Von manchen Experten werden die Probleme in Ostdeutschland auf die Überheblichkeit der Bundesrepublik zurückgeführt. Doch diese Rede von der Beherrschung des Ostens durch eine westliche Elite ist zu bequem


Zwei, die sich schon mal um eine „Gleichberechtigung von Ost und West“ jenseits der toxischen Narrative bemühen

Foto: Jan Maschinski


Ich wage es zu schreiben, wissend, dass ich dafür gevierteilt zu werden drohe: Ich werde gerade das Gefühl nicht los, dass sich das Narrativ vom quasi postkolonialen Westdeutschland, das nichts weiter zu tun hat, als seine krude Vorherrschaft über den Osten der Republik zu festigen, auffallend vervielfacht. Hat das mit den bevorstehenden Wahlen zu tun? Soll das Wasser auf die Mühlen der AfD lenken? Sind das Relikte eines Wende-Traumas?

Medienleute aus dem Osten klagen, dass sie und die ostdeutsche Realität aus purer westdeutsch sozialisierter Überheblichkeit ausgegrenzt würden. Es wird gepoltert, dass immer noch Führungsposten mit Gesandten aus dem Westen besetzt würden. Dass man dem Osten besondere Schuld am Erstarken der Rechten gebe; an der Au

an der Ausländerfeindlichkeit, die im Osten ihr Hauptquartier habe. Dass man vor allem in Ostdeutschland überschwängliche Putin-Freundlichkeit ausmache.Nun, an dem, was sich da häufig an Bildern Bahn bricht, mag hier und da etwas dran sein. Und es ist richtig, dass die Wende mit Visionen von blühenden Landschaften befeuert wurde. Ostdeutschland dann aber, natürlich mit etlichen Ausnahmen, versteppte. Vor allem mit Blick auf die sozialen Verhältnisse. Arbeitslosigkeit, niedrigere Löhne, kleinere Renten zeichnen auch mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall ein eher tristes Bild. Aufhellung scheint nicht in Sicht. Dem Unmut darüber wird aber kein Gefallen getan, indem Tonlage, Haltung und Gegenwehr westliche Arroganz bestärken.Wenn sich Frust manifestiert, indem in ostdeutschen Ländern kein Weg mehr an der AfD vorbeiführt. Wenn der Demokratie mit Verweis auf ein marodes System zunehmend Ressentiments entgegenschlagen. Wenn öffentlich-rechtlichen Medien unterstellt wird, der Regierung gleichgeschaltet oder gar links verseucht zu sein. Wenn Rechtsstaatlichkeit infrage gestellt wird. Dann muss es erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass bei aller angekreideter West-Dominanz Reaktionen Gefahr laufen, sich selbst zu diskreditieren.Gewiss gibt es überall Grund zu politischer Sorge. Ausländerfeindlichkeit ist keine ostdeutsche Spezialität. Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen, an Institutionen, am System wird auch in Westdeutschland geübt. Auch dort wird die AfD stärker. Reicht das aber aus, um die Verantwortung für Probleme einseitig einem West-Establishment zuzuschieben? Dass sich Protagonisten westdeutscher Provenienz bisweilen aus der Verantwortung stehlen, indem sie auf Menschen im Osten zeigen, ist wahr. Dass ostdeutsche Protagonisten die Schuld für Dasein und Frust im Zweifel einer Art Kolonialisierung durch den Westen geben, aber ebenso. Mich erschüttert, wenn Ventile der Kritik an Zuständen mit der Absicht aufgedreht werden, konstruktivem Schulterschluss den Boden zu entziehen.Der Osten eine Erfindung des Westens?Es gibt Erklärungen, ja. Integrität gehört nicht dazu. Das Bild von den Meinungsmachern West, ihrer Erfindung des Ostens, eines Ostdeutschlands nach ihrer Lesart, jenes toxisches Meinungsbild, von dem Michael Hametner kürzlich in einem Beitrag für den Freitag erzählt, ist auch nur ein toxisches Meinungsbild. Für den Meinungskorridor, der sich verenge und ostdeutsche Sichtweisen ausklammere, Uwe Tellkamp als Kronzeugen aufzubieten, bestärkt mich darin. Es mag hinreichend wirken, gefühltes Gift mit Gegengift zu bekämpfen. Eine überzeugende Indikation gegen Missstände im Miteinander scheint mir das nicht.Es mag ungerecht sein, den Menschen in Ostdeutschland aufzugeben, ihre Enttäuschungen selbst abzufedern. Und durch Beharrlichkeit in Medien, Kultur und anderswo deutlich mehr Anerkennung zu erwirken. Sie tun allerdings damit nur, was im Nachkriegsdeutschland West auch getan werden musste – und nicht zu Ende getan ist. Aus Enttäuschung auf alles einzuschimpfen, was im Westen nach der Nazi-Zeit teils sehr mühsam errichtet werden musste, ist kein überzeugender Weg. In West und Ost sollten sich die Menschen bewusst werden, dass eine erträgliche Gesellschaft weiterhin nicht selbstverständlich ist. Ebenso wenig wie eine Gleichberechtigung von Ost und West. Im Ringen darum sind Erzählungen vom übermächtigen Westen wenig hilfreich.Mir sind Polarisierungen als Mittel der Emanzipation keine gute Antwort auf Klagen, West-Eliten würden den Osten bewusst kleinhalten. Durch die Besetzung von Schaltstellen und Ignoranz. Dass dieses Storytelling etwa mit Blick auf die Medien unter dem Hinweis, es sei abgedroschen, aber nun mal wahr, stets neu aufgelegt wird, macht es nicht zugkräftiger. Zumal wenn zu viel zusammengerührt wird. Oft entstehen da sehr gewollte Geschichten unter anderem über öffentlich-rechtliches Eigenleben.Beispiel: Laut Hametner hat der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) ehedem das regionale Nachrichtenfenster MDR-aktuell eingerichtet, weil man geahnt habe, dass die Tagesschau den neuen Osten kaum quantitativ und qualitativ angemessen abbilden würde. Zu lesen im Kontext mit Nacherzählungen über anhaltende West-Dominanz und westlich geprägte Meinungskorridore.Dabei sind regionale Nachrichten aus föderaler Tradition in ARD-Landessendern gang und gäbe (NDR Hamburg Journal, WDR aktuell, Lokalzeit, BR Abendschau, HR Hessenschau). Nicht aus Argwohn. Da mögen andere noch so nachdrücklich darauf pochen, dass sie sehr gut wüssten, wovon sie reden. Exklusivität ist häufig nur die Schwester äußerst subjektiver Sichtweisen.Das Narrativ von elitären Kreisen West, die via Übermacht in Binnenstrukturen und bei der Abbildung der Welt, auch der ostdeutschen, versagen, ist reichlich ausgeleiert. Es ist geeignet, Selbstbewusstsein, gepaart mit nötiger demokratischer Verantwortung, zu untergraben. Und zwar in Deutschland Ost und in Deutschland West.Andreas Mijic blogt auf artsandsocials.com



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Von Veritatis

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