Der neue Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer lädt in den Tegeler Forst, um die Krankenakten der deutschen Baumarten zu verlesen. Und um seine Sicht der Dinge auf die Waldnutzung zu erläutern


Abgestorbene Fichten: In Deutschland sind nur noch 20 Prozent der Fichten gesund

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Der Tegeler Forst ist das, was sie in Berlin unter „Wald“ verstehen: Die 2.169 Hektar große Fläche wird von der Autobahn A111 zerschnitten. Vor dem Forstamt Tegel donnert die nie endende Blechkolonne in einen Tunnel, aus dem sie kurz hinter dem Forstamt wieder auftaucht. Aber was will man machen, wenn man nach Berlin beordert wurde, um Bundesagrarminister zu werden: Der neue Minister für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat Alois Rainer (CSU) lud an diesem Mittwoch in den Tegeler Forst, um den „Waldzustandsbericht 2024“ vorzustellen. Denn Wald ist Heimat und er somit zuständig.

Die Ergebnisse nannte der neue Minister einen „erneuten Weckruf“. Auch jene Generationen, die noch folgen, bräuchten „gesunde, stabile Wälder“. Die neue Zustandserhebung gebe leider keine Entwarnung. „Unsere Wälder haben Dauerstress“, sagte Rainer. Trotz relativ feuchtem Wetters im vergangenen Jahr würden die Schäden im Wald weiter auf „sehr hohem Niveau“ liegen, es gebe im Vergleich zum Jahr 2023 keine Verbesserungen.

Als Indikator für den Gesundheitszustand ermitteln Experten, wie dicht das Laub oder die Nadeln der Bäume sind. Ergebnis: Nur noch jeder fünfte Baum ist gesund. Vier „Hauptbaumarten“ nannte der Minister, „nur noch 18 Prozent der Buchen sind gesund“. Bei der Fichte sind es immerhin 20 Prozent, der Anteil von gesunden Kiefern ist von 23 Prozent im Vorjahr auf 20 Prozent gesunken. Besonders leiden die Eichen, hier sank die Baumgesundheit von 17 Prozent im Jahr 2023 auf jetzt nur noch 16 Prozent.

Die Fichte hat keine Zukunft

Es sind Fichten, mit denen Caspar David Friedrich 1808 den Tetschener Altar bestückte. Es sind Fichten, die Johann Wolfgang von Goethe besang, Fichten, die in Joseph von Eichendorffs Dichtung märchenhaft rauschen, deren Nadeln die heilige Ordensschwester Hildegard von Bingen gegen allerlei Formen der Unpässlichkeit verabreichte. Die Fichte ist nicht wegzudenken aus der Kultur der Deutschen: Die Wolfsschlucht in Carl Maria von Webers „Freischütz“ ist von einem düsteren Fichtenwald umgeben, Rotkäppchen begegnete dem bösen Wolf im Fichtenwald.

Ausgerechnet der Klimawandel zeigt uns jetzt, dass die deutsche Fichte nur eine zugezogene Projektionsfläche der Nation ist, die aus ihrer eigentlichen Heimat, der Taiga, viel Durst und eine Vorliebe für kühle Sommer mitgebracht hat. Beides wird die Fichte vielerorts in Deutschland bald nicht mehr finden, ihre Tage als prägender Baum sind gezählt. Seit 1984 wird von den Bundesländern die Gesundheit des Waldes untersucht, das deutschlandweite Ergebnis ermittelt das bundeseigene Thünen-Institut.

Der neue Minister Alois Rainer ist vom Fach, er sagt oft „bei mir im Bayerischen Wald“, wo er aufgewachsen ist. Er selbst ist Waldbesitzer, „ich betreibe aus tiefster Überzeugung selbst Waldumbau mit Tannen, Eichen, Buchen, Bergahorn“, sagt der 60-Jährige. Rainer ist großgewachsen, kräftig, mit weißem Haupthaar, das an den Bürstenhaarschnitt erinnert, er spricht mit tiefem Bass und leicht niederbayrischem Akzent. Dass er noch unsicher im neuen Amt ist, wird an seinem Umgang mit der Kamera sichtbar: immer wieder ermahnt ihn eine Ministeriumsmitarbeiterin, dass er sich doch beim Antwortgeben auf die Fragen nicht den Journalisten zuwenden soll, sondern den Kameras.

Söders zweite Wahl

Seine Berufung war durchaus eine Überraschung, ursprünglich hatte CSU-Chef Markus Söder den bayerischen Bauernlobbyisten Günther Felßner ins Rennen geschickt, denn im Kampf gegen die Freien Wähler und die AfD in Bayern ist das Landwirtschaftsministerium in Söders Augen zentral. Allerdings gab Felßner nach Protesten auf seinem Hof auf. Alois Rainer ist nur die zweite Wahl.

Ursprünglich ist Rainer Metzgermeister, seit 12 Jahren sitzt er allerdings im Bundestag. Dort hat er vor allem Haushaltspolitik betrieben und war zuletzt verkehrspolitischer Sprecher der Union. Als solcher kämpfte er gegen ein Tempolimit und für mehr Verkehrsleitsysteme. Der neue Heimatschutzminister zählt nicht zu jenen, die den Klimawandel verharmlosen, „Wälder sind Klimaschützer, sie speichern Kohlenstoff“. Allerdings klingen Rainers Ausführungen zum Teil unbeholfen: „Waldnutzung ist aktiver Klimaschutz.“ Zwar seien Naturschutzgebiete auch wichtig. „Am meisten Kohlenstoff speichern Bäume aber zwischen ihrem 40. und 80. Lebensjahr“. Deshalb müsse der Wald durchforstet werden, um immer wieder solche Bäume zu haben.



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Von Veritatis

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