Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Markus Söder, die bayerische Verkörperung von Ehrlichkeit und Integrität, hat nius.de ein Interview gegeben. Das ist nun schon zwei Wochen her, und allzu hohe Wellen hat es nicht geschlagen, wenn man von den üblichen Berufsempörten absieht, die schon das Sprechen mit einem nicht-linksradikalen Portal als Sakrileg betrachten.
Doch jenseits der einen oder anderen vernünftigen Äußerung und – es war anders nicht vorstellbar – seiner üblichen Selbstbeweihräucherung hat er außerordentlich interessante Erkenntnisse verbreitet und sein profundes Wissen unter Beweis gestellt. Aufgefallen ist das keinem, nicht einmal dem Interviewer Ralf Schuler, und sollte er es doch gemerkt haben, wusste er es gut zu verbergen. Erst am 5. Juli hat Tichys Einblick darauf aufmerksam gemacht, während die üblichen angeblich seriösen Medien zumindest bis zu diesem Zeitpunkt kein Interesse zeigten.
Selbstverständlich ging es um das Verhältnis zur AfD, zur Rechten im Allgemeinen, und auch zur österreichischen FPÖ. Gerade darüber wusste Söder Beachtliches zu berichten. Sein Freund Sebastian Kurz, gewesener Bundeskanzler Österreichs, habe ihm früher über die Probleme bei der Zusammenarbeit mit der FPÖ berichtet, mit der er einmal eine Koalition betrieben hatte: Auf den ersten Blick habe es inhaltliche Schnittmengen über Wirtschaft und Migration gegeben, aber dann „stellt man fest, dass die persönliche Integrität, die persönliche Integrität einzelner Leute, mit Verbindungen irgendwohin – dass die nicht geht“. Es ist erstaunlich: im Hinblick auf persönliche Integrität zitiert Markus Söder ausgerechnet Sebastian Kurz, der eine Spezialist verweist auf den anderen. Auch wenn wir nicht wissen können, ob das Kurz jemals wirklich gesagt hat: Was hätte Söder wohl von Herbert Kickl erfahren, dem zeitweiligen Koalitionspartner und späteren Gegner von Kurz? Hätte der sich am Ende lobend über die persönliche Integrität von Kurz geäußert? Oder vielleicht – und nicht ganz zu Unrecht – gemeint, „dass die nicht geht“? Söder agiert mit unbelegten Zitaten persönlich und politisch Vorbelasteter und will damit wohl etwas beweisen; man weiß nur nicht, was.
Aber er gibt ein Beispiel: „Auch bei der FPÖ, heute lebt eine ehemalige Ministerin, die lebt jetzt bei Putin.“ Er meint Karin Kneissl, ehemalige Außenministerin, früher allerdings Gemeinderatskandidatin für die ÖVP. Als Ministerin nominiert wurde sie von der FPÖ, das stimmt, doch als die Koalition infolge der Ibiza-Affäre zerbrach, blieb sie als parteilose Außenministerin noch für eine Weile im Dienst. Der ÖVP-Kanzler einer sogenannten Expertenregierung hatte offenbar nichts dagegen. Kurz gesagt: Kneissl war parteilos, weshalb die FPÖ nicht für sie in Geiselhaft genommen werden kann, und was die Tatsache, dass sie heute in Russland lebt – allerdings nicht, wie Söder sagt, „bei Putin“ – mit der FPÖ zu tun hat, sollte Söder einmal erklären. Er zieht es vor, etwas Anderes zu erklären. „Ich meine, entweder sind wir deutsche Patrioten oder wir sind die Einflussagenten von jemand anders.“ Warum eine ehemalige österreichische Ministerin, so zweifelhaft ihre russischen Beziehungen auch sein mögen, unbedingt eine deutsche Patriotin sein soll, hat sich mir nicht erschlossen. In Fragen der deutschen Patrioten sollte Söder sich vielleicht an Robert Habeck wenden, der einst den schönen Satz schrieb: „Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich stets zum Kotzen.“ Und dazu: „Ich wusste mit Deutschland nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht.“ Als deutschen Patrioten kann man ihn daher wohl kaum bezeichnen. Nach Söders Entweder-Oder-Logik muss er dann wohl zu den „Einflussagenten von jemand anders“ gehören.
Doch sein Meisterstück liefert er nur wenig später, als er wieder einmal aus dem Nähkästchen plaudert. Österreichische Freunde, auch der derzeitige Kanzler Christian Stocker, hätten ihm erzählt, was da alles gefordert worden sei in den Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ: „Austritt aus der NATO. Ich meine, ist ja gleich nach dem Motto, wir legen jetzt hier alles hin und erobert uns.“ Da gibt es ein kleines Problem. Österreich ist neutral, war nie Mitglied der NATO und wird es in absehbarer Zeit auch nicht werden. Viele wissen das, nur Söder nicht. Ich traue sogar dem österreichischen Bundeskanzler zu, dass er weiß, ob sein eigenes Land NATO-Mitglied ist oder nicht. Nur Söder weiß es nicht. Ob er hier bewusst die Unwahrheit sagt oder nur unbewusst seine Unwissenheit demonstriert, kann ich nicht sagen. Seine nachfolgende Einordnung, das seien Forderungen, „die sind so krude und Quatsch“, trifft nicht die FPÖ, die so etwas nie gefordert hat, sondern seine eigenen Äußerungen.
Markus Söder ist der Ministerpräsident des Freistaates Bayern. Ludwig Thoma schrieb vor langer Zeit die Geschichte „Ein Münchner im Himmel“, in der sich ein Bayerischer Dienstmann nach seinem plötzlichen Tod im Himmel nicht so recht wohl fühlte und daher mit dem Auftrag betraut wurde, in Zukunft die göttlichen Ratschlüsse an die bayerische Landesregierung zu überbringen. Auf dem Weg blieb er allerdings im Hofbräuhaus hängen, wo er nach Thoma noch immer sitzt.
Und nur selten war der Schlusssatz der Geschichte wahrer als heute: Die bayerische Landesregierung „wartet heute noch vergeblich auf die göttliche Eingebung“.
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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
Bild: Martina Birnbaum / Shutterstock.com
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