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Liebe Leserinnen und Leser,
ich habe eine gute Freundin – klug, sensibel, wach. Und trotzdem lebt sie inzwischen in einem Zustand permanenter Beunruhigung. Kein Wunder: Sie informiert sich vorwiegend über YouTube-Kanäle, die täglich Alarm schlagen – und dabei oft den Eindruck erwecken, der Weltuntergang stehe kurz bevor. Und ich merke, wie sehr das ihre Sicht auf die Welt verändert. Ihre Sprache. Ihre Zuversicht. Ihr Vertrauen. Nicht in die Politik – das wäre naiv. Sondern ins Leben. Es ist fast so, als gerate sie zunehmend in einen Tunnel.
Ich sage das nicht spöttisch – Gott bewahre – sondern zutiefst betroffen und besorgt. Denn ich sehe diese Entwicklung bei vielen Menschen. Menschen, die sich mit Recht betrogen, hintergangen, ausgeliefert fühlen – und dann in Informationswelten flüchten, wo sie sich das versprechen, was sie in den großen Medien, zu Recht, vermissen: Klartext. Emotion. Haltung. Und zwar nicht „Haltung“ in dem pervertierten Sinne, den die öffentlich-rechtlichen Glaubenskrieger aus dem Begriff gemacht haben. Doch oft wird aus dieser echten Haltung Verhärtung. Und aus Kritik ein Sirenengeheul, das alles übertönt – auch das eigene Nachdenken.
Wenn Kritik zum Gegenschrei und Selbstzweck wird
Ich verstehe diese Wut. Ich teile viele ihrer Auslöser. Und ich weiß, wie tief das Bedürfnis ist, nicht mehr angelogen zu werden. Aber genau deshalb möchte ich einen anderen Weg gehen.
Ich bin Journalist. Kein Therapeut. Kein Ankläger. Kein Aktivist. Und auch kein Verzweiflungströster im Erregungsmodus.
Ich schreibe, weil ich verstehen will – und weil ich glaube, dass man auch andere beim Verstehen unterstützen kann. Aber nicht, indem man ihnen täglich sagt, was sie fühlen sollen. Sondern indem man sie ernst nimmt.
Das bedeutet für mich:
- Ich lasse mich nicht vereinnahmen – von keiner Seite. Ich rede nicht der Regierung nach dem Mund. Aber auch nicht der Gegenseite.
- Ich veröffentliche auch Texte, die mir selbst widersprechen.
- Ich will aufklären, nicht agitieren. Ich will informieren, nicht indoktrinieren.
Bei Corona lag ich auf jener Linie, die heute in vielen alternativen Medien dominiert. Aber ich war dort nicht aus Ideologie. Ich war dort, weil ich überzeugt war, dass etwas gewaltig schiefläuft. Ich wollte nicht Recht behalten – ich wollte nicht schweigen. Was ich sagte, musste gesagt werden. Alles andere wäre Verrat gewesen.
Heute muss ich zusehen, wie manche von denen, die einst mit mir gegen das betreute Denken kämpften, nun selbst das Denken betreuen wollen – nur unter anderen Vorzeichen. Und da will und kann ich nicht mitmachen. Und auch einfach nur schweigend dabei zusehen, das kommt für mich nicht in Frage.
Ich will mich nicht selbst verraten. Ich will kein Lautsprecher sein – weder für die Regierung und ihre Büchsenspanner noch für den Wut-Mainstream und die Empörungs-Artisten.
Was ich stattdessen will
Ich will wach bleiben. Kritisieren, wo Kritik nötig ist. Und auch mal etwas aushalten, wenn es unbequem wird.
Darüber habe ich gerade einen sehr persönlichen Text geschrieben – vielleicht den persönlichsten der letzten Monate. Angeregt wurde er durch einen Link auf ein Blogger-Video, den mir eine Leserin schickte, die ich sehr schätze. Sie finden den Text hier:

Kritik heißt nicht Krawall – und nicht Sirenengesang
Journalisten sollen keine Lautsprecher sein. Und auch keine Dauerwarner. Sie sollen die Mächtigen kritisieren – aber nicht um jeden Preis, und nicht mit maximaler Lautstärke. Und schon gar nicht auf Kosten von Wahrheit, Würde und Verstand. Eine Abrechnung mit dem Sirenenjournalismus.
Ich freue mich über jeden Leser, der nicht nur seine eigene Meinung bestätigt sehen will, sondern sich auch gerne mal zum Nachdenken und Zweifeln anregen, ja irritieren lässt. Der echten Journalismus schätzt:
Einen Journalismus, der auch die eigenen Annahmen und Ansichten kritisch hinterfragt – statt seinen Lesern, Zuschauern und Zuhörern nach dem Mund zu reden.
Einen Journalismus, der keine Echokammer erzeugt, sondern im Gegenteil neue Horizonte eröffnet – die man dann aus freier Wahl gut oder schlecht finden kann.
Einen Journalismus, der keine Schwarz-Weiß-Bilder liefert, wie das aktuell beim Konflikt mit dem Iran der Fall ist – in den großen Medien ebenso wie in den „alternativen“ oft unter umgekehrten Vorzeichen auf erschütternd ähnliche Weise.
Vielleicht schreibe ich all das auch deshalb, weil ich mich selbst schützen will. Vor Zynismus. Vor dieser Bitterkeit, die sich so leicht einschleicht, wenn man täglich mit politischer Schieflage und medialer Verdrehung konfrontiert ist. Ich möchte mir meine Freude am Denken bewahren. Am Fragenstellen. Am Staunen. Und ich wünsche mir Leserinnen und Leser, die das aushalten – und vielleicht sogar teilen.
Warum ich mir das Denken nicht nehmen lassen will
Ich weiß, wie schnell man in Denk-Schleifen rutscht. Wie leicht man sich auch in der eigenen Blase einrichtet, weil sie natürlich die „richtige“ zu sein scheint. Auch ich bin nicht davor gefeit. Vielleicht ist dieser Text auch ein Versuch, mir selbst auf die Finger zu klopfen. Mich wachzuhalten. Mich daran zu erinnern, was ich einmal wollte, als ich diesen Beruf gewählt habe.
Nicht, um zu gefallen. Nicht, um noch mehr Leser zu gewinnen. Nicht, um Follower in den sozialen Netzwerken zu sammeln. Ich schreibe, weil ich nicht anders kann. Weil ich den Drang verspüre, den Nebel zu lichten – auch wenn es nur ein Spalt ist. Und weil ich glaube, dass es noch Menschen gibt, die sich nicht abspeisen lassen. Weder mit weichgespülten Phrasen noch mit Daueralarm. Die sich nicht in Watte wickeln lassen – und auch nicht in Wut.
Vielleicht sind viele von uns – mich selbst eingeschlossen – in den aufregenden, zermürbenden letzten Jahren, aufgestachelt durch den Corona-Wahnsinn, ein bisschen zu laut geworden. Vielleicht brauchen wir nicht mehr Meinung, sondern mehr Mut zum Innehalten. Und einen klaren Blick – für das, was wirklich zählt.
Ein bisschen leiser. Ein bisschen klarer.
Ich habe keine einfachen Wahrheiten. Keine Schwarz-Weiß-Bilder. Aber ich glaube an die Kraft des Zweifelns. Und an die Menschen, die sich noch trauen, sich selbst zu widersprechen. Die lieber unbequem sind als – egal ob im oder gegen den Mainstream – gleichgetaktet. Und ich glaube: Wer wirklich frei ist, muss auch bereit sein, allein zu stehen.
Denn wer nur im Echo lebt, vergisst irgendwann seine eigene Stimme.
Ich will meine behalten.
Wenn Sie das hier gelesen haben und noch dabei sind – danke.
Dann sind Sie genau der Leser, für den ich schreibe.
Irgendwann wird Schweigen zur Last
Ich habe mir lange auf die Zunge gebissen, weil ich keine Kollegenschelte betreiben wollte. Aber irgendwann wird das Schweigen zur Last.
Was ich in diesem Text – und dem verlinkten Artikel – geschrieben habe, musste einfach mal gesagt werden. Es war überfällig. Für mich. Und hoffentlich auch für viele von Ihnen.
Wenn Sie meinen unbequemen, kritischen, aber aufrechten Weg weiter mitgehen möchten – dann freue ich mich außerordentlich.
Und wenn es Ihnen manchmal zu unbequem wird – auch das darf sein. Hauptsache, wir denken weiter. Gemeinsam.
Reibung schafft Verbundenheit
In jedem Fall danke ich Ihnen von Herzen. Denn was hier über die Jahre gewachsen ist, fühlt sich für mich längst an wie eine Art Familie. Und meine Erfahrung sagt: Wo immer nur Harmonie gezeigt wird, da stimmt meist etwas nicht. Zu echtem Miteinander gehört auch, sich mal zu reiben – ohne sich gleich voneinander abzuwenden oder gar beleidigt in getrennte Zimmer zu verschwinden. Denn wenn nie gestritten wird, redet irgendwann keiner mehr miteinander.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen viel Reibung – menschlich und intellektuell bereichernd. Möge es weiter knistern – im besten Sinne des Wortes.
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