Linke Parteien wie BSW und Linke kratzen kurz vor der Bundestagswahl an der 5-Prozent-Hürde. Ist die Stimme für eine kleine Partei verloren, sollte sie es nicht in den Bundestag schaffen? Nicht unbedingt, klären Politikwissenschaftler auf


Jede Stimme zählt

Foto: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance


Der Wahl-O-Mat läuft heiß, Robert Habeck und Alice Weidel hüpfen in die TikTok-Feeds deutscher User:innen und die Gesichter von Olaf Scholz und Friedrich Merz lauern an jeder Ecke. Der Countdown läuft: Noch zehn Tage bis zur Bundestagswahl und noch immer sind viele Wähler:innen unentschlossen. Laut Umfrageinstitut Infratest dimap waren Anfang Februar rund ein Viertel der Wahlberechtigten noch nicht sicher, welcher Partei sie ihre Stimme geben wollen.

Zu Recht: Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sind komplizierter geworden, BSW, FDP und die Linke rangieren in Umfragen knapp über oder unter der Fünf-Prozent-Hürde und wie war das noch gleich mit den Erst- und Zweitstimmen? Viele Wähler*innen, die sich eher links orientieren, fragen sich, o

noch gleich mit den Erst- und Zweitstimmen? Viele Wähler*innen, die sich eher links orientieren, fragen sich, ob ihre Stimme am Ende nicht verloren geht, wenn sie sich für Volt, das BSW oder die Linke entscheiden, und die Partei es dann nicht in den Bundestag schafft.So zeigt eine aktuelle Studie der Universität Potsdam: Ob eine Partei in den Umfragen knapp über oder unter der Fünf-Prozent-Hürde steht, beeinflusst, ob sich Wähler:innen für eine andere Partei entscheiden, weil sie Angst haben, ihre Stimme zu verschwenden. Das Problem: Die statistischen Unsicherheiten der Wahlumfragen werden von Wähler:innen meist nicht bei ihrer Entscheidung berücksichtigt. Wenn das BSW etwa in den Umfragen bei vier Prozent liegt, könnten es in Wahrheit – oder später an der Wahlurne – genauso gut über 5 Prozent sein.Der Unterschied zwischen einer 2-Prozent-Partei und Linke oder BSWDenise Al-Gaddooa und Felicia Riethmüller forschen an der Universität Göttingen zu Parteien und Wahlprogrammen. „Umfragen bringen immer eine Restunsicherheit mit“, erklärt Politikwissenschaftlerin Riethmüller. „Das Wählen basierend auf diesen Umfragen ist also eine Risikoabwägung.“ Zu sehr solle man sich nicht von kurzfristigen Umfrageergebnissen beeinflussen lassen. Allerdings kann die Zahl der Stimmen auf die Parteien, die nicht in den Bundestag einziehen, das Kräfteverhältnis im Bundestag ziemlich durcheinander bringen. „Je mehr Stimmen auf diese Parteien fallen, desto weniger Wählerstimmen sind für die Regierung notwendig, um eine absolute Mehrheit zu erreichen“, sagt Politikwissenschaftlerin Al-Gaddooa. Wer also Kleinparteien wählt, die wohl chancenlos sind, stärkt automatisch die Parteien, die den Einzug in den Bundestag schaffen. Die Kampagnenorganisation Campact, die dazu aufruft, strategisch zu wählen, argumentiert gar: „Wer Kleinstparteien wählt, riskiert, dass die eigene Stimme der AfD zu mehr Abgeordneten verhilft.“Jede Stimme finanziert die Partei, die sie wähltIst meine Stimme für eine Partei, die nicht in den Bundestag einzieht, also für diese Partei verloren – und stärkt nur die anderen Parteien? Nein, nicht unbedingt. Zwar werden bei der Sitzverteilung im Bundestag solche Stimmen nicht berücksichtigt, und in diesem Sinne könne man schon von einer verschwendeten Stimme sprechen, meint Politikwissenschaftlerin Al-Gaddooa. Trotzdem ist der gewonnene Stimmenanteil für Parteien, die den Einzug in den Bundestag verpassen, sehr wichtig – mindestens aus finanziellen Gründen.Eine Partei, die mindestens 0,5 Prozent der Zweitstimmen