Der Reformator Thomas Müntzer war eine leitende Figur in den deutschen Bauernkriegen. In der DDR wurden seine Originalhandschriften Josef Stalin geschenkt und lagern bis heute im Moskauer Archiv
Das Thomas-Müntzer-Denkmal in Mühlhausen
Foto: Frank May/Picture Alliance/dpa
So heißt es in Martin Hellbergs Thomas-Müntzer-Film aus dem Jahr 1956 – dem vielleicht aufwendigsten Leinwandepos, das die DEFA jemals gedreht hat, mit dem Bühnenschauspieler Wolfgang Stumpf in der Hauptrolle. Der MDR hat den Film unlängst gezeigt, er ist noch in der Mediathek zu finden. In dieser einen Szene fast zum Schluss fleht ein sichtlich erschöpfter Bauernführer seine Frau „Otti“ an und spricht von sich in der dritten Person: „Rettet sein Wort! Rettet den Sinn der großen Sach! Dann wird auch der Müntzer gerettet!“ Und einen Atemzug später mit letzter Kraft: „Rette meine Schriften!“
Und tatsächlich: Ottilie rettet sich, das gemeinsame Kind und noch dazu Müntzers Handschriften. In der Schl
n der Schlussszene liest ein gewisser Schwabenhannes – unter schwarz-rot-goldener Fahne – Müntzers Vermächtnis vor: „Liebe Brüder! Wir dürfen nit länger schlafen! Der Meister will sein Spiel machen. Die Bösewichter müssen Dran! Dran! Dran!“In Wahrheit hatten vermutlich Philipp von Hessen oder Herzog Georg von Sachsen Müntzers Briefe und Dokumente an sich genommen. Diese überstanden später im Dresdner Archiv, wie durch ein Wunder, die Bombardierung der Stadt im Februar 1945. Doch „Müntzers Enkel“ verschenkten die Originalhandschriften an Stalin. Ein Präsent mit vielsagender Widmung: „Dem Freund des deutschen Volkes, dem weisen Führer des Sowjetvolkes, zu seinem 70. Geburtstag. 21. Dezember 1949“Bis heute lagern die Dokumente im Moskauer Archiv. Und weder Stalin noch die sächsischen SED-Genossen werden überhaupt Ahnung gehabt haben vom Inhalt des Geschenks. Als Theologe war Müntzer der Endzeitprophet schlechthin. In seinen Schriften werden die Gottlosen „vom Stul“ gestoßen und die Niedrigen erhoben. „Gott verachtet die großen Hansen“. – Das „geistlose, sanftlebende Fleisch zu Wittenberg“, wie Müntzer seinen Widersacher nannte, sah das dezidiert anders. „Jedermann sei untertan der Obrigkeit“ (Römer 13) lautet eine zentrale Botschaft in Luthers Übersetzung des Neuen Testaments. Eben deshalb stand der Oberreformator dem SED-Politbüro ideologisch viel näher als der Aufrührer Thomas Müntzer. In der Honecker-Ära war Müntzer eine Tradition, die nach und nach an Bedeutung verlor. Luther aber war ein Erbe, das die SED beanspruchte, daher auch 1983 das große Spektakel zu Luthers 500. Geburtstag.Placeholder image-1Sucht und OrdnungKarsten Krampitz hat 2025 mit Albert Scharenberg den Band „Dran! Dran! Dran!“ Thomas Müntzer, der Bauernkrieg und die Entblößung des falschen Glaubens im Alibri-Verlag herausgegeben und schreibt im Freitag die monatliche Kolumne „Sucht und Ordnung“.
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