Allzu oft hört man von solchen Geschichten: Ein Urlaubsflirt mausert sich zur vermeintlich großen Liebe – doch das Glück mit dem ausländischen Mann hält nicht an. Guido Grandt berichtete in seiner journalistischen Autobiografie “Höllentrips” vom Fall einer jungen Frau, die sich in Tunesien in einen Moslem verliebte. Als die Beziehung nach einigen Jahren zerbricht, schnappt er sich die beiden gemeinsamen Kinder und entführt sie nach Tunesien. Sie zurückzubekommen, ist alles andere als einfach: Rasch gelten nämlich jene, die die Kinder in ihre Heimat zurückbringen wollen, als “Entführer”…

Auszug aus dem Buch “Höllentrips” von Guido Grandt:

„Durch die Hölle und zurück“ – Gejagt als mutmaßlicher „Kindesentführer“

Ich habe über Kriege geschrieben, über Revolutionen, über Verschwörungen, Kriminalfälle, Mordkomplotte, Geheimgesellschaften und vieles mehr. Auch über das Flackern der Hoffnung und das Sterben von Träumen. Aber was ich in Tunesien erlebte, war anders. Persönlicher. Roher. Es ging um eine Mutter – eine Frau, die bereit war, alles zu riskieren, um ihre Kinder zurückzubekommen. Und es ging um einen Mann, der einst ihre große Liebe war und nun der Entführer ihrer eigenen Familie.

Manchmal werden orientalische Märchen aus 1001 Nacht tatsächlich zu einem Albtraum. Das muss auch Kaya K. aus einer Kleinstadt in Bayern erfahren. Irgendwann werde ich mit meinen Kollegen mitten drin sein in einem Familiendrama, das sich zu einem internationalen Kriminalfall entwickelt, in dem selbst höchste Staatsträger, Diplomaten und Geheimdienste mit involviert sein werden. Und ich und meine Kollegen werden von der Polizei und einem rachsüchtigen Vater samt seinen Schergen durch halb Tunesien gejagt …

Dies ist Kayas Geschichte und die ihrer Kinder. Und auch ein wenig meine. Denn ab dem Moment, in dem ich mich darin wiederfinde, werde ich nie wieder derselbe sein.

Doch zunächst die Vorgeschichte dieses Dramas: 2002 ändert sich das Leben der zwanzigjährigen Kaya K. von Grund auf: Im August desselben Jahres reist nach Sousse, einer Küstenstadt in Tunesien am Golf von Hammamet, ein bedeutendes wirtschaftliches und touristisches Zentrum. Hier, in einem Touristenhotel feiert Kaya mit ihrer Mutter Evi die gelungene Gesellenprüfung als Kauffrau im Einzelhandel. 

Verliebt in einen Araber

Im Hotel baggert sie der zweiunddreißigjährige Gigolo und Chefanimateur Omar an. Dabei springen die „Funken“ über. Er ist charmant, gutaussehend und leidenschaftlich. Ein Wirbelwind aus Exotik und Versprechen. Und einer dunklen Seite, die sich schon bald verhängnisvoll offenbaren wird.

Kaya verliebt sich Hals über Kopf in den Araber, verbringt die ganze Urlaubswoche mit ihm. Was sie noch nicht weiß: er ist verheiratet. Nichtsdestotrotz lässt Omar nicht locker, will sie unbedingt wieder sehen. Zurück in Deutschland geht Kaya der Mann ihrer Träume nicht mehr aus dem Sinn. Im Oktober 2002 verkauft sie alles, kündigt ihren Job, verabschiedet sich von Familie und Freunden, verlässt ihre Heimat fast fluchtartig und zieht nach Nordafrika um. In ein Land, das sie nicht versteht, bei einem Mann, den sie nur glaubt zu kennen. Ohne auch nur zu erahnen was sie erwartet. Es ist das klassische Märchen vom Urlaubsflirt, das zur Lebensentscheidung wird.

In Tunesien angekommen wohnt Kaya zunächst bei Omar und zwei seiner Animateurs-Kollegen. Sie sucht einen Job, macht ein Praktikum bei einem Tourismusveranstalter als Reiseführerin, wird aber nicht genommen. Dann fangen die ersten Probleme an: nach der Sommersaison wird Omar im Hotel als Chefanimateur gekündigt. Vom Winter bis zum Frühjahr leben sie von Kayas Ersparnissen – etwa 15.000 Euro. Beide suchen Arbeit, bewerben sich in verschiedenen Hotels und haben schließlich Glück: Omar wird erneut Chefanimateur und bringt Kaya als Sportanimateurin für die Sommersaison 2003 unter. 

