Die Deutsche Bahn schafft, was kaum jemandem gelingt: Eine Reise durch Raum und Zeit – mit Push-Nachrichten aus der Vergangenheit. Pünktlich kommt hier nur der Hinweis auf Diversität. 

von Thomas Rießinger

Meine Frau hatte für Sonntag, den 1. Juni 2025, eine Fahrt mit dem ICE 613 von Hagen nach Mannheim gebucht, von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof. Wie erfahrene Bahnreisende wissen, kann man bei der Online-Buchung der zugehörigen Fahrkarte angeben, dass man gerne per Email automatische Sachstandsmeldungen über die Pünktlichkeit der Fahrt erhalten möchte, also über die Gültigkeit der Abfahrts- und Ankunftszeit. Und da ich mit Vergnügen an den segensreichen Errungenschaften der Digitalisierung teilhabe, nahm ich diese Möglichkeit während des Buchungsvorgangs wahr, immerhin wollten sie kein Fax und auch keine Brieftaube schicken.

So nahmen das Schicksal und die Reise ihren Lauf. Dass die Fahrt mit der üblichen Verspätung begann und endete, wäre keinen Bericht wert; man schreibt ja auch nicht darüber, dass morgens die Sonne aufgeht. Doch erstaunlicherweise konnte man sich eine Weile auf die digitalen Strukturen der Bahn verlassen: Um 15 Uhr 50 erreichte mich eine Mail folgenden Inhalts: „Die Abfahrt Ihrer heutigen Reise mit ICE 613 von Hagen Hbf nach Mannheim Hbf um 16:58 Uhr verspätet sich um 11 Minuten. Voraussichtliche Abfahrtzeit ist 17:09 Uhr.“ Dass man auch bei der Bahn nicht mehr „Sehr geehrte Damen und Herren“ oder Ähnliches schreibt, sondern einem freundlichen „Guten Tag“ sofort den Namen folgen lässt, da sich sonst jemand, der sich für ein bisexuelles Känguru hält, vielleicht in seinen Gefühlen verletzt werden könnte, will ich hier nicht weiter vertiefen.

Denn die nächste freundliche Nachricht der „DB Reisebegleitung“ zeigte ein besonders ausgeprägtes digitales Zeitgefühl. Um 17 Uhr 48 durfte ich nämlich Folgendes erfahren: „Die Abfahrt Ihrer heutigen Reise mit ICE 613 von Hagen Hbf nach Mannheim Hbf um 16:58 Uhr verspätet sich um 21 Minuten. Voraussichtliche Abfahrtzeit ist 17:19 Uhr.“ Ich gebe ohne Zögern zu, dass der Unterschied zwischen 16 Uhr 58 und 17 Uhr 19 genau 21 Minuten beträgt; die Bahnsoftware kann jedenfalls besser rechnen als die meisten Abgeordneten der Grünen. Doch die Frage, was mir diese Erkenntnis um 17 Uhr 48 noch nützen sollte, hat mir die Bahn in ihrer zeitlich etwas unpassend verschickten Mail leider nicht beantwortet. Schließlich war nicht nur der avisierte Abfahrtstermin längst verstrichen, sondern auch der tatsächliche Zug tatsächlich abgefahren, wenn auch etwas später als um 17 Uhr 19. Nun gut, man freut sich ja schon, wenn ein Zug nicht ausfällt und wenigstens am geplanten Tag auf die Reise geht.

Man fährt aber üblicherweise ab, um irgendwann anzukommen, und das Interesse konzentriert sich somit zwanglos auf den Zeitpunkt der Ankunft, insbesondere dann, wenn man zur Abholung eilt und gerne wüsste, wann man denn nun vor Ort sein soll. Da half die durchdigitalisierte Deutsche Bahn voller Schwung weiter, denn schon um 19 Uhr 31 schickte man mir eine neue Information: „Die Ankunft Ihrer heutigen Reise mit ICE 613 in Mannheim Hbf, geplant 19:23 Uhr, verspätet sich um 18 Minuten. Voraussichtliche Ankunftszeit ist 19:41 Uhr.“ Wer sich auf die Nachrichten der „DB Reisebegleitung“ verlassen hatte, konnte sich nun etwas verlassen vorkommen, denn in diesem Fall hätte man sich zum Zeitpunkt der Information längst am Bahnsteig befunden und sich gefragt, wieso die Bahn in der Schweiz und in Japan pünktlich fährt.

