A
wie Astrid Lindgren
Auf dem Dach eines ganz gewöhnlichen Hauses in einer ganz gewöhnlichen Straße in Stockholm wohnt in einem kleinen Haus ein Mann namens Karlsson. Astrid Lindgren erdachte sich den „schönen, grundgescheiten und genau richtig dicken Mann in seinen besten Jahren“. Der achtjährige Lillebror wünscht sich eigentlich einen Hund – stattdessen kommt Karlsson mit einem Propeller auf dem Rücken angeflogen und wird ein Freund. Wie Pippi Langstrumpf lebt er allein und hat übermenschliche Fähigkeiten, ist jedoch ein deutlich schwierigerer Charakter: Er meckert viel und ist stark von sich eingenommen. Alles, was er tut, scheint ihm außerordentlich gut zu gefallen. „Ich bin der Welt bester….“ – damit beginnen oft seine Sätze. In Lindgrens Büchern begegnen sich die Generationen, Karlsson ist eine Mischung aus Onkel, Großvater (→ Hörgerät) und verrücktem Nachbarn. Im Film von 1974 wird dieses Narrativ leider aufgelöst – Lars Söderdahl und Mats Wikström, die Darsteller von Lillebror und Karlson, sind gleich alt. Sarah Alberti
B
wie Bestseller
Das meistverkaufte Buch im Jahr 2024 war nicht von ungefähr Altern von Elke Heidenreich. Weil sie, inzwischen 82 Jahre alt, nichts zu verleugnen braucht. Weil sie souverän genug ist, auf den ganzen Anti-Aging-Hypeeinfach zu pfeifen (→ Verlogen). Weil sie ehrlich ist: „Alle wollen alt werden, niemand will alt sein.“ Und weil sie auf ihre ganz persönliche Weise Mut macht. „Das Altern ist kein Warten auf den Tod, sondern Teil des Lebens.“ So lange man in der Welt ist, solle man an ihr teilnehmen. „Ich altere mit Neugier“, sagt sie und man glaubt‘s ihr. „Man kann sich natürlich auch in die Ecke setzen, stricken und die Katze streicheln.“ So soll es bei ihr aber nicht sein. „Ich kann noch denken. Ich kann noch lesen.“ Und mir fällt wieder mein Schwiegervater ein, wie er mit über 90 sagte: „Auf dem Friedhof ist es noch langweilig genug.“ Irmtraud Gutschke
C
wie Casting
Gerade ist die 20. Staffel von Deutschlands meistgehasster Castingshow Germany´s Next Top Model vorbei, da landet die 57jährige → Bestseller-Autorin Ildikó von Kürthy einen Scoop in den Sozialen Medien – sie folgte Heidi Klums Aufruf und bewarb sich für die TV-Show 2026 als sogenannte Best Agerin. Zwar, so von Kürthy, sei sie nicht gerade prädestiniert sowie aus dem Alter raus, ihren Brustumfang besonders wichtig zu finden; als Kandidatin wolle sie vielmehr mit Freundlichkeit, Humor und Würde für mehr Sichtbarkeit für Frauen ihrer Altersklasse sorgen. Im Video trägt von Kürthy das Haar stylisch kurz mit Graureflexen (→ Graue Haare), dazu perfektes Natur-Make-up. Sie spricht mit strahlend weißen Zähnen. Man sieht eine schöne, sympathische Frau, weshalb ihr Beauty-Understatement etwas prätentiös wirkt, aber die Klum wird der Kürthy schon nicht auf den Leim gehen. Mit ihrer Bewerbung könnte die Show eine kulturelle Aufwertung erfahren. Ich freu mich drauf! Katharina Schmitz
F
wie Filterblase
