Die Politikinteressierten, die das politische Geschehen seit längerer Zeit verfolgen, erinnern sich möglicherweise noch an die legendären Redeschlachten des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) und seinem angriffslustigen Kontrahenten, dem damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz. Schröder, der auf die ökonomischen Krisen seiner Zeit nicht selten mit Interventionismus antwortete, legendär dabei der Fall Holzmann, sah sich in den Generaldebatten im Bundestag regelmäßig scharfer Kritik des Oppositionsführers Friedrich Merz ausgesetzt. Merz zelebrierte seine Auftritte und spann seine politischen Argumente stets um das Gerüst einer freiheitlich-ordnungspolitischen Agenda.

Unternehmerische Freiheit zuerst, wo der regulierende Staat im Wege stand. Steuersenkungen, wo immer neue Sozialprogramme die arbeitende Mittelschicht belasten sollten. Generelle Deregulierung des Wirtschaftsstandorts, um Wachstum zu schaffen – Merz spielte das Blatt aller liberalen Wirtschaftspolitiker, nur feuerte er seine rhetorisch überzeugenden Trümpfe in die politische Debatte, dass man ihm die Rolle des fast schon libertären Politikers abnahm. Hätte es zu seiner Zeit die mileische Kettensäge gegeben, Merz hätte sie ihm aus der Hand gerissen.

Süß klangen einst die Oppositionstage. Tempi passati. Jetzt herrscht der etatistische Geist der (ehemaligen) Großen Koalition aus CDU und SPD.

Anspruch und Wirklichkeit

Friedrich Merz trat seine Regierungszeit mit dem Anspruch an, die „Kraft der Sozialen Marktwirtschaft“ neu zu entfachen. Das sind große Worte. Und wie wir gleich sehen werden, findet sich in Berlin weit und breit niemand, der in der Lage wäre, sie mit Inhalt zu füllen. Entfesselung der Wirtschaft, Rückbau bürokratischer Lasten, ein wackeliges Bekenntnis zur Schuldenbremse und ein Ende der rot-grünen Planwirtschaft – das sind, auf den Punkt gebracht, die wirtschaftspolitischen Versprechen der neuen Regierung unter der Führung von Friedrich Merz.

Dass jedes seiner Wahlversprechen mit äußerster Vorsicht zu genießen ist, wissen wir seit der erbärmlichen Volte in der Migrationspolitik. Und dass sich die bürgerlichen Parteien nicht zu einem Konsens angesichts des Migrationschaos in Deutschland durchringen können, ist ein politisches Armutszeugnis. Mit der fadenscheinigen Präsenz von Bundespolizisten an den Grenzposten erlebten wir kurante Polit-Camouflage, ein lächerliches Theater, das wir aus der Vergangenheit hinlänglich kannten. Die CDU unter der Führung des Bundeskanzlers trägt die alleinige Verantwortung, dass die migrationspolitische Wende an der kindischen Ausgrenzung der AfD gescheitert ist. Doch wird sich dieses Problem nicht in Luft auflösen. Und der Reisekanzler, der seit der Wahl selten heimischen Boden betreten hat, dürfte seine rüde Kollision mit der Einwanderungsrealität in den kommenden Jahren noch erleben.

Substanzlos und uninspiriert

Dass Merz den Effekt der Substanz vorzieht, zeigte sein Schlingerkurs in der Debatte um die Schuldenbremse. Eigentlich atmet sie Ur-bürgerlichen Geist. Den Esprit einer Politik, die darauf angelegt ist, den Staat in seinem Handlungsrahmen zu begrenzen. Doch Merz war bereit, den Grundkonsens der Bürgerlichen gemeinsam mit seinen neuen linken Partnern im Parlament zu brechen und der Schuldenbremse den Rest zu geben. Sich der unsauberen Praxis sogenannter Sondervermögen zu bedienen, um neue Schuldenberge an der Verfassung vorbei zu lancieren, ist unseriöse Politik.

Es zeigt sich, dass die Schuldenbremse das Papier nicht wert war, auf das sie geschrieben wurde. Sie hätte politischen Flankenschutz aus dem bürgerlichen Lager gebraucht, doch es war niemand da, als man sich dem links-grünen Schuldenkonsens beugte. Und es zeigt sich auch, dass Friedrich Merz es vorzieht, Streit aus dem Weg zu gehen und lieber die Zukunft der kommenden Generation fiskalisch verfrühstückt. Schulden schaffen Konsens und stilles Glück – bis zu dem Tag, an dem die Rechnung zugestellt wird.

Wahrer politischer Diskurs bedeutet Streit. Streit mit denen, die gemeinsam mit ihm die Brandmauer gegenüber der AfD verteidigen. Der Allparteien-Konsens wird in diesem Geiste Sachprobleme in moralinsauren Debatten ertränken. Treten fiskalische Engpässe auf, gibt es ja noch den Anleihenmarkt. Und so dürfen wir damit rechnen, dass die im Zuge der Rezession und des erodierenden Arbeitsmarkts sowie der weiterhin unkontrollierten Migration explodierenden Sozialkosten mit höheren Lohnnebenkosten und Bundeszuschüssen abgefedert werden.

Um der fiskalischen Katastrophe zu entgehen, wird bizarrerweise ein Billionen-Euro-schweres Investitionspaket aus der Taufe gehoben, das die kommenden vier Jahre in einen wie auch immer gearteten Zusammenhang zum Regierungshandeln setzen soll. Notwendige Reformen in der Rentenversicherung oder der Krankenversicherung werden weiter aufgeschoben. Und man nimmt es in Kauf, dass Deutschland mit einer Staatsverschuldung von gegenwärtig 63 Prozent auf dann 95 Prozent in das Mittelfeld der europäischen Schuldnerstaaten katapultiert wird. Der soziale Frieden im Land (oder ist es eher der Koalitionsfrieden?) sollte uns schließlich etwas wert sein!

