Im Sommer des Jahres 1912 fliegt Antoine de Saint-Exupéry zum allerersten Mal. Seine Mutter habe erlaubt, dass er mitgenommen werden dürfe, schwindelt der gerade Zwölfjährige einem Piloten am kleinen Flugplatz der Kleinstadt Ambérieu-en-Bugey, westlich von Lyon vor, wo die Familie die Sommerferien verbringt.
Die Faszination des Fliegens wird Antoine sein Leben lang nicht mehr loslassen. Sie wird seine große Leidenschaft.
Über das überwältigende Gefühl von Entrücktheit, Freiheit und Abenteuer wird er jedoch die wesentlichen Fragen nach der Schönheit und dem Geheimnis des Lebens nicht vergessen.
Im Gegenteil: Die Einsamkeit über den Wolken wird für ihn zum Weg in eine tiefgründige Bewusstwerdung über die Welt und ihre wundersame Rätselhaftigkeit.
Viele Lebensumstände verlaufen für den jungen Aristokraten aus verarmtem französischem Adel zunächst tragisch und ganz und gar nicht nach Plan. Der Vater verstirbt früh – auch der plötzliche Tod des zwei Jahre jüngeren Bruders François erschüttert den 17-jährigen Antoine zutiefst. Eine militärische Laufbahn kann er erst nach mehreren erfolglosen Anläufen einschlagen.
Am Leben wachsen
„Ich bitte nicht um Wunder und Visionen, Herr“, notiert er, „sondern um Kraft für den Alltag. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte […]. Bewahre mich vor dem naiven Glauben, es müsste im Leben alles glattgehen. Schenke mir die nüchterne Erkenntnis, dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Misserfolge, Rückschläge eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind, durch die wir wachsen und reifen.[…].“
Einen Flugzeugabsturz überlebt Saint-Exupèry 1923 nur knapp. Gerade hat er sich mit der jungen Adeligen Louise de Vilmorin verlobt, deren Familie nun große Bedenken gegen die riskante Tätigkeit des zukünftigen Schwiegersohns hegt. Antoine fügt sich, beendet seine Karriere als Militärpilot und hält sich mit Büroarbeiten in Pariser Firmen finanziell über Wasser.
Als Louise die Verlobung löst, macht er seine Leidenschaft aber bald wieder zum Beruf. In Rundflügen zeigt er Touristen Paris aus der Vogelperspektive und lässt sich knappe drei Jahre später von einer südfranzösischen Luftfrachtfirma anstellen.
Mit Propellermaschinen fliegt er nun regelmäßig von Toulouse ins marokkanische Casablanca und von dort ins senegalesische Dakar. 18 Monate lang hält er für seine Firma auf einem einsamen Zwischenlandeflugplatz im damaligen Spanisch-Marokko die Stellung.
Dort muss er sich gegen kriegerische Berber behaupten und rettet 14 in der umliegenden Wüste notgelandete Piloten vor dem sicheren Tod. Doch es bleibt auch viel Zeit zum Grübeln und zum Notieren von Gedanken.
Fliegen, denken und schreiben
Bereits 1925 hat er begonnen, zu schreiben. Mit der Novelle „Der Flieger“ („L’Aviateur“) tastet er sich an seinen ganz spezifischen Stil heran.
„Ich sage dir, es gibt keine göttliche Gnade, die es dir zu werden erspart. Du möchtest sein. Du wirst erst in Gott zum Sein gelangen. Er wird dich in seine Scheune einholen, […], wenn du aus deinen Taten geformt bist. Denn der Mensch bedarf viel Zeit für seine Geburt.“
Weiter zieht es den feinfühligen und nachdenklichen Flieger Saint-Exupéry in die Ferne und ins Abenteuer.
In Argentinien baut er für seine Fluggesellschaft Flugpost- und Luftfrachtlinien auf. Als Verantwortlicher für die gefahrvollen Nachtflüge verarbeitet er 1930 Erlebnisse im Roman „Nachtflug“ („Vol de nuit“) und schildert den letzten und todbringenden Flug eines Piloten in Nacht, Stille und Dunkelheit.
