu Mensch übertragen wurde, stammt aus dem Bereich der Organspende: ein Spender, zwei Spender-Nieren und eine Spender-Leber ergeben vier mit Borna-Virus Infizierte.

Nach all dem sollte deutlich sein, dass wir über das Borna-Virus als Pathogen, das in Menschen nachweisbar ist und im Zusammenhang mit Entzündungen des Gehirns zu stehen scheint, nicht viel sagen können, weil wir so gut wie nichts darüber wissen:

„The current body of knowledge remains sparse, relying largely on assumptions rather than evidence-based conclusions. To advance the understanding of BoDV-1 pathogenesis, future research should prioritise clarifying viral entry routes, transmission mechanisms, and risk factors.“

Einmal mehr stellt sich die Eingangs gestellte Frage, warum Fälle von Enzephalitis herausgestellt werden, wie im vorliegenden Fall, vor allem, wenn man den nicht vorhandenen Kenntnisstand, der alles, was mit Borna-Virus zusammenhängt, auszeichnet, in Rechnung stellt…


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Von Veritatis

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