Black Metal gilt als rechtsextrem, nihilistisch und männlich-brutal. Ausgerechnet in diesem verrufenen Genre sucht die Musikerin und Philosophin Haela Hunt-Hendrix nach echtem Christentum und transzendentaler Erleuchtung

Hell und klar, verletzlich, so hebt der Gesang an. Haela Ravenna Hunt-Hendrix steht allein auf der kleinen Bühne, nur einen Mikrofonständer zwischen sich und den knapp hundert Metalheads, die in die Hamburger Hafencity gepilgert sind, um sich die Solo-Show der New Yorkerin anzusehen, die unter dem Namen Liturgy sonst als Quartett unterwegs ist. Loop über Loop erschafft sie einen Chor und das Gefühl der Verletzlichkeit transformiert sich in Erhabenheit. Für einen Augenblick fühlt sich das Clubschiff MS Stubnitz an wie ein Kirchenschiff.

Dann bricht das erste Riff herein, hart, brutal, heavy. Mühelos wechselt Hunt-Hendrix die Register: zwischen filigranen Melodien und schweren Riffs, sakralem Gesang und kultischem Gekrächze. In ihrer Solo-Show transform

transformiert sich der sonst durch ein gnadenlos treibendes Schlagzeug strukturierte Sound in einen abstrakten Klangteppich. Liturgy, das ist wörtlich zu nehmen. Die Widersprüche lösen sich auf und ein bisschen ist es wirklich wie eine heilige Kommunion. Die Gemeinde rückt zusammen. Nicht umsonst bezeichnet Hunt-Hendrix ihre Musik als „Transcendental Black Metal“.Placeholder image-1Diese Verbindung von Transzendenz und Black Metal ist nicht selbstverständlich. Kein Sub-Genre der modernen Unterhaltungsmusik ist gleichzeitig so berüchtigt und so wenig gehört. Das liegt auch am gewalttätigen Gründungsmythos der Szene: 1993 wurde der Frontmann der norwegischen Band Mayhem, Øystein Aarseth, genannt Euronymous, durch seinen Bandkollegen Varg Vikernes ermordet.Zuvor hatten Personen aus dem Umfeld der Szene durch Brandstiftung an historischen Holzkirchen und den Mord an einem schwulen Mann auf sich aufmerksam gemacht – weniger durch ihre Musik. Vikernes wurde später vor allem durch sein Solo-Projekt Burzum bekannt, das musikalisch zwar prägend für das Genre ist, aber ihm zugleich als Sprachrohr für seine faschistische Ideologie dient. Heute folgt daraus das Klischee von reaktionären jungen Männern, die mit schwarz-weiß verschmierten Gesichtern repetitiver Musik lauschen und dabei Fantasien von der „guten alten Zeit“ nachhängen.Musikerin und Philosophin gegen das ReaktionäreDass dieses Klischee eben nichts weiter ist als ein Klischee, zeigt Hunt-Hendrix. Sie ist alles, was den reaktionären Stimmen im Black Metal ein Dorn im Auge ist: Frau, trans, links, christlich. Vor allem aber ist sie alles andere als repetitiv. Der norwegischen Spielart – dem „hyperboreischen“ Black Metal – stellt sie ihre Vision eines transzendentalen Black Metal entgegen. Kurz nach Liturgys Debütalbum Renihilation (2009) veröffentlichte sie das Manifest Transcendental Black Metal: A Vision of Apocalyptic Humanism, in dem sie ihr musikalisch-philosophisches Programm vorlegt. Dieses brachte ihr den Ruf ein, abgehoben, esoterisch, gar unauthentisch zu sein. Das kann nicht überraschen, denn das Manifest hat es in sich.Hunt-Hendrix hantiert hier mit zutiefst metaphysischen Begriffen wie der „haptic void“, der haptischen Leere, die sie zum finalen, aber nie erreichbaren Grund des Metal erklärt. Gemeint ist ein metaphysisches Gefühl der Leere, das sich musikalisch im Drang zu immer intensiveren, brutaleren Arrangements, philosophisch im Hang zum Nihilismus ausdrückt. „Es ist ein Riss, ein Bruch, ein Mangel an Sein.“Der hyperboreische Black Metal ist die höchste Annäherung an diese Leere. Musik für den Polarkreis: „Das hyperboreische Reich ist brach, denn es hat keine Periodizität. Es gibt dort keine Geburt oder Tod, da die Sonne nie aufgeht oder versinkt.“ Dieser nihilistischen Idee des Black Metal stellt sie ihre Vision des Transcendental Black Metal entgegen: Eine Musik, die die haptische Leere durchquert hat und ihren Nihilismus verneint. Neben den klassischen Alben des Genres, Mayhems berüchtigtem De Mysteriis Dom Sathanas und Darkthrones Transilvanian Hunger aus dem Jahr 1994, spielt daher auch die Philosophie eine zentrale Rolle für sie. In der Idee der Aufhebung des Nihilismus in der Affirmation als letzten, nihilistischsten Akt, der Verneinung der Verneinung, ist sie von Hegel beeinflusst.Placeholder image-2Metal als gegenseitige FürsorgeZugegeben, das klingt erst mal recht verkopft. Doch für Hunt-Hendrix geht es dabei auch um ein politisches Projekt: Die Selbstüberholung der Gegenkultur. Was sie hier vom „hyperboreischen“ Black Metal übernimmt, ist eine Kritik der Moderne: Sie wendet sich gegen die Kommodifizierung und die Degradierung des Metal zu einer weiteren Spielart des Konsumismus. Insbesondere durch Acts wie Metallica, Slipknot oder nicht zuletzt auch Rammstein ist der Metal zu einem integralen Bestandteil der Musikindustrie geworden. So spielt er eine bestimmte politische Rolle dabei, wie sich Menschen im Kapitalismus selbst erfahren: schlimmstenfalls als maskulinistisch, reaktionär und gewalttätig.