Ein Roman, der Antoine de Saint-Exupéry mit einem Schlag bekannt macht. Flüge führen ihn nun auf Vortragsreisen ums Mittelmeer, und das Schreiben nimmt immer mehr Raum in seinem Leben ein.
Eine viel beachtete Artikelserie für „Paris-Soir“ begleitet seine Flugreise nach Moskau, und im Dezember 1935 versucht er, als Pilot einen neuen Streckenrekord von Paris nach Saigon aufzustellen.
In der Wüste gestrandet
Dieses aufsehenerregende Unternehmen endet jedoch fast in der Katastrophe. Bei schlechter Sicht kommt es in der ägyptischen Wüste, 200 Kilometer von Kairo entfernt, zu einer Bruchlandung.

Saint-Exupéry nach seiner Bruchlandung in Ägypten 1935, Foto vom Bordmechaniker Andrè Prévot aufgenommen. Gemeinfrei
Saint-Exupéry und sein Bordmechaniker überleben unverletzt, sind ohne ausreichendes Wasser aber vom Tod bedroht. Fünf Tage lang kämpfen sie sich durch die Sahara, bis die Begegnung mit einer Karawane für sie die Rettung bedeutet.
Trotz all dieser Erlebnisse scheut Saint-Exupéry auch in Zukunft kein Risiko. Nicht nur als fliegender Reporter im spanischen Bürgerkrieg und bei einem weiteren Rekordversuch, diesmal von New York nach Feuerland, stellt er das Schicksal auf die Probe.
Und auch auf dieser gefahrvollen, weiten Strecke stürzt sein Propellerflugzeug ab. Diesmal überlebt er nur knapp, nützt die lange Genesungszeit aber, um den Textband „Erde der Menschen“ („Terre des hommes“) auch in englischer Übersetzung zu veröffentlichen.
Der Hymnus auf Pflichterfüllung, Idealismus und Menschlichkeit wird ein großer internationaler Erfolg – nur wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.
Krieg und Exil
Mit 39 Jahren wird Saint-Exupéry nun als Flugausbilder zur französischen Luftwaffe eingezogen. Als aber jede Gegenwehr gegen den deutschen Angriff zusammenbricht und Frankreich seine Streitkräfte demobilisiert, flieht er in die Vereinigten Staaten.
Seine Frau Consuelo kann ihm trotz der Kriegswirren ein Jahr später aus Südfrankreich folgen. Seit zehn Jahren sind der fliegende Schriftsteller und die temperamentvolle salvatorianische Künstlerin inzwischen verheiratet. Sie ist es, die ihren Mann in seiner schöpferischen Arbeit immer wieder bestärkt. Auch im Exil.

Consuelo de Saint-Exupéry (1942)
Foto: Unbekanntes Fotostudio in Montréal. Gemeinfrei
In „Kriegsflieger“ („Pilot de guerre“) und „Brief an eine Geisel“ („Lettre à un otage“) verarbeitet Saint-Exupéry seine Kriegserlebnisse und Hoffnungen.
Unscheinbares, schmales Büchlein
Ein schmales, unscheinbares, von ihm selbst illustriertes Büchlein erscheint schließlich Anfang 1943 in New York und wird alle seine bisherigen Arbeiten und Erfolge übertreffen: „Der kleine Prinz“.

Titelbild der US-amerikanischen Originalausgabe von „Der kleine Prinz“, 1943
Von Antoine de Saint-Exupéry. Gemeinfrei.
In dieser märchenhaften Fabel fließt Saint-Exupérys ganzes Sehnen und Lieben, sein Schmerz, seine Melancholie und sein Hoffen. In Gedanken und Worten beider Hauptfiguren spiegelt sich sein Denken: Im Ich-Erzähler, einem Piloten, den es durch eine Bruchlandung in die Ödnis der Wüste verschlagen hat, und im rätselhaften kleinen Prinzen, dem der Erzähler hier in der Einsamkeit begegnet.