Radikalisierung im Alter: Die Generation 50 plus ist besonders empfänglich für Verschwörungsmythen und Fake News, das ergeben Studien. Dass sie in Filterblasen verfängt, liegt häufig an mangelnder Medienkompetenz. Sie wuchsen mit seriösen Medien auf und ihnen ist nicht immer bewusst, was mit KI und finsteren Absichten auf Social Media möglich ist. Außerdem stellen sie sich andere, neue Fragen. Gesundheit interessiert, ihre wirtschaftliche Situation gibt womöglich Anlass zum Fürchten. Und vielleicht hinterfragen sie auch ihre Lebenssituation insgesamt und ziehen ein Resümee. Menschen in Lebensumbrüchen oder solche, die sich überfordert fühlen, landen eher bei Esoterikern und Populisten. Der Digitaliserungsschub und die Isolation während der Corona-Pandemie hatten ebenfalls Anteil daran, dass Ältere in Filterblasen landen. Tobias Prüwer
G
wie Graue Haare
Graue Haare zu entdecken kann melancholische Nachdenklichkeit oder gleichgültiges Achselzucken auslösen. Das Grau entsteht, weil der Körper nicht genügend Melanin mehr herstellen kann, das für die Pigmentierung verantwortlich ist. Sein erstes Erscheinen hat oft gar nichts mit dem Alter zu tun. Es kann genetisch bedingt oder Folge von Stress, falscher Ernährung oder des Rauchens sein. Es gibt Talente fürs Graue. Birgit Schrowange, die Fernsehmoderatorin etwa, sieht damit elegant und damenhaft aus. Sie sei sehr früh ergraut und wollte nicht mehr färben. Ihr Grau ist ein stilistisches Statement, das wohl auch sorgsame (und teure) Behandlung braucht. Andere Frauen dokumentieren naturbelassen ihre innere Unabhängigkeit. Patti Smith präsentiert ihre Haare oft so wie sie sind, also grau. Susan Sontag, die große Essayistin, tat nichts gegen das Ergrauen. Meine Haare sind jedoch gefärbt. Ohne Chemie wären sie vom Aschblonden ins Graue gefallen. Nun sind sie blond geblieben. Magda Geisler
H
wie Hörgerät
„Mini-Hörgeräte kostenfrei testen!“. Wann es mit diesen Mails angefangen hat, kann ich nicht sagen, wohl in der Zeit, in der ich in mein fünftes Lebensjahrzehnt eingetreten bin. Ich weiß auch nicht mehr, ob zuerst die Hörgeräte da waren, oder doch erst die Treppenlifte. Dabei schwimme ich jede Woche mehrere Kilometer und mein Ohrenarzt attestiert mir seit Jahren, dass ich mit meinen Ohren das Gras wachsen höre. Wirklich, er sagt jedes Mal, wenn er das Hörtest-Ergebnis anschaut: „Sie hören ja das Gras wachsen!“ Neulich habe ich allerdings festgestellt, dass er es auch zu einer Freundin sagt, ebenfalls in seinem Patientenstamm und sechs Jahre älter als ich. Die Hörgeräte-Treppenlift-Mails bekommt sie auch regelmäßig. Sind wir nun Best Agerinnen oder alte Schachteln? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Beate Tröger
P
wie Politiker
Die Best Ager, wie die 50- bis 70jährigen von Marketingstrategen genannt werden (→ Zielgruppe), gelten als genussfreudig, ob der Markt ihnen allerdings wirklich Genuss verkauft, ist eine andere Frage. Aber schon die Bibel äfft höhnisch: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“ Der Konsumismus, so haben Soziologen herausgefunden, ist eine säkularisierte Version des vormals von der Kirche versprochenen ewigen Lebens. Wir haben nun eben den Himmel auf Erden, gepflastert von Bekleidungs-, Kosmetik-, Reise- und anderen Unternehmen. Der Linken-Politiker Gregor Gysi steht für eine bessere Version ewigen Lebens, von dem längst auch Theologen sagen, es könne natürlich nur im Leben und nicht nach ihm stattfinden: Er kämpft für die bessere Welt. Trotz einer Gehirnoperation und drei Herzinfarkten trat er von zwei Rücktritten aus kraftzehrender politischer Tätigkeit – 2000 und 2002, da war er Anfang 50 – selbst wieder zurück. Er kämpft noch heute für die gerechte Sache und man kann zusehen, wie er seinen inneren Frieden genießt. Michael Jäger
S
wie Silberglanz
Im Landesmuseum Hannover war vor ein paar Jahren eine ungewöhnliche Ausstellung zu sehen. Silberglanz. Von der Kunst des Alters zeigte Best Ager, Silver Surfer, ältere Menschen – Kunstwerke aus drei Jahrtausenden – vom Alten Ägypten bis zu den Foto-Selbstinszenierungen von Cindy Sherman. Das Alter wurde früher oft mit Weisheit gleichgesetzt (→ Politiker), doch auch drastische Darstellungen der Hinfälligkeit des Körpers gab es seit Anbeginn der Kunst. Zeitgenössische Fotokünstler und –künstlerinnen wie John Copland, Annegret Soltau oder Cindy Sherman widmen sich dem eigenen Älterwerden. Sherman hat zu viel Make-up aufgetragen, stellt sich selbst, überzeichnet, als alternde Schauspielerin dar, bekennt sich zu ihrem Alter – und schafft damit eine grandiose Reminiszenz an ihre Untitled Film Stills vom Anfang ihrer Karriere. Marc Peschke
V
wie Verlogen
„Best Ager“ finde ich anstrengend. Das mag daran liegen, dass ich in genau diese Schublade gehöre. „Best Ager“ klingt in meinen Ohren ähnlich verlogen wie „Senioren“. Habe ich nicht gerade erst gelernt, dass ich ewig jung scheinen muss, mit allen möglichen, teuren Hilfsmitteln? Und nun soll ich, weil Alter auf Englisch cooler klingt, als „Best Ager“ Funktionskleidung tragen? Nein danke. Wer denkt sich sowas überhaupt aus? „Funktionskleidung“. Vermutlich ein Mann oder ein Kind im besten Alter. Bis vor kurzem war Altwerden – als sichtbare Angelegenheit – unbedingt zu vermeiden (→ Graue Haare). Mir schwant, dass „Best Ager“ im Grunde aus demselben Marketing-Schleim schöpfen wie der Jugendwahn: Sie sind gewissermaßen „Jugend plus“, → Zielgruppe für all die „Produkte“ genannten Waren, die trendige „Ältere“ angeblich brauchen, um so auszusehen und zu leben, wie man angeblich aussehen und leben muss, damit man dazu gehört: Faltencreme. Fitnesskram. Freizeitstress. Sollen sie sich, ohne mich, doch im Wettbewerb verausgaben. Ich werd‘ lieber wieder jung. Katharina Körting
Z
wie Zielgruppe
Der Marketing-Begriff Best Ager bezeichnet eine möglichst finanziell potente Zielgruppe. Altersarmut kommt darin nicht vor. Gegen altersgerechte Produkte wie Gesundheitsförderndes spricht nichts. Dabei werden aber auch Dinge hergestellt, die nicht nur Alten gefallen. So war etwa die letzte Traumschiff-Folge Favorit bei den 14- bis 49-Jährigen. E-Bikes fahren auch Jüngere gern und vermehrt. Der Zielgruppentrick bei manchen Produkten besteht sogar darin, angeblich Jüngere anzusprechen, damit sich die Best Ager als nicht so alt fühlen können (→ Casting). Man denke an die Camp-David-Mode. Das Durchschnittsalter von deutschen Neuwagenkunden liegt bei über 52 Jahren. Rund 60 Prozent der Neuwagen werden von der Gruppe über 50 gekauft. Auch deshalb sind SUV‘s bei dieser so beliebt: Sie bieten einen hohen Einstieg. Tobias Prüwer