„Es geht gerade darum, diese reaktionäre Fantasie des Metal zu unterlaufen und den Raum zu öffnen für Anerkennung von Angesicht zu Angesicht, für gegenseitige Fürsorge“, sagt Hunt-Hendrix, als wir einige Tage vor ihrem Konzert in Hamburg sprechen. Hegel hat diese Idee die „Wahrheit des Christentums“ genannt und damit eine ganze Reihe Philosophie-Seminaristen recht lange beschäftigt. Doch eigentlich ist es gar nicht so abstrakt: Ein Mikrofon, ein Verstärker, eine Gitarre und eine Stimme im Bauch eines ausgemusterten Kühlschiffes, das ist alles, was es braucht, um uns mit dieser Wahrheit in Verbindung zu bringen.Und so einfach wie diese Mittel, so einfach ist diese Wahrheit: Hunt-Hendrix’ Verletzlichkeit ist ein Spiegel unserer eigenen Verletzlichkeit. Und gerade diese gegenseitige Erfahrung von Verletzlichkeit ist es, die sich in Erhabenheit verwandelt. Zumindest für diesen Abend haben wir ein Gefühl dafür, wie eine Welt aussehen könnte, die nicht auf individueller Stärke, sondern auf gegenseitiger Verbundenheit fußt.Das ist die Vision des apokalyptischen Humanismus, die sie mit ihrer Musik ins Werk setzen will: „Der Glaube an die Möglichkeit von Veränderung und Erlösung jenseits von dem, was alltägliche Politik zu leisten vermag, und die Überzeugung, dass diese messianische Vision durch Kunst, Wissenschaft und Philosophie erreichbar ist.“ Dieser Glaube ist eng verbunden mit ihrem theologisch-philosophischen Konzept des „emanzipativen Traditionalismus“, den sie in zahlreichen Youtube-Videos, Blogs und Podcasts dargelegt hat: „Ich denke, dass die Tradition die Macht hat, dich in Kontakt mit dem Heiligen zu bringen. Sie gibt dir Zugang zu einem weiten Spektrum an Emotionen, die einen anderen Rhythmus haben als die säkulare Moderne, die oft durch Hast und Ablenkung geprägt ist“, erklärt die Künstlerin. Demgegenüber gehe es ihr darum, einen „kollektiven Modus der Affirmation“ zu schaffen: „Ich denke, dass insbesondere liturgische Praktiken dazu geeignet sind, dich durch diesen Kontakt mit deinen Emotionen mitfühlender zu machen und so resilienter gegen reaktionäre Ideen.“Orthodox unorthodoxPlaceholder image-3Diese Ideen nimmt sie aus dem orthodoxen Christentum, über das sie auf ihrem Youtube-Kanal spricht. „Ich denke, das Christentum hat mit Augustinus und Thomas von Aquin einen falschen Weg eingeschlagen: Insbesondere Thomas hat im Katholizismus mit seinem rationalistischen Weltblick ein sehr viel düstereres Menschenbild verankert als in der östlichen Tradition. Gott hat bei ihm fast etwas Maschinelles.“ Ihr gehe es darum, die andere Tradition aufzuzeigen: von den kappadokischen Kirchenvätern im 4. Jahrhundert über Maximus Confessor bis zu Gregorius Palamas finde sich hier eine Theologie, in der die mystische und ästhetische Erfahrung nicht an den Rand gedrängt ist. „Anders als bei Thomas existiert Gott hier immanent in der Welt. Gleichzeitig hat die Betonung der liturgischen Praktiken etwas zutiefst Materialistisches an sich.“Der Bandname Liturgy ist also Programm. Nicht bloß in dem Sinne, in dem jedes Konzert, insbesondere im Metal, eine quasi-religiöse Erfahrung sein kann. Im schlimmsten Fall führt das zu Erstarrung in der Szene, wenn die Dogmatiker darüber bestimmen wollen, was echt und authentisch ist – und was fake und Pose. „Mensch* vergisst schnell, wie engstirnig die Metal-Szene sein kann, aber auch wie offen – in den letzten Jahren ist sie sehr viel aufgeschlossener gegenüber experimentellen Projekten wie unserem geworden.“Haela Hunt-Hendrix will die liturgischen Praktiken bewusst einsetzen, um in ihrer Musik ein Bild kommender Emanzipation vorzuzeichnen und uns ein Gefühl dafür zu geben, dass unsere Welt eine bessere sein könnte. Sie erinnert uns daran, dass Metal in seinen besten Momenten einen Zustand der Kommunion erzeugen kann, ein kosmisches Erlebnis, einen unmittelbaren Zusammenhalt gegenseitiger Anerkennung und Fürsorge. An diesem schwülen Sommerabend auf dem Clubschiff MS Stubnitz kommt so zusammen, was vielleicht schon immer zusammengehört hat: Black Metal und Hegels Idee des Christentums.

Alles lesen, was die Welt verändert.

  • Gute Argumente – 1 Monat lang kostenlos
  • Danach für € 16 im Monat weiterlesen
  • kein Risiko – monatlich kündbar

Jetzt kostenlos testen



Source link

Von Veritatis

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert