Stellen Sie sich vor, Konrad Adenauer liest die Schlagzeilen von 2025. Die CDU, seine Partei, soll dabei mithelfen, den Erben der SED die Tür zum Bundesverfassungsgericht zu öffnen. Franz Josef Strauß würde toben, Helmut Schmidt die Stirn runzeln. Kein bestätigter Deal, aber ein Verdacht – und allein der hat es in sich. Denn wenn er stimmt, wäre es ein politischer Tabubruch, wie ihn diese Republik lange nicht gesehen hat.
Im Mai 2025 fiel Friedrich Merz im ersten Wahlgang der Kanzlerwahl durch. Um noch am selben Tag einen zweiten Versuch zu ermöglichen, brauchte es eine Zweidrittelmehrheit – und Stimmen der Linken, die nach der Wahl gestärkt dastand. Alexander Dobrindt telefonierte mit Janine Wissler. Kein Skandal, aber ein Signal. Die Linke stimmte zu. Merz wurde gewählt. Die „Zeit“ berichtete – zurückhaltend, aber deutlich. Und der „Spiegel“ ergänzte später: Bei der anstehenden Wahl von drei Verfassungsrichtern käme niemand mehr an der Linken vorbei. Die Partei könnte nun ein Vorschlagsrecht erhalten.
Beweise für einen Deal? Keine. Aber politische Indizien, die sich verdichten. Es ist die Art von Kompromiss, die im Halbdunkel gedeiht – formal korrekt, inhaltlich fatal.
Die Partei, die nun einen Platz am Tisch der höchsten Verfassungsinstitution beansprucht, ist nicht irgendeine. Sie ist nicht nur der direkte Nachfolger der SED, sondern nach eigener Bekundung rechtsidentisch mir ihr – also mit jener Staatspartei, die das eigene Volk überwachte, Mauern baute, auf Flüchtlinge schießen ließ. Eine glaubwürdige Distanzierung von dieser Vergangenheit? Nie erfolgt. Stattdessen Parteitagsbeschlüsse, die selbst Antisemitismus relativieren – und das ungeklärte Milliardenvermögen der SED, über das bis heute niemand genau Bescheid weiß.
Soll diese Partei nun mitentscheiden dürfen, wer über Grundrechte, Parteiverbote und demokratische Spielregeln urteilt? Für viele ist das unvorstellbar. Und für die CDU? Offenbar verhandelbar.
Während die Linke im Machtpoker plötzlich als demokratischer Partner gilt, bleibt die AfD systematisch ausgeschlossen – selbst dort, wo sie Wahlen gewinnt oder zweitstärkste Kraft wird. Die Union spricht von „Brandmauern“, doch sie gelten offenbar nur in eine Richtung. Denn was nützlich ist, wird integriert. Was stört, wird isoliert.
Man muss kein AfD-Sympathisant sein, um diese Doppelmoral zu erkennen. Wer sich an die eigene Geschichte erinnert, müsste eigentlich wissen: Demokratie misst sich nicht an Parteinähe, sondern an Prinzipien. Und genau die werden gerade geopfert. Wieder einmal. Man könnte fast sagen: Die kläglichen Reste von Prinzipien.
Verfassungsrichter sollen parteiübergreifendes Vertrauen genießen. Ihre Wahl braucht eine Zweidrittelmehrheit – gerade um sicherzustellen, dass nicht Parteitaktik entscheidet, sondern Integrität. Wenn nun aber eine Partei mit offener Verachtung für unser System und blutiger, diktatorischer Vergangenheit in diese Mechanik einspeist, droht der Verlust der letzten Reste von Vertrauen.
Hintergrund ist das Verfahren zur Wahl der Verfassungsrichter: Im Bundestag ist dafür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Union, SPD und Grüne verfügen gemeinsam nicht mehr über diese Mehrheit – und sind damit auf Stimmen der Linken – oder der AfD – angewiesen. Ohne deren Zustimmung ist keine Wahl mehr möglich.
Es gäbe jedoch Alternativen. Das Verfassungsgericht könnte nach § 7a BVerfGG selbst Kandidaten vorschlagen, wenn der Bundestag blockiert. Doch offenbar will niemand diese Möglichkeit ernsthaft nutzen. Die CDU scheint den Weg des geringsten Widerstands zu wählen – und übersieht dabei, dass sie ihre eigene Geschichte verspielt.
Man kann es ironisch lesen: Die CDU, die einst die SED bekämpfte, ermöglicht nun deren Erben den Zutritt zum höchsten Gericht. Doch der Humor endet dort, wo die demokratische Ordnung zur Verhandlungsmasse wird. Wenn Prinzipien dem Machterhalt geopfert werden, verlieren sie ihre bindende Kraft.
Konrad Adenauer würde seine Partei nicht wiedererkennen. Und wir, die Bürger, sollten uns fragen: Wie viel Vergessen verträgt die Demokratie?
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