erhält, hat Anspruch auf staatliche Förderung und bekommt pro erhaltener Stimme Geld. So kann die Partei am Leben erhalten und etwa der nächste Wahlkampf finanziert werden. Für Kleinparteien wie die Tierschutzpartei, Volt oder die Piraten ist es außerdem ein wichtiges politisches Signal an die etablierten Parteien, wenn ein relevanter Stimmanteil auf sie fällt. Wenn FDP, BSW oder Linke am Einzug ins Parlament scheitern, könnte das Ergebnis über die politische Zukunft der Partei mitentscheiden. Eine 2-Prozent-Partei kann sich wohl weniger Hoffnung auf eine Wiedergeburt machen als eine 4,8-Prozent-Partei. Ausnahmefall Grundmandatsklausel: Die Linke und ihre „Mission Silberlocke“Placeholder image-1Einen besonderen Fall stellt bei diesen Bundestagswahlen die Linke dar: für sie könnte auch dann jede Stimme zählen, sollte sie die 5-Prozent knapp verpassen. Sie setzt im Wahlkampf auf eine Ausnahmeregelung: die sogenannte Grundmandatsklausel. Gewinnt eine Partei mindestens drei Wahlkreise durch Erststimmen, zieht sie mit ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag ein – auch wenn sie die 5-Prozent-Hürde verfehlt. Ende Oktober trafen sich die Linke-Urgesteine Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch auf einen Wein und heckten die „Mission Silberlocke“ aus. Die Idee: Ihre Bekanntheit soll helfen, drei Direktmandate zu gewinnen und den Einzug der Linken in den Bundestag zu sichern. In fünf weiteren Wahlkreisen rechnet sich die Linke Chancen auf ein Direktmandat aus. Wer in den entsprechenden Wahlkreisen wohnt und sich den Einzug der Linken in den Bundestag wünscht, könnte also darüber nachdenken, die Erststimme der Linken zu schenken. Politikwissenschaftlerinnen Al-Gaddooa und Riethmüller halten diesen Ansatz für durchaus vielversprechend. „Die Strategie ist vor allem deshalb sinnvoll, weil sie wie eine Absicherung funktioniert“, so Riethmüller. Wenn mindestens drei Direktmandate gewonnen würden, bekommt die Linke nämlich nicht nur drei Sitze, sondern alle, die ihnen nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Für Wähler:innen, die nicht in den entsprechenden Wahlkreisen wohnen, ist diese Absicherung also auch ein Anreiz, die Linke mit der Zweitstimme zu wählen. Der Einzug der Linken würde den Sitzanteil der AfD schmälernSchon 2021 schaffte die Linke so den Sprung in den Bundestag. Al Gaddooa meint: „Die Chancen für die Linke stehen gar nicht schlecht.“ Angesichts der Umfragewerte sei es nicht unwahrscheinlich, dass es für drei Direktmandate reichen könnte. „Ein Einzug der Linken in den Bundestag ermöglicht nicht nur linke Oppositionsarbeit, sondern schmälert gleichzeitig den Sitzanteil der AfD“, sagt Politikwissenschaftlerin Riethmüller.Für FDP und BSW bleibt der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde die einzige Möglichkeit – sie können sich keine Hoffnungen auf ein Direktmandat machen. Es könnte also ziemlich knapp werden, beide Parteien bewegen sich in den Umfragen im Moment eher bei vier als bei fünf Prozent. Ob die beiden Parteien einziehen, hängt auch davon ab, wie Wähler:innen mit diesen Umfrageergebnissen umgehen. Die politische Situation macht also auch das Wahlverhalten komplizierter. Hört man sich dieser Tage auf den großen Demos gegen Rechts, in der Straßenbahn oder im Freundeskreis um, ist man sich einig: politische Teilhabe ist wichtiger denn je. Viele wollen etwas gegen die Normalisierung rechter Politiken tun. Aber wie setze ich meine Stimme bei der Bundestagswahl dafür am effektivsten ein? „Nach dem Fall der sogenannten Brandmauer haben bestimmte taktische Überlegungen an Bedeutung gewonnen“, sagen die