Man kann die Wahlentscheidung unendlich verkomplizieren. Man kann es aber auch sehr einfach machen und gemäß objektivem Klassenstandpunkt wählen. Dann ginge es fast allen besser. Für die unteren 70 Prozent gäbe es nur eine wählbare Partei


Von ihrer Politik profitieren die Menschen am meisten: Jan van Aken und Heidi Reichinnek beim Bundesparteitag der Linken im Januar

Foto: IMAGO / IPON


Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht – dieser ansonsten unsäglich egoistische Spruch hat ausgerechnet in der Herzkammer der Demokratie seine Berechtigung: in der Wahlkabine. Denn wenn da jeder gemäß seiner gesellschaftlichen Lage entscheiden würde, also nach objektivem Klassenstandpunkt, dann wäre wirklich fast allen Menschen in diesem Land geholfen.

Klar, das klingt sehr simpel. Aber wählen zu gehen ist ein Akt drastischer Komplexitätsreduktion. Als Wähler muss man eine Vielzahl von Interessen, Werten, Gefühlen in einer einzelnen Handlung ausdrücken. Und weil diese Aspekte oft über Kreuz liegen, muss man abwägen: Innenpolitik gegen Außenpolitik, Sozialpolitik gegen Wirtschaftspolitik, Minderheitenpolitik gegen

reuz liegen, muss man abwägen: Innenpolitik gegen Außenpolitik, Sozialpolitik gegen Wirtschaftspolitik, Minderheitenpolitik gegen Sicherheitspolitik. Keine dieser Abwägungen wird der Komplexität einer modernen Gesellschaft gerecht – das Unbehagen an der eigenen Stimme ist in den demokratischen Prozess eingepreist. Und dann muss man auch noch entscheiden: Wähle ich nach Überzeugung oder nach Taktik?Taktisch zu wählen, mag in vielen Wahlkreisen bei der Erststimme Sinn ergeben. Aber für die Zweitstimme ist die einzige taktische Entscheidung, die sich lohnt, die für eine Partei, die Chancen hat, in den Bundestag einzuziehen.Klare Lager: Rechte für Reiche, Linke für ArmeOrientierten sich die Menschen an ihrem objektiven Klassenstandpunkt, die politische Lage wäre eine radikal andere – denn die meisten Menschen haben ähnliche Interessen. Über die Hälfte der Bevölkerung lebt zur Miete. Von rund 46 Millionen Erwerbstätigen sind gut 42 Millionen Angestellte, dazu kommen rund 2,79 Millionen Arbeitslose. All diese Menschen würden von mehr Mieterschutz genauso profitieren wie von einer Politik, die Besitzende mehr zur Kasse bittet und dafür jene entlastet, die nur ihre Arbeitskraft zu Markte zu tragen haben. Sicher, viele Menschen, die ihren Lebensunterhalt durch Lohn oder Gehalt bestreiten, sind auch Eigentümer, etwa von Häusern oder Wohnungen. Doch auch sie leben in einem gewaltigen sozialen Abstand zu den ganz Reichen, den Besitzern von Unternehmen und Grund, den Kapitalisten.Das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW) hat im Auftrag der Süddeutschen Zeitung modellhaft ausgerechnet, welche Auswirkungen die Programme der einzelnen Parteien auf verschiedene gesellschaftliche Schichten hätten. Dabei wurden Pläne wie die Veränderungen von Freibeträgen und Steuersätzen sowie des Mindestlohns und des Bürgergelds berücksichtigt und die Effekte nach Einkommensgruppen aufgeschlüsselt.Placeholder image-1Das Ergebnis zeigt einerseits, dass alle Parteien die meisten Menschen finanziell entlasten wollen und andererseits eine eindeutige Lagerbildung: Während Union, AfD und FDP die Reichen wesentlich mehr entlasten wollen als die Armen (bei der FDP müssten die Ärmsten sogar Einkommenseinbußen hinnehmen, da sie den Regelsatz des Bürgergelds absenken will), sieht es bei SPD, Grünen, BSW und Linke umgekehrt aus. Die Unterschiede bei den ersten drei genannten sind allerdings gering: Sie alle wollen vor allem die Mittelschicht entlasten, die Ärmeren etwas weniger – und die Reichsten moderat zur Kasse bitten. Bei der Linken gibt es starke Ausreißer in der untersten und der obersten Gruppe, aber auch die Mitte profitiert hier am meisten im Vergleich zu den anderen Parteien.Interessant ist dabei der Blick auf die Einkommensdezile, also die Unterteilung in zehn gleich große Einkommensgruppen, da sich die Gruppen so besser vergleichen lassen. Bis ins 7. Einkommensdezil liegt die Linke gegenüber allen Parteien vorne. Ab dem 8. bieten FDP und AfD mehr, ab dem 9. die CDU und das 10. wird von links zur Kasse gebeten, von rechts extrem entlastet. Es gibt also nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung, für die es finanziell nicht sinnvoll wäre, Die Linke zu wählen. Deutlich sind die Unterschiede aber teilweise auch zu den anderen Mitte-Links-Parteien. Während das BSW etwa eine Milliardärsteuer in Höhe von 3 Prozent fordert, verlangt Die Linke 12 Prozent. Auch beim Bürgergeld unterscheiden sich die Geschiedenen: Die Linke will eine sanktionsfreie Mindestsicherung, die sich an der Armutsgefährdungsgrenze orientiert. Das BSW spricht nur von einer fairen Grundsicherung, lehnt laut Wahl-O-Mat Sanktionen aber nicht grundsätzlich ab.Die Linke sticht alle anderen aus, auch SPD, Grüne, BSWWer das Medianeinkommen von knapp 40.000 Euro brutto verdient, hat mit der Linken 2376 Euro mehr im Jahr – mehr als doppelt so viel, als bei den anderen drei Parteien. Noch stärker ist der Effekt für die Ärmsten zehn Prozent. Diese hätten durch die Politik der Linken 2951 Euro mehr – bei den anderen nur wenige hundert Euro. Konsequenterweise würde bei der Linken die Armutsrisikoquote um 15,9 Prozent sinken, bei den Grünen um 5 Prozent, bei der SPD bliebe sie praktisch gleich, beim BSW würde sie sogar um 4,2 Prozent steigen – mehr als bei der Union.Bezieht man die Mietenpolitik mit ein, verstärkt sich dieses Bild nur. Während Grüne und SPD lediglich die bisher fast nutzlose Mietpreisbremse verschärfen wollen, will das BSW zwar Mietenstopps „ermöglichen“, nur Die Linke will sie aber konsequent einführen, zu hohe Mieten absenken und außerdem den Kündigungsschutz stark verbessern sowie Index- und Staffelmieten verbieten.Das alles ist übrigens auch gegenfinanziert, anders als bei den rechten Parteien, deren Pläne gigantische Löcher in den Haushalt reißen würden. Bei der Linken käme sogar ein dickes Plus von 46 Milliarden für den Haushalt heraus.Es ist also eindeutig: Vor allem Mieter und Angestellte mit mittleren oder niedrigeren Einkommen, aber letztlich fast alle würden von der Politik der Linken am meisten profitieren. Da es bei dieser Partei überdies eine Korrelation zwischen starker Sozialpolitik und liberaler Gesellschaftspolitik gibt (anders als etwa bei Grünen und BSW, die je in eine der Richtungen Abstriche machen), muss man zumindest bei diesem Thema keine Abstriche machen. Es gibt also nach objektiver Klassenlage für die meisten Menschen nur eine Partei zu wählen. Sofern man bereit ist, deren außenpolitischen Kurs zu ertragen.



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Von Veritatis

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