Wenn wir unsere Freiheit gegen autoritäre Übernahmen verteidigen wollen, haben wir spirituellen Nachholbedarf

Illustration: Viktoria Cichoń


Donald Trump geht die autoritäre Umgestaltung der USA konsequent an. Atemberaubend ist seine messianische Selbstinszenierung: das Land „zu heilen“ und in ein „goldenes Zeitalter“ zu führen. Diese Verbindungen von politischer Rationalität und Religion sollte man nicht einfach als US-Folklore abtun.

Eine Blaupause für die religiöse Aufladung seiner Politik hat der Autoritarismus unserer Tage in der politischen Theologie des Faschismus. Nachzulesen bei dem deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt. Es ist eine politische Theologie ohne Gott, die ihre Anziehungskraft aus Versatzstücken der christlichen Tradition zieht. Im Zentrum steht die sakrale Überhöhung der politischen Entscheidung zum gemeinschaftsstiftenden Schöpfungsakt.

fungsakt. Mit ihren Entscheidungen sollen die politischen Anführer die Einheit der Gemeinschaft herstellen, auf die jede Rechtsordnung angewiesen sei. Dafür werden ihre Entscheidungen der rechtsstaatlichen Kontrolle entzogen: die Justiz entmachtet und hohe Beamte gleichgeschaltet. Verbunden wird dies mit dem Versprechen auf innerweltliche Erlösung aus der aktuellen Misere. Man denke an Trumps goldenes Zeitalter, in dem das verlorene Paradies der goldenen 50er zurückgewonnen wird: als man noch reich und gesund war. Die Kosten der autoritären Umgestaltung der politischen Ordnung liegen freilich auf der Hand: Gewalt gegen Migranten, steigende Kriegsgefahren, Verluste politischer Freiheit.Die Attraktivität des religiös aufgeladenen Autoritarismus hat auch mit Defiziten des politischen Liberalismus zu tun. Der politische Liberalismus nimmt an, dass sich die demokratischen Prozesse selbst begründen: dass sie die Bürgerinnen und Bürger zu differenziert urteilenden Demokratinnen und Demokraten bilden. Er übersieht, dass die Menschen bereit sein müssen, sich auf die demokratischen Verfahren einzulassen. In praxi haben es die liberalen Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg versäumt, die religiösen Quellen zu pflegen, auf die der demokratische Rechtsstaat angewiesen ist, ohne sie selbst hervorbringen zu können. In unseren Tagen werden die Kosten dieser Versäumnisse offensichtlich. Die liberalen Demokratien werden von den sozialen Realitäten unterminiert: von der kapitalistischen Heiligung des Eigennutzes, der Polarisierung der öffentlichen Meinungen in den sozialen Medien, aber auch von Erfahrungen sozialer Kälte. Aus autoritärer Perspektive sind solche Demokratiekrisen apokalyptische Ausnahmezustände, in denen die Gemeinschaft durch entschiedenes Handeln zu verteidigen ist: gegen Überfremdung, Anarchie, internationale Vorgaben, elitäre Wokeness, Verkommenheit.Für den Erhalt politischer Freiheit ist es wichtig, die demokratischen Institutionen, insbesondere die Justiz, rechtlich gegen autoritäre Übergriffe abzusichern. Für sich genommen kann dies den demokratischen Rechtsstaat jedoch nicht bewahren. Er muss getragen werden. Verlangt ist eine politische Theologie, die sich nicht gemein macht mit dem Autoritarismus und seiner religiösen Überhöhung der politischen Entscheidung. Sie hat vielmehr die spirituellen Quellen des demokratischen Rechtsstaats zu reflektieren und zu fördern.Von den Vertretern der Kirchen ist nicht viel zu erwarten. Potenziale für eine spirituelle Erneuerung des sozialen Miteinanders bieten Praktiken der Einkehr, der Meditation, Kontemplation und des Gebets. Hier wird spirituelle Erhöhung mit Demut verschränkt. Beides greift etwa ineinander, wenn in der Meditation Stille und Dunkelheit aufgesucht werden, um das eigene Urteilen und Handeln auszusetzen, Leitbilder von sich selbst und dem Transzendenten zur Disposition zu stellen. Diese spannungsreiche Verschränkung von eigener Wichtigkeit und Unzulänglichkeit bereitet der demokratischen Rechtsordnung den Boden. Dies hat nichts mit dem Herstellen einer homogenen Gemeinschaft oder mit innerweltlicher Erlösung zu tun. In existenziellen Glaubensprozessen werden vielmehr Einstellungen eingeübt, die dem demokratischen Miteinander zugutekommen. Es wird gelernt, akute Gefahren anzuerkennen und gleichwohl gelassen zu bleiben – um dann umsichtig zu handeln. Im Verhältnis zu den anderen werden Haltungen erworben, die zu einer pluralistischen Form von Politik motivieren: das Bewusstsein der eigenen Verantwortung und Angewiesenheit auf andere, Urteilsenthaltung, Kritikfähigkeit, Solidarität.Um den bedrängten demokratischen Rechtsstaat zu stärken, sollte mit einem bornierten Säkularismus Schluss sein. Aktiv wären Räume und Zeiten der Meditation und des Gebets zu fördern.



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Von Veritatis

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