Politikwissenschaftlerinnen Al Gaddooa und Riethmüller.Schwächen möglichst viele Parteien im Bundestag die AfD – oder stärken sie sie?Eine verbreitete Erwägung vieler Wähler:innen derzeit sei, möglichst viele Parteien in den Bundestag zu bringen, um den Sitzanteil von Union und AfD zu schmälern. In diesem Fall wäre die Wahl einer Partei, die an der Fünf-Prozent-Hürde kratzt, sinnvoll. Eine andere Überlegung, die eine Rolle spiele, sei, große Parteien zu wählen, um eine stabile Zweierkoalition zu ermöglichen und keinesfalls eine Stimme zu verschwenden. Schwarz-Grün und GroKo lösen wohl bei den wenigsten Wähler:innen Begeisterungsstürme aus. Gleichzeitig bleiben nicht viele andere Koalitionsoptionen übrig. Ein Einzug von BSW, FDP und Linken würde die Mehrheitsbildung komplizierter machen. Das könnte langfristig womöglich die AfD stärken. Darüber hinaus, so sagen Al-Gaddooa und Riethmüller, würden viele Wähler:innen aus dem linken Spektrum bei dieser Bundestagswahl vor der Frage stehen, ob sie nach dem Fall der „Brandmauer“ noch bereit seien, eine Partei zu wählen, die möglicherweise Friedrich Merz als Bundeskanzler wählen könnte. Durch zahlreiche beschlossene Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre sind Grüne und SPD für viele Linke längst unwählbar geworden. Dass strategische Erwägungen angesichts der wachsenden Zustimmung zur AfD wichtiger werden, wurde zuletzt etwa bei der Landtagswahl in Brandenburg im September deutlich. SPD und AfD lieferten sich ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen um den Wahlsieg. Weil sich das bereits in den Umfragen abzeichnete, entschieden sich viele Menschen, die Sozialdemokraten zu wählen, um den Sieg der Rechtspopulisten zu verhindern. Mit Erfolg: Die SPD wurde stärkste Kraft. Den Preis bezahlten die Grünen und flogen aus dem Landtag. Erststimme: Was sich bei dieser Wahl ändertJe näher die Wahl rückt, desto mehr Beratungs-Slides fluten die Insta-Timelines. Man solle taktisch die Linke wählen, taktisch die Grünen wählen oder in bestimmten Wahlkreisen taktisch den CDU-Kandidaten mit der Erststimme wählen, heißt es. Da kann einem schon schwindelig werden. Wann lohnt sich also strategisches Wählen und wann ist es Quatsch? Mit der Erststimme können Wahlberechtigte für eine:n Direktkandidat:in stimmen. Wer die meisten Stimmen in einem Wahlkreis holt, gewinnt das Direktmandat und zieht in den Bundestag ein. Seit der von der Ampel-Regierung beschlossenen Wahlrechtsreform ist das an eine Voraussetzung geknüpft: Nur wenn das Zweitstimmenergebnis einer Partei gut genug ist, ziehen alle Kandidat:innen, die ein Direktmandat gewonnen haben in den Bundestag ein.Das bedeutet zum Beispiel: Wenn die SPD laut Zweitstimmenergebnis 100 Wahlkreise gewinnt, aber per Erststimme 101 Direktmandate, kommt der Direktkandidat mit dem schlechtesten Erststimmenergebnis nicht in den Bundestag. Die Erststimme hat so an Bedeutung verloren. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag beeinflusst man mit dieser nicht. Strategisches Wählen ist hier also nur in Einzelfällen sinnvoll, etwa um bestimmte Kandidat:innen zu verhindern. Vor lauter Strategieüberlegungen kann man schonmal einen Knoten im Hirn bekommen. Felicitas Riethmüller von der Universität Göttingen meint: „Ob man nun nach Präferenz oder aus taktischen Gründen wählt, bleibt letztlich eine persönliche Entscheidung.“ Wer für die Werte einer Partei eintrete und sich stark mit dieser identifiziere, könne dann auch diese wählen. Ob das den Knoten löst?



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Von Veritatis

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