Mehrere Diakone örtlicher Seemannsmissionen in Schleswig-Holstein berichten, dass die Bundespolizei (BP) in den letzten Monaten zahlreichen russischen Seemännern den eigentlich völkerrechtlich verbrieften Landgang verwehrt hat. Dieses Vorgehen treffe ausschließlich russische Seemänner, unabhängig davon unter welcher Flagge das jeweilige Schiff fährt und auch bei national buntgemischten Besatzungen. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, wie das Innenministerium, dem die Bundespolizei untersteht, dieses völkerrechtswidrige Vorgehen, Diskriminierung ausschließlich auf Grund der Staatsbürgerschaft, rechtfertigt. Von Florian Warweg

Hintergrund

Laut dem „Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs“ (Convention on Facilitation of International Maritime Traffic – FAL) der UN-Schifffahrtsorganisation IMO (International Maritime Organization), welches den Landgang international regelt und dem neben 129 weiteren Staaten auch Deutschland beigetreten ist, sind Behörden seit 2018 in den Häfen völkerrechtlich verpflichtet, allen Seeleuten Landgang zu gewähren – ohne Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Staatsangehörigkeit, politischer Gesinnung oder der Flagge des Schiffes. Festgehalten ist dies in der FAL-Norm 3.44.

Ausnahmen von dieser FAL-Norm des freien Landgangs sind eigentlich nur bei begründeten Sicherheitsbedenken zulässig und dies auch nur nach intensiver Einzelfallprüfung – der betroffene Seemann und sein Kapitän sind zudem über das Ergebnis zu unterrichten.

In mehreren schleswig-holsteinischen Häfen soll sich die Bundespolizei bei der Verweigerung des Landgangs aber nicht an diese völkerrechtlichen Regeln halten. Zuerst hat darüber die junge Welt (jW) berichtet.

Wie zahlreiche Seemannsdiakone (Seelsorger für Seeleute bei Notfällen) übereinstimmend erklärten, habe die Bundespolizei unter anderem in den Häfen von Lübeck, Kiel, Rendsburg und Brunsbüttel gehäuft russischen Seeleuten den Landgang untersagt. Dies betrifft sowohl russische Besatzungen von Schiffen unter russischer Flagge, als auch russische Seeleute auf Schiffen beliebiger Flagge mit national völlig gemischten Besatzungen. In dem Zusammenhang muss man wissen, dass Seeleute mit russischer Staatsbürgerschaft weltweit auf vielen Schiffen beliebiger Reedereien und Flaggen tätig sind. In den genannten Häfen, so heißt es laut jW, sei das Landgangsrecht den Betroffenen mal pauschal, mal einzeln von der Bundespolizei verweigert worden – fast immer ohne jede ordnungsgemäße Begründung, wie es völkerrechtlich eigentlich in der schon erwähnten FAL-Norm 3.44 festgelegt ist.

Die Bundespolizei begründet ihr Vorgehen auf Nachfrage unter anderem mit dem Verweis auf auf den „Schengener Grenzkodex“ und die „Rechtsprechung des EuGH (Europäischen Gerichtshof)“, dass „angesichts der aktuellen Sicherheitslage“ jeder Antrag von russischen Seeleuten „intensiv im Einzelfall“ geprüft werden müsse. Dies könne so die BP in einigen Fällen „(…) auch zur Versagung eines Passierscheins (gemäß der sogenannten Aufenthaltsverordnung) führen. Insbesondere bei rein oder überwiegend russischer Besatzung oder direktem Anlauf aus der Russischen Föderation erfolgt die Ausstellung von Passierscheinen gegenwärtig restriktiv.“ Die Besatzungsangehörigen könnten aber „mit einem entsprechenden Visum (…) im Rahmen des Landgangs in die Bundesrepublik einreisen“.

Diese Ausführungen legitimieren jedoch in keiner Form das geschilderte Verhalten der Bundespolizei. Weder geht die dem BMI unterstehende Behörde darauf ein, dass die ausdrücklich im „Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs“ festgelegte Begründungspflicht bei Verweigerung des Landgangs gegenüber Seeleuten mit russischer Staatsbürgerschaft nicht eingehalten wird, noch berücksichtigt sie die FAL-Norm 3.45, die unzweideutig lautet: „Von Besatzungsmitgliedern wird kein Visum für den Landgang verlangt“.

