Die führenden Friedensinstitute Deutschlands präsentieren ein Gutachten, das Fragen aufwirft: Muss die EU aufrüsten, um sich gegen Trump zu stellen? Und sollte sie mit autoritären Ländern zusammenarbeiten? Eine Studie mit Erkenntnisgewinn
Das Friedensgutachten ist nicht unbedingt nebulös, lediglich teilweise widersprüchlich
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Was sind die wesentlichen Ursachen für internationale Konflikte und wie sollten Deutschland und Europa darauf reagieren? Die vier führenden deutschen Institute für Friedens- und Konfliktforschung haben jüngst das Friedensgutachten 2025 vorgestellt, das sich mit den aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich auseinandersetzt. Der Inhalt des Gutachtens ist zutiefst widersprüchlich – und gerade deshalb ein großer Erkenntnisgewinn.
Die Widersprüche sind keine Folge mangelnder Intelligenz, haben sich doch die besten Fachleute zusammengesetzt. Nicht ihre Urteilskraft ist schwach, sondern die Wirklichkeit lässt sich nicht glätten. Ein paar umwälzende Gedanken haben sie ihr trotzdem, oder eben darum, entlockt.
Zugleich Friedens- und Kriegsgutach
otzdem, oder eben darum, entlockt.Zugleich Friedens- und KriegsgutachtenWidersprüchlich ist das Gutachten, weil es glaubt, sich auf den Standpunkt der europäischen Aufrüstung stellen zu sollen. Es ist ebenso sehr Friedens- wie Kriegsgutachten, was wir begrüßen, denn so erst sind alle Eventualitäten abgebildet. Europa sei „in die Zange genommen“, lesen wir, von Russland und den USA unter Trump. Die EU muss „sogar gegen die USA verteidigungsfähig“ sein, heißt es ausdrücklich. Fast unverhohlen erreicht uns die eigentliche Botschaft, dass die USA zur weltweiten Hauptgefahr geworden sind. Ein ganzes Kapitel ist einzig dem Trumpismus gewidmet. Als neuer Faschismus wird er zwar nicht bezeichnet, aber wie das Gutachten ihn schildert, ist er genau das.Es sei noch nicht klar, ob das Trump-Regime die freien Wahlen abschaffen werde, aber „die Steuerbehörde könnte Geldgeber der Demokraten ins Visier nehmen“, ihren Wahlkampf finanziell austrocknen. Erinnern wir uns auch, was Kevin Roberts, der Chef der Heritage Foundation, von dessen „Project 2025“ das Regime sich leiten lässt, in einem Interview sagte: „Wir sind dabei, die zweite amerikanische Revolution zu erleben, die unblutig bleiben wird, wenn die Linke es zulässt.“ Von Faschismus lässt sich erst sprechen, wenn Terror die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie grundiert: Wie man lesen kann, ist der Terror schon angekündigt.Eine Haltung der Bundesregierung, lesen wir, zu diesem Dilemma sei nicht ersichtlichNun wissen wir auch, dass faschistische Mächte nicht nur innenpolitisch agieren. Sie wenden sich gegen andere Mächte, wollen faschistische Imperien aufbauen. Muss Europa da nicht aufrüsten, eben um „sogar gegen die USA verteidigungsfähig“ zu sein? Aber hier beginnen die Widersprüche: Die EU als vorhandene Militärmacht ist eingepasst in militärische Infrastrukturen der USA. Die lassen sich „weder kurz- noch mittelfristig ersetzen“. Ebenso wenig der Atomschirm. Eine Haltung der Bundesregierung, lesen wir, zu diesem Dilemma sei nicht ersichtlich: Die EU müsste entweder Trump bitten, ihn mit seinen eigenen Waffen abwehren zu dürfen, oder ihm mit einer Aufrüstung antworten, die in jedem denkbaren Szenario völlig unzureichend wäre.Ein anderer Widerspruch ist noch weit unerfreulicher: Immer wieder weisen die Autor:innen darauf hin, dass das europäische Aufrüstungsprogramm nur möglich ist, wenn es von breiter Zustimmung der Massen getragen wird. Aber sind nicht die europäischen Massen gerade dabei, sich dem Trumpismus zu öffnen? Die Bundesregierung hofft auf den französischen Atomschirm, der könnte aber bald in die Hände der Le Pen-Partei fallen. Europäische Aufrüstung soll uns vor dem Trumpismus schützen, aber womöglich rüsten wir den europäischen Trumpismus auf. Ungeschriebene Schlüsse aus dem GutachtenSoweit einmal gedacht, ist klar: Europa muss sich zuerst vor sich selbst schützen, und das gelingt durch Aufrüstung gerade nicht. Diese Schlussfolgerung kann man im Friedensgutachten nicht lesen, aber es zieht gleichsam Schlüsse aus dem ungezogenen Schluss. Der erste ist, dass wirklich alles darauf ankommt, den europäischen Massen demokratische Werte vor Augen zu führen, die sie als ihre eigenen begreifen und deshalb verteidigen wollen.Wenn wir dann aber lesen, dass „Ideen und Werte der Aufklärung für Menschen in ihrem Alltag als positive Orientierung erfahrbar werden müssen“, sehen wir die ganze Hilflosigkeit des Diskussionsstands. 80 Jahre ist es nun her, dass die Dialektik der Aufklärung erschien, von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die zeigen wollten, dass die Aufklärung eben nicht die Kapazität hatte, den Faschismus verhindern zu können: Sie müsse weiterentwickelt werden. Wie, ist bis heute unklar.Europa muss sich zuerst vor sich selbst schützen, und das gelingt durch Aufrüstung gerade nichtDer zweite Schluss, den das Gutachten zieht, bringt die größte Überraschung, ist aber sehr einleuchtend: Es gibt eine regelbasierte Ordnung in der Welt, auch Global Governance genannt, und das Trump-Regime versucht sie zu zerstören. Auch etwa die Klima-Abkommen, die Entwicklungshilfe und die Weltgesundheitsorganisation gehören dazu. Diese Ordnung kann durch Aufrüstung nicht verteidigt werden. Dazu bedarf es vielmehr der Zusammenarbeit aller Staaten, denen an ihr gelegen ist – auch solcher, die autoritär regiert werden. Das Gutachten läuft vor allem auf ein Bündnis der EU mit China hinaus: „Berlin sollte gemeinsam mit internationalen Partner:innen China an seinem globalen Führungsanspruch messen.“ Einmal lesen wir sogar, „die Strategien gegenüber Russland und China sowie Partnerstaaten im Globalen Süden“ seien „neu aus[zu]richten“. Aber das ist ein anderes Thema.Halten wir nur fest, dass schon Hitlers klassischer Faschismus durch das Bündnis zweier parlamentarisch regierter Staaten, der USA und Großbritanniens, mit der autokratisch regierten Sowjetunion besiegt wurde.