Das Liebespaar feiert Hochzeit in Tunesien, allerdings nur für das Familien-Fotoalbum des Tunesiers und ohne Standesamt. Die Liebe scheint auf Dauer zu sein, obwohl die unterschiedlichen Glaubensvorstellungen der beiden öfters problematisch werden.

Umzug nach Deutschland – und erste Katastrophe

Im Januar 2004 besucht Kaya ihre Familie in Deutschland. Zu Hause stellt sie fest, dass sie nicht mehr ohne ihre Eltern sein möchte. Wieder in Tunesien zurück fragt sie Omar, ob er mit ihr in Deutschland leben möchte. Doch er will eigentlich nicht. Im Februar wird Kaya schwanger, ist fest dazu entschlossen in Deutschland zu entbinden und wieder dort zu leben. So fliegt sie im September mit Omar nach Hause. Der Tunesier bekommt durch die Kontakte von Kayas Stiefvater Helmut einen Job als Dachdeckerhelfer. Im November kommt Sohn Nabil zur Welt. „Das ist das Beste, was uns je hätte passieren können“, sagt Kaya damals, ohne zu ahnen, dass mit der Geburt ihres Sohnes auch der Abstieg in die eheliche Hölle beginnt.

Im Februar 2005 zerbröckelt die Familienidylle das erste Mal. Omars wahrer Charakter kommt zum Vorschein. Er ist total unzufrieden mit dem Leben in Deutschland, verdächtigt grundlos seine Lebensgefährtin ihn zu betrügen. Er ist blind vor Eifersucht, betrinkt sich, schließt sich in seinem Computerzimmer ein und stellt Kaya dann zur Rede. Seine Vorwürfe sind völlig aus der Luft gegriffen. Kaya beteuert immer wieder, ihn über alles zu lieben. Aber Omar schlägt ihr zweimal ins Gesicht, greift zu zwei Küchenmessern und sticht sie sich selbst in den Bauch. Wegen weiterer Selbstmordgefahr wird er anschließend vom Krankenhaus acht Tage lang in eine geschlossene Psychiatrie verlegt. 

Nach diesem Vorfall denkt Kaya jedoch keineswegs daran, Omar zu verlassen. Im Gegenteil: ihre Liebe wächst noch stärker. „Da hätte ich normalerweise schon einen Schlussstrich ziehen müssen“, bekennt sie später. „Aber nein, ich gab ihm noch mal eine Chance. Wie man sieht habe ich teuer dafür bezahlen müssen!“

Hochzeit, das zweite Kind und stetige Streitereien

2008 wird Omar von seiner einheimischen Frau in Tunesien geschieden. Er und Kaya heiraten daraufhin in Deutschland. Ganz zur Überraschung von Freunden und Verwandten, die das nicht verstehen können. Nach seiner gegen sich selbst gerichteten Messerattacke erscheint Omar ihnen als psychopathisch und gefährlich. Im selben Jahr kommt Tochter Salma zur Welt. Kaya und Omar freuen sich riesig. Eines Tages sagt er ihr, dass er seine Kinder mit nach Tunesien nehmen wird, wenn Nabil fünf Jahre alt ist. Eine Prophezeiung, die sich auf tragische Weise bewahrheiten soll. 

Der Tunesier lebt immer religiöser, während Kaya versucht ihren Kindern die unterschiedlichen Religionen zu erklären. Nabil geht in einen katholischen Kindergarten. Grund genug für Omar, immer wieder verbal auszurasten. 

Ein Jahr später führt eine Bagatelle zu einem verhängnisvollen Streit, bei dem es zur körperlichen Gewalt kommt: Omar klemmt seine Frau absichtlich in die Haustüre ein. Daraufhin packt Kaya ihn am Kragen, zerrt ihn in die Wohnung, stößt ihn dabei an die Wand. Daraufhin erklärt Omar seinem Sohn: „Schau mal die Mama an, was sie mit dem Papa gemacht hat! Wie böse sie ist!“ Von da an geht es mit ihrer Ehe bergab, obwohl sie noch einmal gemeinsam nach Tunesien in den Urlaub fliegen. Mit dabei Kayas Stiefvater Helmut und ihre Mutter Evi. Eine Woche verbringen sie bei Omars Eltern. Und eine weitere mit ihren Eltern im Hotel. 

Der Urlaub ist „bescheiden“. Zum ersten Mal spricht Omar von einer Rückkehr nach Tunesien – für immer. Kaya ahnt, dass ihr Ehemann vielleicht eines Tages die Kinder entführen könnte. Deshalb versteckt sie später die Reisepässe in ihrer Wohnung. Aber nicht gut genug.

