Mit scharfer Kritik an Aufrüstung fordern SPD-Politiker um Ralf Stegner eine Neuausrichtung der Außenpolitik – gegen die Position der Bundesregierung. Norbert Walter-Borjans erklärt, wie sich die Basis nun gegen den Klingbeil-Kurs aufstellt


Der ehemalige Fraktionschef der SPD, Rolf Mützenich (links), gehört zu den Unterzeichnern des Manifests, das sich gegen den außenpolitischen Kurs der Parteiführung um Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (rechts) richtet

Foto: Florian Gärtner/Picture Alliance/photothek.de


Es gibt sie noch, die „Friedenskreise“ in der SPD, und sie senden jetzt ein kräftiges Lebenszeichen: Auf knapp sechs Seiten haben Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein „Manifest“ für die Friedenssicherung in Europa verfasst, das die Außenpolitik der SPD in der Bundesregierung konterkariert. „In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt“, heißt es darin, „die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen.“ Dagegen bezieht der Text klar Stellung – und somit auch gegen den außenpolitischen Kurs der Parteiführung um Lars Klingbeil und der schwarz-roten Bundesreg

schwarz-roten Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU).So fordern die 120 Erstunterzeichner und Erstunterzeichnerinnen des Manifests die „schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland“, gegen das Kanzler Merz den Gebrauch deutscher Waffen ohne Reichweitenbeschränkung jüngst angekündigt hatte. Entgegen dem Vorrang der bedingungslosen Unterstützung Kiews heißt es: „Die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen muss verknüpft werden mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität.“Es gelte jetzt, das Töten und Sterben in der Ukraine schnell zu beenden. Darauf basierend müsse „der außerordentlich schwierige Versuch unternommen werden, nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa.“Mützenich, Stegner, Scheer: Das sind die prominenten Unterzeichner des ManifestsBrisant für SPD-Chef Klingbeil und Bundestag-Fraktionschef Matthias Miersch: Mit dessen von Klingbeil abserviertem Vorgänger Rolf Mützenich, der Cottbusserin Maja Wallstein, der Kölnerin Sanae Abd und Ralf Stegner sowie Nina Scheer aus Schleswig-Holstein führen fünf sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete die Liste der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner an. Schwarz-Rot verfügt im Bundestag über eine Mehrheit von nur 13 Stimmen, die Merz im ersten Wahlgang zum Bundeskanzler deutlich verfehlt hatte: Für ihn stimmten 18 Abgeordnete weniger, als die Fraktionen von Union und SPD zählen.Weitere prominente Manifest-Unterzeichner aus den SPD-Friedenskreisen – „ein Gremium, das in regelmäßigen Abständen zusammenkommt, um über Fragen der SPD-Friedenspolitik zu beraten“ – sind der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel, der ehemalige Bürgermeister Bremens Carsten Sieling, der frühere Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, der Historiker Peter Brandt und Klingbeils Vorgänger als Parteichef, Norbert Walter-Borjans. Norbert Walter-Borjans: Verteidigung ja, Aufrüstungsrausch neinIhm liege „Blauäugigkeit“ in Bezug auf Putin fern, sagte Walter-Borjans dem Freitag. „Aber ich habe die Sorge, dass wir den Weg der Schlafwandler beschreiten, wie ihn der Historiker Christopher Clark in Bezug auf den Ersten Weltkrieg beschrieben hat.“Das Manifest widerspreche nicht der Notwendigkeit von Investitionen in die Verteidigungsbereitschaft, es sei aber irrational, deren Notwendigkeit in Prozentpunkten des Bruttoinlandsprodukts zu bemessen, darüber in einen „Aufrüstungsrausch“ zu geraten und jegliche Gesprächsbereitschaft gegenüber Russland zu verneinen. Die Geschichte lehre, dass man auch im Angesicht von Leid und Zerstörung, wie sie der russische Präsident zu verantworten habe, rational handeln und verhandlungsbereit sein müsse, „um nicht schrittweise in eine Katastrophe zu schlittern“. Walter-Borjans warnt vor sich unversöhnlich gegenüberstehenden Standpunkten, die sich wechselseitig der „Kriegslust“ oder der „Naivität“ bezichtigen. Notwendig sei eine ehrliche und abwägende Diskussion. „Diese Debatte hat das Land bitter nötig.“ Unterstützung für diese Haltung sei an der SPD-Basis klar zu verspüren. „Was an Positionierung der SPD-Führung zu erkennen ist, steht nicht in voller Übereinstimmung mit der Basis“, sagte Walter-Borjans. Deshalb sei es an der Zeit, die Debatte über Aufrüstung und Friedenspolitik beim nächsten Bundesparteitag zu führen.Auf dem nächsten SPD-Bundesparteitag Ende Juni könnte es krachenZu diesem trifft sich die SPD zwischen 27. und 29. Juni in Berlin. Die Manifest-Unterzeichner sind zumeist Mitglieder aus dem Erhard-Eppler-Kreis, dem Willy-Brandt-Kreis, der Johannes-Rau-Gesellschaft, den Zusammenschlüssen SPD 60 plus, Mehr-Diplomatie-wagen, Demokratische Linke 21, Entspannungspolitik Jetzt!, Naturfreunde sowie AK Frieden Bremen und Köln.Ihr Text erinnert an die „Willy-Brandt-Lecture“, die Rolf Mützenich noch als Fraktionschef in deren Saal im Bundestag Anfang Dezember 2024 bei einer Veranstaltung der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung unter dem Titel „Welt im Umbruch – wie kann eine sozialdemokratische Außenpolitik für das 21. Jahrhundert aussehen?“ gehalten hatte. „Unser langfristiges Ziel sollte eine friedliche Koexistenz mit Russland sein“, hatte er dabei unter anderem gefordert. Jener Vortrag wie das Manifest jetzt spiegeln eine Diskussion innerhalb der Sozialdemokratie zur Übertragbarkeit von Willy Brandts Ostpolitik auf heute wider. Befürworter des heutigen Aufrüstungs- und Konformationskurses gegenüber Moskau verweisen dabei auf die hohen und steigenden Verteidigungsausgaben während Brandts Kanzlerschaft, die seinen Annäherungskurs flankierten. Auf diese gegenwärtig zu verzichten, wäre naiv in Bezug auf Wladimir Putins Agieren.Kritik von Roderich Kiesewetter und Michael RothDemgegenüber steht die Position, dass heutige deutsche Außenpolitik dermaßen auf eine militärische Logik versessen sei, dass sie auf Rüstungskontrolle und Abrüstung zielende Diplomatie gänzlich vernachlässige oder gar verächtlich mache. So heißt es im Manifest: „Der Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg wird beschworen, statt notwendige Verteidigungsfähigkeit mit einer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu verknüpfen, um gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Friedensfähigkeit zu erreichen. Wir sind davon überzeugt, dass das Konzept der gemeinsamen Sicherheit der einzige verantwortungsbewusste Weg ist, über alle ideologischen Unterschiede und Interessen-Gegensätze hinweg Krieg durch Konfrontation und Hochrüstung zu verhindern.“Erste kritische Reaktionen auf das Manifest ließen nicht lange auf sich warten: „Ungeheuerlich“, nannte es der CDU-Außenpolitiker Roderich Kieswetter: „Damit will man die Ukraine der Vernichtungsabsicht Russlands ausliefern & uns mit!“ Der ehemalige sozialdemokratische Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, schrieb: „Dieses ‚Manifest‘ ist kein spannender Debattenbeitrag, sondern eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung“.



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Von Veritatis

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