Aber es kam noch besser. Gerade einmal vier Minuten später, um 19 Uhr 35, erschütterte mich die Mitteilung: „Die Ankunft Ihrer heutigen Reise mit ICE 613 in Mannheim Hbf verspätet sich um 20 Minuten. Die Zugbindung ist für Ihre Fahrt aufgehoben. Um an Ihr gebuchtes Ziel zu kommen, können Sie mit Ihrem ursprünglichen Ticket nun alle DB Fernverkehrszüge (ICE, IC/EC) und Nahverkehrszüge (RE, RB, IRE, S-Bahnen) nutzen. Dabei können Sie eine spätere oder am Reisetag auch eine frühere Verbindung wählen. Ebenso haben Sie freie Wahl über die Reiseroute.“ Ankommen sollte der Zug also um 19 Uhr 43, 20 Minuten später als geplant. Und acht Minuten vor dieser hoffnungsvoll verkündeten Ankunft erfahre ich, dass die Zugbindung aufgehoben worden ist. Acht Minuten vor der angeblichen Ankunft konnte meine Frau sich also voller Freude die Freiheit nehmen, alle möglichen und unmöglichen Züge zu bemühen, um ihr Ziel, den Mannheimer Hauptbahnhof, schließlich doch noch zu erreichen. Nur dass zwischen der vorherigen Station und dem Ziel selbstverständlich nicht eine einzige Zwischenstation mehr zur Verfügung stand, an der man sich aus dem breiten Bahnsortiment einen anderen Zug hätte aussuchen können, denn der eigentlich gebuchte Zug befand sich schon kurz vor Mannheim. Wer ein derartiges Kommunikationssystem programmiert, sollte sich fragen, was er eigentlich beruflich macht.

Man darf sich jedoch nie zu früh freuen, noch war die Digital- und Nachrichtenabteilung der Deutschen Bahn nicht am Ende. Zwar erschien der erwartete ICE erst um 19 Uhr 52 am Bahnsteig, aber da will ich nicht kleinlich sein; das kennt man nicht anders. Aber um 21 Uhr 08, mehr als eine Stunde nach Ankunft, ereilte mich eine weitere Nachricht, auf die ich nicht mehr unbedingt gewartet hatte. Dort hieß es: „Die Ankunft Ihrer heutigen Reise mit ICE 613 in Mannheim Hbf, geplant 19:23 Uhr, verspätet sich um 29 Minuten. Voraussichtliche Ankunftszeit ist 19:52 Uhr.“ Jetzt, endlich, kannte man die korrekte Ankunftszeit. Sie lag nur schon 76 Minuten zurück. Selbst wenn man bei der Bahn die Londoner Zeit verwenden sollte, war es ein Weilchen zu spät, denn in London schrieb man bereits 20 Uhr 08. Es mag sein, dass sich die Server der Deutschen Bahn irgendwo mitten auf dem Atlantik befinden, das würde wenigstens die Zeitverschiebung erklären.

So funktioniert die Informationspolitik der Deutschen Bahn, so gut ist ihre digitale Struktur aufgestellt. Andere Bereiche funktionieren besser. Unter dem Titel „Vielfalt bei der DB“ erläutert man potentiellen Bewerbern, was die Bahn unter Vielfalt – genauer gesagt: unter Diversity – versteht. „Diversity bei der DB steht für Vielfalt der Geschlechter und geschlechtlicher Identitäten, Generationen, sozialen Herkünfte, ethnischen Herkünfte und Nationalitäten, Religionen, psychischen und psychischen Fähigkeiten sowie sexuellen Orientierungen. Neben den klassischen Vielfalts-Dimensionen ist auch die Vielfalt der Perspektiven, Werte, Kompetenzen und Berufserfahrungen von Bedeutung.“ Auf diesen Unsinn sind sie auch noch stolz. Und wie es scheint, hat das Konzept weitreichende Auswirkungen, da inzwischen auch die Vielfalt der Verspätungen und der Sachstandsmeldungen an den Kunden ungeahnte Dimensionen erreicht.

In der Schweiz gilt ein Zug als pünktlich, wenn er nicht mehr als drei Minuten Verspätung aufweist. Das haben im Schweizer Fernverkehr des Jahres 2024 91,2% der Züge geschafft. In Deutschland gilt ein Zug als pünktlich, wenn er nicht mehr als sechs Minuten Verspätung aufweist. Das haben im deutschen Fernverkehr des Jahres 2024 62,5% der Züge geschafft. Und nicht einmal die rechtzeitige Benachrichtigung der Kunden funktioniert.



Source link

Von Veritatis

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert