Obwohl ein Gericht die Unrechtmäßigkeit ihrer Zurückweisungen klar benannt hat, will die schwarz-rote Bundesregierung weiterhin Asylsuchende an den Grenzen abweisen. Das Vorgehen ist nicht nur falsch, sondern brandgefährlich
Polizeikontrolle an der österreichisch-deutschen Grenze
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Wenn Friedrich Merz und Alexander Dobrindt über Grenzen reden, dann über diejenigen, die sie möglichst dichtmachen wollen, jedenfalls für flüchtende Menschen. Aber es gibt auch Grenzen, die der Bundeskanzler von der CDU und sein Innenminister von der CSU eher durchlöchern wollen, auch wenn sie das nicht offen sagen: die Grenzen des Rechts. Donald Trump lässt grüßen.
An den Grenzen, die Merz und Dobrindt so lieben, geht es ihnen bekanntlich um die Zurückweisung von Menschen, die Asyl begehren. Sie müssen nach europäischem Recht ins Land gelassen werden – zwar nicht, um ihren Asylanspruch als solchen zu prüfen, sehr wohl aber, um festzustellen, welcher Staat dafür zuständig ist. Genau das hat jetzt das Berliner V
em Recht ins Land gelassen werden – zwar nicht, um ihren Asylanspruch als solchen zu prüfen, sehr wohl aber, um festzustellen, welcher Staat dafür zuständig ist. Genau das hat jetzt das Berliner Verwaltungsgericht bestätigt, und das heißt: Die seit Amtsantritt von Schwarz-Rot praktizierten Zurückweisungen sind illegal.Kaum war die Gerichtsentscheidung verkündet, versicherten der Kanzler und sein Innenminister: Die Zurückweisungen gehen weiter. Und hier kommen die Grenzen des Rechts ins Spiel, die den Flüchtlingsbekämpfern der Union offenbar nicht ganz so wichtig sind. Obwohl sich das Gericht sehr grundsätzlich zur Illegalität dieser Zurückweisungen geäußert hat, sprach Dobrindt von einer „Einzelfallentscheidung“ – wohl wissend, dass praktisch alle Rechtskundigen, die sich äußern, die Übertragbarkeit auf das ganze Vorgehen bejahen.Merz hob am Dienstag, wie auch sein Innenminister, zusätzlich auf die angebliche „Notlage“ ab, womit in diesem Fall die unbelegte Behauptung gemeint ist, die Bekämpfung von Flüchtenden diene der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Lande“.Dobrindt und Merz stellen bestehendes Recht infrageEs ist nicht so, als redete der neue Bundeskanzler genauso wie US-Präsident Donald Trump oder dessen Vize J.D. Vance, der sich bereits im Februar mit einem offenen Generalangriff auf die Gewaltenteilung zwischen Justiz und Regierung hervorgetan hat: „Richtern ist nicht erlaubt, die legitime Macht der Exekutive zu kontrollieren.“Merz dagegen behauptete auch jetzt wieder: „Wir werden das selbstverständlich im Rahmen des bestehenden europäischen Rechts tun.“ Das klingt besser, ist aber fast noch zynischer, wenn es nur Stunden nach einem Gerichtsbeschluss behauptet wird, der genau das Gegenteil feststellt.Das ist es, was Grünen-Chef Felix Banaszak meint, wenn er der Bundesregierung den Versuch bescheinigt, „in Trump-Manier ihren Kurs durchzusetzen“. Wer glaubt eigentlich diesen vermeintlich „Konservativen“ noch, wenn sie beklagen, dass es in der eigenen Gesellschaft und international an der Wertschätzung für eine „regelbasierte Ordnung“ mangele? Wer nimmt sie ernst, wenn sie sich hinter bürgerlicher Fassade wie Hooligans aufführen, die sich ihre Männlichkeit durch immer neue Provokationen gegen die „regelbasierte Ordnung“ beweisen müssen?Denn wer das politische Umfeld der Entscheidungen von Merz und Co betrachtet, kommt zu einem noch traurigeren Schluss: Es gibt etwas, das manche Entwicklungen in Europa vom Hooliganismus unterscheidet. Es geht nicht mehr nur darum, das bestehende Recht auf seine Durchschlagskraft zu testen, indem die Gerichte immer neu gezwungen werden, es gegen Missbrauch zu verteidigen. Es gibt auch eine Tendenz, grundlegende Elemente dieses Rechts selbst offen infrage zu stellen.Europäischer Angriff auf die JustizEnde Mai präsentierte sich die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen, eine sogenannte Sozialdemokratin, in Rom mit ihrer rechtsextremen italienischen Amtskollegin Giorgia Meloni. Die beiden stellten einen Brief von insgesamt neun EU-Ländern vor, in dem eine Diskussion darüber gefordert wurde, „wie die internationalen Konventionen den Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden“. Gemeint war, wohlgemerkt, eines der fundamentalen europäischen Rechtsdokumente, nämlich die Europäische Menschenrechtskonvention.Verbunden war dieser Tabubruch mit einem Angriff auf die Justiz: Es gehe auch darum, „einen Blick darauf zu werfen, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention entwickelt hat“. Viel deutlicher lässt sich eine Absage an „europäische Werte“ wie Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, die angeblich an allen möglichen Fronten verteidigt werden, nicht formulieren.Den Brief haben neben Dänemark und Italien die Regierungen von Polen (wie war das noch mit der angeblich so liberalen Regierung von Donald Tusk?), Österreich, Belgien, Estland, Lettland, Litauen und Tschechien unterschrieben. Deutschland war nicht dabei. Hier hält man es für vorerst geschickter, sich zum Recht zu bekennen, während man es in die Tonne tritt. Mal abgesehen von Hardlinern wie Jens Spahn.Grünen-Chef Felix Banaszak hat übrigens den Hinweis auf die Parallelen zwischen Merz/Dobrindt und Trump mit der Forderung verbunden, statt nationaler Alleingänge gemeinsam auf europäischer Ebene an „wirklichen Verbesserungen“ in der Migrationspolitik zu arbeiten.Er hätte hinzufügen können, europäische Abschottung sei auch nicht humaner als nationale. Hat er aber nicht – vielleicht auch deshalb, weil seine Partei in der Ampel-Regierung selbst die Verschärfung des europäischen Asylrechts mitgetragen hat. Genau wie die SPD.