Interview: Wer sich heute als Pazifist versteht, ist harscher Kritik und Selbstzweifeln ausgesetzt. Dass die pazifistische Stimme gebraucht wird, steht für den Philosophen Olaf Müller und den Publizisten Pascal Beucker jedoch außer Frage
Der Berliner Philosoph Müller war auf diesen Seiten schon zu Gast mit seiner pazifistischen Haltung, die sich neu in dem Reclam-Band Atomkrieg. Eine Warnung niederschlägt. Mit ihm diskutiert der Publizist und Journalist Pascal Beucker, der das Buch Pazifismus – ein Irrweg? vorgelegt hat.
der Freitag: Herr Beucker, nach der Lektüre Ihres Buches habe ich den Eindruck, dass Sie gar kein Pazifist sind.
Pascal Beucker: Das liegt vielleicht daran, dass ich kein Radikalpazifist bin. Trotzdem verstehe ich mich als Pazifist, halte es aber mit Albert Einsteins vernünftigem Pazifismus. Ich bin auch immer noch überzeugter Kriegsdienstverweigerer. Es gibt ja inzwischen alle möglichen Leute, die meinen erklären zu müssen, dass sie heute nicht mehr verweigern w
he ich mich als Pazifist, halte es aber mit Albert Einsteins vernünftigem Pazifismus. Ich bin auch immer noch überzeugter Kriegsdienstverweigerer. Es gibt ja inzwischen alle möglichen Leute, die meinen erklären zu müssen, dass sie heute nicht mehr verweigern würden. Ich gehöre nicht dazu.Robert Habeck zum Beispiel.Beucker: Ja, leider. Ich halte diese Entwicklung für fatal, weil das Ausdruck einer inneren Militarisierung ist. Wie lange hat es gedauert, bis Deutsche, die sich im Zweiten Weltkrieg dem Krieg verweigert haben, nicht mehr als Vaterlandsverräter beschimpft wurden? In der Geschichte der Bundesrepublik gab es einen einzigen Deserteur, der es je in den Bundestag geschafft hat. Das war der Schriftsteller Gerhard Zwerenz Mitte der 90er Jahre für die PDS. Einen Bundestag ohne ehemalige Soldaten hat es hingegen noch nie gegeben.Sie haben gedient, Herr Müller …Olaf Müller: Es war die schlechteste Zeit meines Lebens. Ich empfand es als Riesenfortschritt, als 2011 die Wehrpflicht abgeschafft wurde. Sollte sie nun wiederkommen, wäre ich dafür, dass die jungen Leute wählen dürfen, ob sie sich dem militärischen Arm der Verteidigung anschließen wollen oder einem völlig neu aufzubauenden Arm der sozialen Verteidigung. Dann hätten wir eine Abstimmung mit den Füßen, und ich glaube nicht, dass die meisten lieber an der Waffe dienen würden.Argumentiert so ein pragmatischer Pazifist?Müller: Ich überlege immer noch, wie ich meine Haltung bezeichnen soll. Vielleicht „relativer Pazifismus“? Insofern sich unsere Gesellschaft immer weiter militarisiert, werde ich als Friedensfreund, relativ betrachtet, immer pazifistischer.Placeholder image-4Beucker: Pazifismus wird oft gleichgesetzt mit radikalem Pazifismus. In der Geschichte war das aber immer nur eine Minderheitsströmung innerhalb des Pazifismus. Allen Pazifisten ist zwar gemeinsam, dass sie Schwerter zu Pflugscharen schmieden wollen. Aber nicht alle wollen auch die andere Wange hinhalten.Albert Einstein wollte nicht. Er sagte, gegen Hitler muss man militärisch vorgehen. Er war ein „Ausnahme“-Pazifist. Gegen Hitler scheint diese Ausnahme im Nachhinein evident. Aber wie urteilt man in einer neuen Situation, ob man jetzt mit seinem Prinzip brechen muss?Müller: Dafür gibt es kein idiotensicheres Rezept. Bei Bertrand Russell, dem anderen Ausnahme-Pazifisten, hat es bis zum Jahr 1940 gedauert, bis er so weit war wie Einstein schon 1933. Sie haben Einstein in Ihrem Buch hellsichtig genannt. Das trifft es. In der Tat müssen wir immer mit der Wiederkehr einer solchen Situation rechnen. Aber stehen wir derzeit an einem solchen Punkt? Wenn wir zu früh von Ausnahmen reden, dann verharmlosen wir dadurch die Nazibarbarei.Beucker: Ich kenne keinen ernst zu nehmenden Menschen, der heute sagt, es wäre nicht richtig gewesen, auch militärisch gegen die Nazibarbarei vorzugehen. Nach Auschwitz geht das nicht anders. Auschwitz hat Einstein 1933 mit Sicherheit nicht vorausgesehen. Aber er hat sehr hellsichtig gesehen, dass die Machtübernahme der Nazis unweigerlich auf