„Es dauerte lange, bis ich verstand, woher er kam.[…]“, beginnt das dritte Kapitel des „kleinen Prinzen“. Doch „Stück für Stück offenbarten sich mir seine Worte.“
Zwei Seelen in einer Brust
Zwei Wesen einer Seele sprechen hier miteinander über das Leben, die Menschen, die Welt, ja das ganze Universum. Das eine erwachsen und erfahren, das andere von einem anderen Stern, zart, kindlich und doch tiefgründig staunend.
Schon in der Widmung zum kleinen Prinzen klingt dieses wesentliche Grundthema an. Antoine de Saint-Exupéry widmet die Fabel seinem guten Freund Léon Werth, noch genauer „[…] dem Kind, das dieser Erwachsene einmal war“. Denn: „Alle großen Leute waren einmal Kinder (aber nur wenige erinnern sich daran).“
Der kleine, kindliche Prinz erinnert sich dagegen sehr gut an die weite Reise, die er zurücklegte, bevor er auf der Erde landete. Auf sechs winzigen Planeten hat er Halt gemacht. Und in jeder dieser kleinen Welten hat er einen anderen rätselhaften Bewohner angetroffen.
Alle diese eigenartigen Stationen wirken wiederum wie die Vorbereitung auf die Beobachtungen und Gespräche, die sein irdisches Dasein prägen.
Dem erwachsenen Gegenüber berichtet er etwa von der Begegnung mit einer Schlange, die ihm andeutet, dass er durch ihren tödlichen Biss wieder auf seinen Planeten heimkehren könne.
Ein Fuchs bittet ihn wiederum darum, ihn zu zähmen, damit sie zu wahren Freunden werden könnten. Und: Für den Moment des Abschieds verspricht der Fuchs dem kleinen Prinzen die Preisgabe eines großen Geheimnisses.
Immer wieder erzählt der kleine Prinz jedoch von der rätselhaften Rose, die er so herzlich liebt, aber in seiner Heimat zurücklassen musste. So stark wird seine Sehnsucht nach ihr, dass er schließlich beschließt, das angsteinflößende Angebot der Schlange anzunehmen.
Geheime Wahrheit
Als er dem Fuchs Lebewohl sagt, hält dieser sein Wort: „Hier ist mein Geheimnis“, verrät er, „Es ist sehr einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Dem Piloten aber, der ihn aus Zuneigung nicht ziehen lassen möchte, spricht der kleine Prinz Mut zu:
„[…] wenn du dich getröstet hast (man tröstet sich immer), wirst du froh darüber sein, mich gekannt zu haben. Du wirst immer mein Freund sein. Du wirst mit mir lachen. Und du wirst manchmal dein Fenster öffnen, einfach so, zum Vergnügen … Und deine Freunde werden sehr erstaunt sein zu sehen, wie du lachst, wenn du deine Blicke auf den Himmel richtest. […]“
Im Mai 1943 schließt sich Antoine de Saint-Exupéry den angloamerikanischen Luftstreitkräften in Algerien an. Am 31. Juli 1944 startet er vom – inzwischen von den Alliierten kontrollierten – korsischen Flughafen Bastia zu einem Aufklärungsflug Richtung Grenoble.
Er kehrt nicht zurück. Jahrzehntelang bleibt sein Schicksal ungeklärt.
Im Jahr 1998 verfängt sich – weit abseits der geplanten Flugroute – im Netz eines Fischers Saint-Exupérys Silberarmband, auf dem sein Name und der Name seiner Frau eingraviert sind.
Zwei Jahre später wird vor der Küste Marseilles auch das Wrack seiner zweimotorigen Lockheed P-38 aus den Tiefen des Mittelmeeres geborgen.