„Alle Maßnahmen müssen ein Hauptziel haben: das schnellstmögliche Erlangen von Kampfkraft bis 2029“, sagt der Chef des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, in einem aktuellen Welt-Interview. Von Kriegstüchtigkeit zur Kampfkraft: Worte, die früher allenfalls in abseitigen Militaria-Foren ausgetauscht wurden, werden heute mit hoher Geschwindigkeit in die Gesellschaft gepresst. An der Sprache lässt sich ablesen, mit welch einem politischen Druck Deutschland den Weg des Militärischen beschreitet. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Ein Oberst des deutschen Heeres verkündet in einer der größten Tageszeitungen der Republik, dass „schnellstmöglich“ „Kampfkraft“ erreicht werden müsse. In dem Interview mit André Wüstner, Chef des Bundeswehrverbands, geht es um die Bundeswehr im Zeichen der sogenannten „Zeitenwende“. Wie bekannt ist: Die NATO und ihre Mitgliedsstaaten wollen sich auf einen Krieg mit Russland vorbereiten, weil – angeblich – ein Angriff aus dem Osten alles andere als unrealistisch sei. Auf dieser Grundannahme bewegt sich das Welt-Gespräch mit dem hochrangigen Vertreter der Bundeswehr.

Gleich zu Beginn geht Wüstner auf neue, wie es heißt, „Fähigkeitsziele“ ein, die die NATO auf ihrem Bündnistreffen Ende Juni beschließen wird. Laut Wüstner, der mit seinem Verband die Interessen von über 200.000 Bundeswehrsoldaten vertritt, sei die Neujustierung der NATO „die logische Konsequenz der aktuellen Bedrohungsanalyse“. Und dann kommt die entscheidende Aussage: „Spätestens nach dem NATO-Gipfel sollten alle verstanden haben, dass die Bundeswehr nun in allen Dimensionen substanzieller und schneller verteidigungsfähig werden muss. (…) Alle Maßnahmen müssen ein Hauptziel haben: das schnellstmögliche Erlangen von Kampfkraft bis 2029 und gleichzeitig das Erreichen der zugesagten Fähigkeitsziele in den Jahren danach. Das Zauberwort lautet: Adaptionsfähigkeit.“

Kampfkraft – dieser Begriff klingt martialisch. Und das ist er auch. Wir alle wissen: Bei der veranschlagten Politik des Krieges geht es um eine unfassbare Aufrüstung. Gigantische Summen – auf Kosten der Steuerzahler – wollen deutsche Politiker in die Bundeswehr pumpen. Wie Wüstner sagt: Es geht um den „Aufbau einer Flugabwehr, Stationierung und Entwicklung von Marsch- oder gar Hyperschallflugkörpern, Logistik und kampfkräftige Verbände von der Brigade über die Division bis zur Korpsebene“.

Der Begriff Kampfkraft baut reibungsfrei auf den Ausdruck „Kriegstüchtigkeit“ auf – der Kabarettist Dieter Hallervorden bezeichnete den Begriff Kriegstüchtigkeit übrigens als „Lieblingswort von Goebbels“. Sowohl in dem Wort Kampfkraft als auch in dem Begriff Kriegstüchtigkeit ist Eskalation angelegt. Wo Kriegstüchtigkeit gewollt und alles darangesetzt wird, Kampfkraft zu erreichen, ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass ein realer Krieg immer näher rücken wird – trotz aller Beteuerungen, es gehe nur um „Abschreckungsfähigkeit“.

Auf einer einfachen, unkritischen Ebene mag man nachvollziehen können, dass Vertreter einer Armee einen Begriff wie Kampffähigkeit benutzen. Schließlich: Die Armeen der Länder fokussieren immer auf theoretischer und praktischer Ebene auf einen wie auch immer gearteten „Kampf“. Doch normalerweise bewegen sich Gedanken und Worte aus dem Militärischen dort, wo sie hingehören, nämlich: zum Militär und nicht in die Gesellschaft. Wenn plötzlich große Medien der militärischen Sprache Raum geben, ist zu spüren, dass sich eine tektonische Verschiebung innerhalb der Politik vollzieht. Längst ist das für jeden offen zu sehen: Das Bewusstsein für das Militärische soll in der Gesellschaft verankert werden. Aussagen wie etwa von Pistorius, der Platz der Bundeswehr sei „in der Mitte der Gesellschaft“, lassen keinen Zweifel, worum es der Politik geht.

Wenn große Medienvertreter der Bundeswehr eine Bühne bieten, um distanzlos über Kampfkraft, Kriegstüchtigkeit und Aufwuchsfähigkeit zu sprechen, wird deutlich: Gewisse Kräfte schieben die Republik in eine Richtung, die großes Unheil bringen wird. Dem Militärischen wird immer weiter der Raum geöffnet – wohin soll das noch führen?

Wüstner redet und redet und redet, aber die grundlegende Prämisse von der ‚Gefahr aus dem Osten‘: Die Welt hinterfragt sie nicht! An keiner Stelle des Interviews hakt das Blatt auch nur einmal ansatzweise kritisch nach. Stattdessen die Frage an Wüstner: „Haben Sie den Eindruck, dass Regierung und Parlament die Dimension der Aufgabe verstanden haben?“

Das Interview in seiner Kritiklosigkeit hätte auch von einem Presseoffizier der Bundeswehr geführt werden können. Das Ziel des Interviews ist klar: Die Gesellschaft soll verstehen, dass „Kampfkraft“ schnellstmöglich erreicht werden muss – kritische Fragen, die der feilgebotenen Realitätskonstruktion die Luft ablassen, wären bei diesem Vorhaben sicherlich ein Störfaktor.

Titelbild: Screenshot ZDF Moma



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Von Veritatis

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