Die Bundespolizei in Schleswig-Holstein und ihr fragwürdiges Verhältnis zum Völkerrecht…

Der Seemannsdiakon Marco Folchnandt aus Lübeck berichtet gegenüber der jW, es habe dort in jüngster Zeit Landgangsuntersagungen bei mehr als 20 Schiffen gegeben, betroffen waren allein in diesem Hafen „mindestens 100 russische Seeleute“. Sein Kollege Leon Meier aus Brunsbüttel verweist auf weitere Fälle. So hätte Mitte Juni ein Schiff mit rund 15 russischen Besatzungsmitgliedern etwa eine Woche im Hafen gelegen – „keines dieser Crewmitglieder durfte an Land gehen“ so Meier und nennt ein weiteres Beispiel:

„Ein anderes Schiff läuft wöchentlich Brunsbüttel an – der Kapitän ist Russe, die Offiziere stammen aus der Ukraine, die übrige Besatzung von den Philippinen. Während alle anderen Crewmitglieder regelmäßig an Land dürfen, wird dem russischen Kapitän der Landgang verweigert.“

Auch aus Rendsburg, so Meier, sei ihm berichtet worden, dass seit Februar 2025 bei rund 16 Schiffen den jeweils russischen Seeleuten ein Landgangsverbot erteilt worden sei; dabei sei es unerheblich gewesen, ob es sich um komplett russische oder um gemischte Besatzungen gehandelt habe.

Matthias Ristau, Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission bezweifelt in diesem Zusammenhang offen die Rechtmäßigkeit des geschilderten Vorgehens der Bundespolizei:

„Die FAL ist per Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in deutsches Recht überführt worden und somit rechtlich höherwertig als jede nationale Verordnung. Passierscheine oder Visa haben, so gesehen, in etwaigen Landgangsprüfungen überhaupt keine Rolle zu spielen – es gelten einzig die Bestimmungen der FAL.“

Die vorliegenden Berichte über die Verweigerung des Seegangs für russische Seeleute durch die Bundespolizei betrifft dabei nach aktuellem Kenntnisstand ausschließlich Häfen in Schleswig-Holstein – aus keinem anderen der deutschen Seehäfen zwischen Emden (Niedersachsen) bis Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) ist ein ähnliches Vorgehen der Bundespolizei bekannt. Auch dieser Aspekt spricht eher für ein willkürliches als für ein rechtsbasiertes Agieren in diesem Fall.

Vor diesem Hintergrund und den dargelegten unzureichenden Erläuterungen der Bundespolizei, ist die „Antwort“ des BMI-Sprechers auf der BPK und dessen Verweis, er wisse von nichts, man solle sich doch „diesbezüglich bitte an die Bundespolizei wenden“ – geradezu eine kommunikative Bankrotterklärung was die Transparenz behördlichen Verhaltens angeht. Wir sprechen hier wohlgemerkt von dem Vorgehen einer staatlichen deutschen Bundesbehörde, welches nach aktuellem Wissenstand selektiv Völkerecht in Form des UN-Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs bricht…

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 7. Juli 2025

Frage Warweg
Mehrere Diakone örtlicher Seemannsmissionen in Schleswig-Holstein berichten, dass die Bundespolizei in den letzten Monaten zahlreichen russischen Seemännern den eigentlich völkerrechtlich verbrieften Landgang verwehrt habe. Dieses Vorgehen treffe ausschließlich russische Seemänner, auch auf Schiffen beliebiger Flagge mit national gemischten Besatzungen. Laut dem Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs der UN-Schifffahrtsorganisation IMO, welches den Landgang international regelt und dem auch Deutschland beigetreten ist, sind Behörden in den Häfen verpflichtet, allen Seeleuten Landgang zu gewähren, ohne Diskriminierung von Staatsangehörigkeit oder politischer Gesinnung oder auch Flagge des Schiffes. Da würde mich interessieren: Wie rechtfertigt denn das BMI generell dieses gerade geschilderte Vorgehen gegen Seeleute mit russischer Staatsbürgerschaft?

Bowinkelmann (BMI)
Das, was Sie gerade gesagt haben, ist mir nicht bekannt. Dafür müssten Sie sich gegebenenfalls an die Bundespolizei wenden.

Zusatzfrage Warweg
Verbessern Sie mich gegebenenfalls, aber das BMI ist in der Aufsichtspflicht und Befehlsgeber gegenüber der Bundespolizei. Das ist auch durchaus durch die Medien gegangen. Heißt das, dass Sie sagen, das BMI habe davon keinerlei Wissen oder sei darüber nicht informiert?

Bowinkelmann (BMI)
Ich habe gesagt, dass Sie sich diesbezüglich bitte an die Bundespolizei wenden müssten. Richtig ist, dass die Bundespolizei zum Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums gehört.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 07.07.2025



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Von Veritatis

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