Der Sparzwang in Berlin, und nach der Wahl voraussichtlich auch im Bund, ist eine Folge der Schuldenbremse. Warum wir uns sie nicht länger leisten können

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Wenn Zeitungen über die Kürzungen in Berlin für das Jahr 2025 schreiben, dann kann man oft lesen „Berlin muss 3 Milliarden einsparen“, „Der Haushalt muss um 3 Milliarden schrumpfen“. Wenn das so ist, dann geht es nur noch darum, wie die Kürzungen verteilt werden. Auch das ist Politik: Woran soll man sparen? Der Berliner Senat zum Beispiel will das kostenlose Schulessen erhalten, aber auf die Sanierung der Komischen Oper verzichten. Der Senat will das Parken für Anwohner (derzeit 10,20 Euro, pro Jahr) billig machen, das Sozialticket für U- und S-Bahn aber um zehn Euro verteuern.

Das alles sind politische Entscheidungen: Wenn kein Geld da ist, dann muss man entscheiden, was wirklich wichtig ist und was verzichtbar. Eine noch viel grundlege

rzichten. Der Senat will das Parken für Anwohner (derzeit 10,20 Euro, pro Jahr) billig machen, das Sozialticket für U- und S-Bahn aber um zehn Euro verteuern.Das alles sind politische Entscheidungen: Wenn kein Geld da ist, dann muss man entscheiden, was wirklich wichtig ist und was verzichtbar. Eine noch viel grundlegendere politische Entscheidung aber ist die, wieviel Geld überhaupt zur Verfügung steht.Dass ein Bundesland wie Berlin gar keine Schulden machen darf, ist Teil der politischen Entscheidung, die unter dem Namen „Schuldenbremse“ 2009 ins Grundgesetz geschrieben wurde. In den vergangenen Wochen hat sie zum ersten Mal gezeigt, was für krasse und destruktive politische Folgen sie entwickeln kann. Nun stehen die beiden großen Parteien CDU/CSU und SPD vor der Entscheidung, ob sie auch der kommenden Regierung und dem kommenden Haushalt die Schuldenbremse wie eine mühlensteingroße tickende Zeitbombe um den Hals legen wollen. Oder ob sie sich, und allen Bundesländern, also auch Berlin, nicht mehr finanzielle Freiheit verschaffen wollen.Flipfloppt Merz gerade?Von Friedrich Merz (CDU) weiß man, dass er ein glühender Anhänger der Schuldenbremse war, solange er auf der Oppositionsbank saß und die Ampel-Koalition damit vor sich hertreiben konnte. Wie wird er sich anstellen, wenn er in drei Monaten auf das Kanzleramt zusteuert, und schon jetzt weiß, dass er vielleicht selbst zum Getriebenen werden wird? (Er will ja auch kein Kurzzeitkanzler wie Olaf Scholz werden: 16 Jahre Merz wären angesagt, um nicht hinter Angela Merkel zurückzustehen.)2009 schrieb sich die damalige Große Koalition die Schuldenbremse ins Grundgesetz: Sie sieht vor, dass der Bund pro Jahr nur einen sehr kleinen Betrag an neuen Schulden aufnehmen darf: 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Bundesländer dürfen überhaupt keine Kredite aufnehmen, was auf eine Intervention des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) in der Föderalismus-Kommission zurückgeht; 2009 prahlte er noch damit, dass die CSU die schwarze Null durchgesetzt hatte, 15 Jahre später fordern inzwischen auch immer mehr CDU-geführte Bundesländer, die Schuldenbremse zu reformieren. Und Seehofers Nachfolger als bayerischer Ministerpräsident, Markus Söder, auch er ein ehemaliger Schuldenbremsen-Hardliner, überlegt wohl bereits, was man von einem künftigen Koalitionspartner, der eine Reform der Schuldenbremse verlangt, im Gegenzug fordern könnte.Der Economist kann mit der Schuldenbremse wenig anfangenDie britische Zeitschrift Economist, so etwas wie die Clubzeitschrift des globalen Finanzkapitalismus, räsonierte gerade, eigentlich gehöre die Schuldenbremse ja ganz abgeschafft. Aber weil das in der deutschen Debatte wohl zu weit ginge, sollten CDU und SPD am besten noch vor der Wahl im Februar 2025 eine Reform der Schuldenregel angehen. Denn wenn mehrere Kleinparteien wie die Linke und die FDP den Einzug in den Bundestag verpassen würden, die AfD und das BSW dort schon mit deutlich weniger als einem Drittel der abgegeben Stimmen ein Drittel der Abgeordneten stellen und so alle Verfassungsänderungen blockieren könnten.Es scheint, also wolle Friedrich Merz dieses Risiko eingehen: Aus der CDU hört man, eine Reform sei erst nach der Wahl an der Tagesordnung. Das entspricht zwar der Anforderung an die politische Kultur, dass eine Verfassungsänderung im Konsens geschehen sollte. Aber es könnte auch künftige Regierungen auf unbestimmte Zeit an die Schuldenbremse binden.Deren zerstörerische Kraft hat doch die Ampel perfekt gezeigt: Politische Differenzen wurden mit Geld gekittet. Als das Bundesverfassungsgericht das in seiner Entscheidung im November 2023 brutal stoppte, musste man politisch entscheiden: Klimapolitik oder Aufrüstung? Steuern senken oder Sozialstaat erhalten? Im Streit darüber ist die Ampel ein Jahr später zerbrochen.Die Ironie daran war, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) ein einziges Mal Recht hatte: Was Olaf Scholz Anfang November von ihm verlangt hatte (die Aussetzung der Schuldenbremse wegen der Wahl von Trump und dem absehbaren Finanzbedarf für die Ukraine), wäre von Karlsruhe fast sicher für verfassungswidrig erklärt worden. Weil eine Trump-Wahl eben keine Naturkatastrophe ist. Was aber im Umkehrschluss ja nur zeigt: Es wäre hoch an der Zeit, die Schuldenregel an die Realität anzupassen.



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Von Veritatis

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