Zoff um Religion – und Entführung der beiden Kinder

Am Sankt Martins Tag verbietet Omar seiner Frau und seinem Sohn nach einem Kindergeburtstag in die Kirche zum Laternenumzug zu gehen. Er fragt, ob sie vergessen hätte, dass die Kinder Moslems seien, sie hätten doch darüber gesprochen. Seine Kinder sollen keinesfalls „christlich“ aufwachsen. 

Wegen der islamischen Religion verändert sich Omar immer drastischer, ist keineswegs mehr tolerant, beklagt sich über sein Leben in Deutschland und wie unglücklich er hier sei. Weihnachten, das Fest der Liebe, wird durch zahllose Streitereien zur Hölle. Über neun Wochen redet das Ehepaar nur das Nötigste miteinander.

Im Februar 2010 schläft Kaya nach einem obligatorischen Streit mit Omar bei ihrer Mutter. Sie ahnt nicht, dass ihr Ehemann an diesem Tag nicht zur Arbeit geht. Sondern seinen fünfjährigen Sohn Nabil und seine zweijährige Tochter Salma entführt – er hat die Kinderreisepässe gefunden –  und nach Tunesien verschleppt. 

Kaya und ihre Familie schalten die Polizei ein. Die Deutsche ist völlig fertig, erleidet einen Nervenzusammenbruch.

Über Skype setzt Omar von Tunesien aus, seine Frau unter Druck. In Videobotschaften schickt er die Kinder vor – die ihre Mutter natürlich vermissen. Er hält sie geradezu als Geiseln, um Kaya dazu zu bewegen, nach Nordafrika zu fliegen und dort mit ihm zu leben. Nur so könne sie jemals Salma und Nabi wiedersehen, droht er. 

Der Kampf um die eigenen Kinder

Kaya versucht, den gerichtlichen Weg zu bestreiten. Doch der Rechtsanwalt, den sie kontaktiert, nimmt ihr die Hoffnungen auf ein schnelles Ende des Dramas. Sie muss in Tunis Klage bei einem Gericht einreichen. Allerdings können Jahre vergehen, bis dieser Fall verhandelt wird. Ein eigentlich unmögliches Unterfangen.

Aber natürlich will Kaya ihre Kinder zurück. Koste es was es wolle! Auf einer Internetplattform für Frauen, die sich im Urlaub in Nicht-europäische Männer verlieben, findet sie Hilfe und den Kontakt zu einem Privatdetektiv, der sich auf Kindesrückholungen im Ausland spezialisiert hat. Es handelt sich um meinen Freund Dietmar Wagner, den TV-bekannten internationalen Detektiv, mit dem ich schon mehrere Fälle und Filme bearbeitet und gedreht habe.

Kaya sammelt Geld im Freundeskreis um Wagner engagieren zu können. Obwohl eine Kindesrückholung teuer und gefährlich ist will sie die Aktion durchziehen. 

Der Detektiv weiß, dass Kayas Geschichte kein Einzelfall ist: Immer wieder kommt es vor, dass ausländische Väter ihre Kinder widerrechtlich aus Deutschland in ihre Heimatländer entführen, um sie dort in ihrem Glauben zu erziehen. Und obwohl die Mütter zumeist das hiesige Aufenthaltsbestimmungs- und Sorgerecht besitzen und ihre Ehemänner per internationalen Haftbefehl gesucht werden, hilft ihnen keine Behörde. Kein Politiker – niemand. Sie werden geradezu von allen im Stich gelassen. Ein Skandal, über den keiner spricht, der still und heimlich unter den Teppich gekehrt wird. 

Ich selbst begleite diese Kindesrückführung im September 2010 undercover mit meinem Kameramann Norbert, um sie für ein großes TV-Magazin zu drehen. Sollten wir dabei auffliegen und von den tunesischen Behörden gefasst werden, drohen uns wegen Kindesentführung Gefängnisstrafen. Selbst wenn Kaya nach deutschem Recht Anspruch auf ihre Kinder hat. Denn in Tunesien gelten andere Gesetze, sind die deutschen Beschlüsse ungültig. 

Keiner von uns ahnt in diesen Tagen, dass es für mich und Dietmar Wagner der schwierigste Auftrag unseres Lebens werden wird. Eine Mission, bei der wir alle – Kaya, die Kinder, mein Kameramann und auch unsere Helfershelfer und Informanten – im wahrsten Sinne des Wortes „durch die Hölle gehen“ werden …

Auszug aus der journalistischen Autobiografie “Höllentrips” von Guido Grandt.
(Zwischentitel durch Redaktion)



Source link

Von Veritatis

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert