Nachdem der Waffenstillstand vereinbart war, zog es Zeinab und Dina in den heimatlichen Süden. Die Schwestern mussten für 64 Tage im nordlibanesischen Tripolis ausharren. Sie wollten das keinen Tag länger ertragen
Foto: Mahmoud Zayyat/AFP via Getty Images
„Wir haben gleichzeitig gelacht und geweint, als wir die Nachricht vom Waffenstillstand hörten. Wir packten unsere Sachen und glaubten immer noch nicht, dass es eine Feuerpause geben würde, es war wie ein Traum“, sagte die 28-jährige Zeinab, einst Bewohnerin der Stadt Zibqeen im Südlibanon.
Sie und ihre Schwester Dina schlossen sich Zehntausenden von Libanesen an, die sich nach Inkrafttreten der Waffenruhe zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah auf den Weg nach Süden machten. Freilich gab es allenthalben Warnungen, überstürzt zu handeln. Das israelische Militär schickte aufgezeichnete Nachrichten an den gesamten Libanon, in denen daran erinnert wurde, dass der Südlibanon trotz der Waffenruhe noch immer eine Militärzone
an den gesamten Libanon, in denen daran erinnert wurde, dass der Südlibanon trotz der Waffenruhe noch immer eine Militärzone und mit Gefechten zu rechnen sei.Viele brachen trotzdem auf, sodass die libanesische Küstenstraße bald blockiert war, verstopft durch mit Matratzen und Hausrat beladene Autos, in denen Familienmitglieder zu zweit auf einem Sitz saßen. Menschen standen an der Fahrbahn, schwenkten Fahnen und jubelten den an ihnen vorbei schleichenden Autos zu. Libanesische Soldaten und Sanitäter begrüßten die Menschen, als sie die Stadtgrenze von Tyrus erreichten.Der Krieg hat die Eigentümer gezwungen, die Ernte zu verpassenAls die Küstenstraße endet und die Autos auf die kurvenreichen Bergstraßen im Süden kriechen, wird der Jubel leiser. Schutt und heruntergefallene Stromleitungen bedecken die Trasse. Fast jedes einzelne Haus, das in Blickfeld gerät, ist beschädigt – die Fenster geborsten, die Türen aufgebrochen. Andere Gebäude sind völlig dem Erdboden gleichgemacht. Was von den Dächern übrig ist, kann nur noch als Brennholz dienen. Bäume liegen, mit überreifen, verrottenden Zitrusfrüchten beladen, auf dem Boden. Der Krieg hat die Eigentümer gezwungen, die Ernte zu verpassen.Placeholder image-1Zeinab und Dina kommen in Zibqeen an und müssen sehen, dass von ihrem Haus nur Trümmer geblieben sind. „Wir sind gleichzeitig glücklich und traurig. Gott sei Dank sind wir zu Hause, aber gleichzeitig bricht uns das Herz über all die Menschen, die wir verloren haben“, sagt Zeinab, ihren zweijährigen Sohn auf der Schulter, als sie vor den Überresten ihrer einzigen Behausung steht. Bald ist klar, die Schwestern werden nicht über Nacht bleiben können. Im ganzen Ort gib es kein bewohnbares Haus mehr. Umso mehr haben sich ein paar Bewohner von Zibqeen bereits an die Arbeit gemacht. Mit Rosshaar-Besen wird versucht, Betonbrocken und Glassplitter wegzufegen und den ihren Ort passierenden Fahrzeugen den Weg freizumachen. „Es wird eine Weile dauern, aber wir werden den Wiederaufbau schaffen“, sagt Zeinab.In Bint Jbeil, einem Dorf etwa einen Kilometer von der israelisch-libanesischen Grenze entfernt, bietet sich das gleiche Bild. Der Haupteingang des örtlichen Krankenhauses ist zerstört, die angrenzende Moschee in sich zusammengefallen. Zurückgekehrte machten Selfies vor der smaragdgrünen Kuppel der Gebetsstätte, bei der auch die Minarette gesprengt wurden.Im Sportstadion von Bint Jbeil spricht der Hisbollah-Abgeordnete Hassan Fadlallah vor einer Gruppe von gut einem Dutzend Reportern. Er erklärt, einen Sieg über Israel errungen zu haben, und verkündet, dass seine Widerstandsorganisation, „obwohl es schmerzhaft war“, Israel daran gehindert habe, auch nur eines seiner Ziele im Südlibanon zu erreichen.Mohammed, der nur mit seinem Vornamen angegeben sein will, beobachtet, wie die Bewohner von Bint Jbeil nach Hause zurückkehren. Trotz der vorrückenden israelischen Truppen und der steten Bombardierungen ist er die ganze Zeit an diesem Ort geblieben. Er wollte nicht weg.Auf dem Bildschirm seines Telefons ist das Bild seines Neffen zu sehen, der vor Wochen im Kampf getötet worden ist. „Ich bin stolz auf ihn, er ist ein Märtyrer. Wir wissen, dass Blut der Preis ist, den wir für die Freiheit zahlen müssen.“ Mohammed deutet auf die zerstörte Ortschaft. Und er wiederholt, was der Hisbollah-Gesandte bereits erklärt hat: Die Tatsache, dass Israel den Südlibanon nicht in Gänze besetzen konnte, sei – trotz des Ausmaßes der Zerstörungen – ein Sieg.Ihre Körper haben oft tagelang unter den Trümmern gelegenVor ihm steht eine Gruppe weinender, sich umarmender Frauen, die Bint Jbeil zum ersten Mal seit Wochen wiedersehen. Afif Bazzi, der Bürgermeister, lehnt es ab, ein Interview zu geben. Er sei viel zu sehr damit beschäftigt, die Bestattung der Toten zu organisieren. Ihre Körper hätten oft tagelang unter den Trümmern gelegen. In der Ferne sind Salven automatischer Waffen zu hören. „Diese Gefechte spielen sich im Ort Maroun al-Ras ab. Wie es scheint, sind die Dinge dort noch nicht geklärt“, sagt Mohammed und meint ein Dorf, das direkt an der israelisch-libanesischen Grenze liegt.Als das Nachmittagslicht zu schwinden beginnt, leeren sich die Dörfer im Süden erneut. Nur ein paar Leute sitzen und sehen zu, wie Autos in Richtung Norden vorbeifahren. Hunde fressen das Fleisch eines toten Pferdes neben einem Stall, der offenbar einige Monate zuvor verlassen wurde. Ein Katjuscha-Raketenwerfer der Hisbollah liegt unbeaufsichtigt auf der Ladefläche eines Lastwagens. Seine Munition scheint verbraucht zu sein, ohnehin sind die Abschlussrohre zerstört.