Die Bandmauer muss weg, ruft US-Vizepräsident J. D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz und holt zum Rundumschlag auf den Zustand von Demokratie und Meinungsfreiheit in Europa aus. Die deutschen Reaktionen fallen erwartbar aus


„Die Gefahr, die ich in Europa am größten sehe, ist nicht Russland oder China oder ein anderer externer Akteur“, sagt US-Vizepräsident J. D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Die größte Gefahr liege im Inneren

Foto: Thomas Kienzle/AFP/Getty Images


Der Retter naht. Die Geknechteten atmen auf. Die Amerikaner befreien uns ein zweites Mal, diesmal nicht von Hitler, sondern von der Brandmauer. Es ist beinahe komisch: Während das deutsche Volk, wie ganz Europa, zittert vor den geopolitischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen, die aus Ost und West drohen, telefoniert der US-Präsident, über unsere in antidiplomatischer „Freiheits“-Ideologie weggeduckten Köpfe hinweg, mit Wladimir Putin, bereit, die Freiheit anderer zu verzocken. Und sein Vize spielt sich zu unserm religiös verbrämten Fürsprecher auf: „Die Demokratie beruht auf dem heiligen Grundsatz, dass die Stimme des Volkes zählt“, sagt J. D. Vance in seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz

pielt sich zu unserm religiös verbrämten Fürsprecher auf: „Die Demokratie beruht auf dem heiligen Grundsatz, dass die Stimme des Volkes zählt“, sagt J. D. Vance in seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz.Vance will auch Germany great again machen, gibt sozusagen den Donald Trump der kleinen Leute für uns, so großzügig sind die Amis wie früher mit ihrer Schokolade. Fehlt nur noch, dass er „Isch bin ain Börliner“ proklamiert. Diesmal schenkt er uns seine antideutsche, antieuropäische Meinung. In knapp 20 Minuten entnazifiziert er uns zum zweiten Mal, er entbrandmauerisiert uns, die wir im Vergleich zu seinen Landsleuten quasi in der Diktatur leben, hoheitlich ins Mikrofon sprechend, als wären wir noch ein besetztes Land, hat keinen Gesprächsbedarf, wird direkt von der Münchner Sicherheitskonferenz zurück zum Flughafen kutschiert und fliegt back in sein nationalistisches, minderheitenfeindliches, selbstgerechtes, bigottes Amerika.Und Alice Weidel leckt dem US-Vizepräsidenten die StiefelWer darüber jubelt, ist klar: Alice Weidel hält Vance‘ Rede für „exzellent“, was nicht weit weg ist von der Exzellenz, mithin der Erhabenheit und Herrlichkeit des Herrschers, dem man die Stiefel leckt.Das überrascht denn doch: Da beleidigt ein exzentrischer, überspannter Politiker von jenseits des Atlantiks die hiesige Meinungsfreiheit als mangelhaft – nicht etwa die in Russland, oder in China, oder an den US-amerikanischen Universitäten, in denen das vorauseilend gehorsame Klappehalten sich breit macht. Und was sich „Alternative für Deutschland“ nennt, so oft wie möglich „national“, „Volk“ und „patriotisch“ tönt, in jeder zweiten Talkshow und in jedem dritten Tiktok-Kanal ungehemmt die eigene Propaganda verbreiten kann, wirft sich dankbar dem US-Herrn zu Füßen, „exzellent“ hauchend. Weil Vance mit einem Fingerschnippen die heilige Kuh hiesiger Demokraten ins Wanken bringt: die (peinlich dysfunktionale) „Brandmauer“. Okay, dazu hätte es ihn nicht gebraucht.Die Antwort auf Vance und Weidel? Vorhersehbar moralisch empörtWill das deutsche Volk, das laut AfD und Vance von üblen Meinungsverbietern und Brandmauererrichtern geknechtet wird, unser Land wirklich denen überlassen? Die so viel, Pardon, Scheiße erzählen, dass es zum Himmel stinkt? Schade nur, dass die Reaktionen auf Vance‘ Rede so vorhersehbar empört bis herablassend sind. Man hätte auch souverän und sachlich auf seine Anwürfe eingehen können, statt sich mal wieder in Moralergüssen zu ergehen.Eines sollte man bei all der Aufregung nämlich nicht vergessen: Vance hat, wahrscheinlich ungewollt, durchaus einen Punkt. Die Meinungsfreiheit ist in den neoliberalen Demokratien tatsächlich eingeschränkt, nicht nur hierzulande. Es kommen nahezu ausschließlich diejenigen reichweitenstark öffentlich zu Wort, die „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ für den einzigen Weg zum Heil halten. Sobald jemand auch nur vorsichtig an diesem Dogma zweifelt oder gar alternative Gesellschaftsformen ins Gespräch zu bringen versucht, wird ihm nervös der Ton abgedreht. Nicht extra, nicht verschwörerisch, eher aus Reflex. Aus Angst vor fremdem Denken und echter Veränderung. Und weil sich nicht-wirtschaftsliberale Meinungen, Gedanken, Ideen nicht rechnen.Die Meinungsfreiheit wird massiv eingeschränkt, von uns selbst, von unserer Schere im Kopf, von der uralten Lüge Alternativlosigkeit, vom Profit-Fetisch, von der Kommerzialisierung der Sprache und Beziehungen und so weiter – aber gewiss nicht von Molz, Scherz, Hystorius, Babeck oder Haerbock.



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Von Veritatis

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