Aus dem Tal herauswachsen

Ganz offensichtlich setzt man in Berlin darauf, dass Reformtrippelschritte wie die prozentweise Absenkung der Körperschaftssteuer oder die Wiedereinführung der degressiven Abschreibungsmöglichkeiten zu einem neuen deutschen Wirtschaftswunder führen könnten. Unter dem mutmachenden Schlagwort „Investitionsbooster“ bündelt die Regierung die Einzelmaßnahmen, die als summarische Kraft Deutschland aus dem Konjunkturtal der Tränen herausführen sollen. In diesem Zusammenhang erscheinen auch einige Klassiker politischer Phraseologie. Die Senkung der Bürokratiekosten. Verkürzung von Genehmigungsverfahren. Oder der Klassiker schlechthin: die digitalisierte Verwaltung. Kurzum, Merz will ein investitionsfreundliches Klima in Deutschland schaffen und geizt nicht mit politischen Leerphrasen.

Sogenannte Wachstumsateliers sollen Behördengänge für kleine und mittlere Betriebe erleichtern. Wachstumsatelier. Immerhin beschert uns Merz eine neue Umschreibung für einen weiteren Klassiker deutscher Wolkenkuckucksheime in der Politik. Zu keiner Zeit wurde die Verwaltung verkleinert. Sie ist ein gefräßiger Korpus innerhalb des Staatsgebildes und eine wichtige Vorfeldorganisation politischer Macht. Auch der Kanzler besitzt keinen Anreiz, an diesem Umstand etwas zu ändern. Ganz im Gegenteil: Er wird der Verwaltung neue Aufgabenfelder erschließen und diese dann dem Steuerzahler in Rechnung stellen. Kein einziges Ministerium wurde unter der neuen Regierung gestrichen. Der Beamtenapparat wird konsequent ausgebaut – er ist das letzte „Segment“ des Arbeitsmarkts, das einen ungebrochenen Boom erlebt. Die Wirtschaft schultert inzwischen Verwaltungskosten in Höhe von 146 Milliarden Euro im Jahr. Das sind untragbare Zustände in einem Land, in dem Selbständige und Unternehmer ausschließlich fiskalischen Nutzen zu haben scheinen.

Merz hätte, wenn er es wirklich ernst meinte mit dem Wirtschaftsaufbruch in Deutschland, unmittelbare Maßnahmen zur Senkung der allgemeinen Lebenshaltungskosten und der Produktionskosten der Wirtschaft ergreifen können. Mit dem Ende der CO2-Steuer bestand die Möglichkeit, einen großen Schritt in diese Richtung zu gehen. Er hätte auch den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen oder die Rückkehr zur Kernkraft einleiten können. Nichts wird geschehen. Die Liste realistischer Optionen wird lang und länger, je tiefer man in den Berliner Polit-Dschungel vordringt. Merz hätte die mileische Kettensäge gebraucht, um hier zu roden, was über die Wirtschaft gewuchert ist. Doch er greift nicht einmal zum Küchenmesser.

Worte sind billig

Man hätte sich vom neuen Bundeskanzler angesichts der schweren Krise der deutschen Schlüsselindustrie, der Automobilwirtschaft, einen klaren Reformkurs gewünscht. Das Ende des Kampfes der Brüsseler und Berliner Bürokratie gegen den Verbrennermotor wäre der erste Schritt, das Damoklesschwert über der deutschen Wirtschaft zu entfernen. Wie geht es weiter in der Bauwirtschaft, die seit Jahren am Boden liegt? Auch hier keine Initiative zum Abbau der Überregulierung und der zerstörerischen Klimagesetze. Die investitionshemmenden ESG-Regelungen werden auch unter Friedrich Merz nicht ersatzlos gestrichen. Gleiches gilt für das Gipfelkreuz invasiver Politik der Marke Habeck: Das Heizungsgesetz. Merz kündigte eine Reform des monströsen Werks an. Technologieoffen soll es ausgestaltet werden. In Alltagssprache übersetzt, bedeutet dies: Wir simulieren Reform, weil wir uns nicht zur Vernunft durchringen können. Alles bleibt beim Alten.

Betrachtet man die großen Linien der neuen Regierung, sofern dies zu diesem Zeitpunkt bereits möglich ist, so hält sie den Kurs ihrer Vorgängerin. Abseits des immer wieder gern zitierten Ludwig Erhard, des Vaters der sozialen Marktwirtschaft, bleibt Friedrich Merz jede Form ordnungspolitischer Orientierung schuldig. Man darf gespannt sein, wie er auf den wachsenden Druck der Amerikaner reagieren wird, die mit ihrer harten Linie im Handelsstreit Brüssel und Berlin zu Zugeständnissen ihrer protektionistischen Haltung zwingen. Alles läuft auf zwei Handlungsoptionen hinaus: Merz kann sich der Linie Brüssels anschließen und Europa zu einer protektionistischen Festung ausbauen. Die Alternative wäre, Wege zu finden, die vollständig aus dem Ruder gelaufene Regulierung der Euro-Wirtschaft schrittweise zurückzunehmen.

Dies geschieht selbstverständlich gesichtswahrend, denn auch Merz will schließlich als großer Klimakanzler in die Geschichte eingehen.





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Von Veritatis

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