Der innere Zusammenhalt der Neuen Volksfront erscheint gefährdet. Von La France Insoumise abgesehen, wollen die anderen Linksparteien durch Kompromisse einen Zustand der gegenseitigen Blockaden beenden
Er geht bestimmt auch mit 64 noch nicht in Rente, sondern sieht sich dann wahrscheinlich als UN-Generalsekretär
Foto: Laurence Geai/Laif
Quer durch die politischen Lager in Frankreich herrscht Einigkeit bei einem Thema – der vehementen Ablehnung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay, durch das viele Landwirte ihre Existenz bedroht sehen. Die von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gefeierte Unterzeichnung in Montevideo sei „eine Schande“, meint Boris Vallaud, Fraktionschef der Sozialisten in der Nationalversammlung. Man solle die Gelder einbehalten, die Frankreich an die EU überweist, findet Jean-Luc Mélenchon von der Linkspartei La France Insoumise (LFI).
Doch wird die Verstimmung wegen des Mercosur-Vertrages von der Frage in den Hintergrund gedrängt, wen denn Präsident Macron zum neuen Premierminis
emierminister ernennt, nachdem Michel Barnier gescheitert ist. In der Linksallianz NFP kristallisieren sich dazu zwei Tendenzen heraus. Um Bewegung in die verfahrenen Fronten zu bringen und einen besseren Haushalt verabschieden zu können, sind Sozialisten, Grüne und Kommunisten zu Kompromissen und einem „Anti-Misstrauensabkommen“ mit den Zentristen bereit. Das LFI dagegen will auf keinen Fall mit den neoliberalen Macronisten verhandeln und strebt eine „Bürgerrevolution“ oder „eine VI. Republik“ an, also einen Bruch mit dem jetzigen System. Es könnte sein, dass die Linksallianz daran zerbricht.Kein vorzeitiger AbgangNach einem von der Neuen Volksfront eingebrachten und vom rechtsnationalen Rassemblement National (RN) unterstützten Misstrauensvotum war Michel Barnier von der Sechs-Prozent-Partei Les Républicains (LR) vor Tagen zurückgetreten. Zum Auslöser wurde sein Versuch, einen Sozialhaushalt voller Sparoptionen per Dekret durchzusetzen. Dazu wurde er vom RN verleitet, das ihn wochenlang geduldet hatte, zuletzt allerdings auf ein Zugeständnis nach dem anderen bedacht war. Parteichefin Marine Le Pen setzt offenbar auf eine baldige Präsidentenwahl, da sie Ende März das passive Wahlrecht verlieren könnte, verurteilt wegen der Anstellung von Phantom-Mitarbeitern, womit sie EU-Gelder in Millionenhöhe veruntreut haben soll.Der Präsident, der sich gemäß dem politischen System Frankreichs weitgehend aus dem Tagesgeschäft der Innen- und Wirtschaftspolitik heraushält, ist wieder einmal zum zentralen Akteur geworden. Zwar ist Macron extrem unbeliebt und wird allgemein als Hauptverantwortlicher für die Pariser Dauerkrise gesehen (zwei Drittel der Franzosen hätten absolut nichts gegen seinen Rücktritt), doch lässt er sich nichts anmerken oder kennt keine Reue. Seine „unvermeidliche Entscheidung“, nach der für die eigene Partei desaströsen EU-Wahl am 9. Juni Neuwahlen auszurufen, sei „nicht verstanden worden“, räumte er in einer Fernsehansprache ein. Seine verbleibende Amtszeit von zweieinhalb Jahren wolle er nicht vorzeitig beenden. Michel Barnier sei durch eine „antirepublikanische Front zwischen der extremen Linken und der extremen Rechten“ gestürzt worden, „mit der Hilfe von Kräften, die gestern noch Frankreich regiert haben“, so Macron, ein Seitenhieb auf die Sozialisten.Ungeachtet dessen bewegt sich Olivier Faure, Chef des Parti Socialiste (PS) und ein Architekt der Volksfront, überraschend deutlich auf Macron zu. Er stellt „wechselseitige Konzessionen“ und „Kompromisse bei allen Themen“ in Aussicht, sogar bei der Rücknahme von Macrons Rentenreform. Dieser Vorstoß löste nicht nur bei seinen Mitarbeitern Entsetzen aus, schreibt Le Monde, Faure steuere immer mehr auf einen Bruch mit La France Insoumise zu. Immerhin beteuerte er nach einem Sondierungsgespräch beim Staatschef, die Ernennung eines linken Politikers zum Premier sei Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung. Noch konzilianter gibt sich der KP-Vorsitzende Fabien Roussel, der schon vor Wochen angekündigt hat, künftig nicht mehr mit dem Logo der Volksfront antreten zu wollen. Nach seinem Termin im Élysée wurde klar, auch er besteht nicht auf der vollständigen Rücknahme der Rentenreform, mit der das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre erhöht wurde. Es müssten Lösungen gefunden werden, um vorwärts zu kommen, etwa zum Erhalt der Kaufkraft, so Roussel.Mélenchons „Unbeugsame“ setzen unbeirrt auf einen Rückzug Macrons und damit ein äußerst unwahrscheinliches Szenario. An einer Koalitionsregierung wollen sie weiterhin nicht teilnehmen und schlagen deshalb Macrons Gesprächsangebote aus. Gebetsmühlenartig bekräftigt Jean-Luc Mélenchon seit der Parlamentswahl Anfang Juli immer wieder: Umgesetzt werden müsse „das Programm, nichts als das Programm“ der Linksallianz.Eine Mittelposition nimmt Grünen-Chefin Marine Tondelier ein, die gern zusammen mit Lucie Castets auftritt, der parteilosen Politikerin, die das Linksbündnis im Sommer als Regierungschefin nominiert hatte. Beide lancierten einen Appell, in dem sie sich für eine basisorientierte programmatische Arbeit einsetzen, und richteten eine Website mit dem optimistischen Titel „Zusammen gewinnen“ ein. Macron lud sämtliche Parteien außer LFI und RN zu einem gemeinsamen Runde ein, doch will sich die Spitzengrüne nicht an einer Regierung mit den Macronisten beteiligen. Macron wolle die Volksfront spalten, warnt Tondelier couragiert.Von einer nächsten Regierung sei höchstens eine Stabilisierung des Landes zu erwarten, meint Raphaël Glucksmann, der 2027 für die Sozialisten um die Präsidentschaft kämpfen will. Nachdem sich die Linke bewegt habe, sei nun das Zentrum an der Reihe. Doch das ist zerstritten, sodass ein schneller Ausweg aus einem Zustand der gegenseitigen Blockaden nicht in Sicht ist und die Ultrarechte von der damit einhergehenden Politikverdrossenheit profitiert, selbst wenn der direkte Einfluss des RN zurückgeht. Es bleibt weiter unwahrscheinlich, dass Emmanuel Macron einen linken Ministerpräsidenten bestimmt, wie es das Wahlergebnis vom 7. Juli nahelegt.