einen Weltkrieg hinausläuft. Seine Position war in der pazifistischen Bewegung umstritten, weil das viele nicht sehen wollten oder konnten. Zu ihrer Ehrenrettung: Eine historische Situation richtig einzuschätzen, ist tatsächlich äußerst schwer.Müller: Vielleicht könnte man von einem skeptischen Pazifismus sprechen, um unser mangelndes Wissen bei den Zukunftsprognosen zu betonen. Es gibt aber auch ein erkenntnistheoretisches Problem, wenn wir rückblickend auf die Dinge schauen…Nämlich?Müller: Wir kennen zwar den tatsächlichen Pfad, den die Geschichte genommen hat. Aber wir können nicht wissen, wie die Alternativen verlaufen wären. Hier stehen wir vor derselben Unsicherheit wie mit dem Blick in die Zukunft.Beucker: Wie kompliziert es ist, zeigt sich am Beispiel der Pazifistin Bertha von Suttner, die natürlich Angriffskriege fundamental abgelehnt hat, aber für das Recht eines Landes auf Selbstverteidigung eingetreten ist.Sie hat 1905 den Friedensnobelpreis bekommen …Beucker: Ja, genau. Das Tückische ist, richtig zu beurteilen, wann etwas tatsächlich Selbstverteidigung ist. Als es darauf ankam, ist das der von Bertha von Suttner gegründeten Deutschen Friedensgesellschaft nicht gelungen. Die bürgerliche pazifistische Bewegung ist wie auch die antimilitaristische Arbeiterbewegung 1914 in die Falle getappt, als sie in ihrer großen Mehrheit der Behauptung von Kaiser Wilhelm II. folgten, es ginge doch nur um „Vaterlandsverteidigung“.Wir sollten jetzt über den Krieg in der Ukraine sprechen.Müller: Der relative Pazifist wäre dafür, die weniger kriegerischen Elemente des Widerstands gegen Putin zu stärken, ohne ins Appeasement abzurutschen.Beucker: Da stimme ich zu. Wer Putin mit Hitler gleichsetzt, wie das manche tun, ist unanalytisch und geschichtsvergessen. Allerdings muss nicht erst ein neuer Weltkrieg oder Massenvernichtung drohen, um es richtig zu finden, einem Land wie der Ukraine beizustehen.Müller: Im Ukraine-Krieg steht fest, wer angreift und wer verteidigt.Beucker: So ist es. Es gibt jedoch leider einen Teil des politischen Spektrums, der der Ukraine ihr Selbstverteidigungsrecht abspricht und der so tut, als sei eigentlich Russland angegriffen worden.Müller: Eine redliche pazifistische Analyse sieht anders aus.Beucker: Um die Analysefähigkeit scheint es mir ohnehin nicht so gut bestellt zu sein. Schauen Sie sich nur auf der anderen Seite die merkwürdige Diskussion erst über den Leo, dann über Taurus an, bei der so getan wurde, als könne die Ukraine mit ein paar Waffenlieferungen mehr den Krieg gewinnen. Was für eine naive Auffassung! Aber Flugabwehrraketen zum Schutz der Bevölkerung halte ich für sehr sinnvoll.Kein Pazifist würde widersprechen, dass man zur Abwehr Waffen liefern darf oder sogar muss.Beucker: Selbstverständlich widersprechen da Radikalpazifisten. Aber auch das BSW ist gegen jegliche Waffenlieferungen an die Ukraine. Selbst die Lieferung von Helmen wird da abgelehnt.Placeholder image-3Müller: Als Ex-Soldat weiß ich: Mit Helm fühlt man sich besser als ohne; ein wichtiges Element der Ausrüstung und dabei komplett defensiv. Auch Systeme zur Luftabwehr sind laut relativem Pazifismus defensiv genug, um ihre Anschaffung für uns und für die Ukrainer zu rechtfertigen. Von hier ist es ein himmelweiter Unterschied bis zur Lieferung von Marschflugkörpern, die Moskau treffen können.!—- Parallax text ends here —-!Beucker: Ich finde zwar, dass es in den vergangenen drei Jahren zu wenig diplomatische Aktivitäten gab. Aber ich sehe zwischen Verhandlungen und Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung keinen Widerspruch.Müller: Wir sind als weltfremde Spinner verunglimpft worden, weil wir am Anfang des Krieges für Verhandlungen und Diplomatie eintraten. Zwei Jahre später schreibt Foreign Affairs, dass sogar nach den Kriegsverbrechen in Butscha noch lange weiterverhandelt wurde und dass beiden Seiten zufolge eine Einigung in greifbarer Nähe lag. Es ging um einen Friedensvertrag mit robusten Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die von den NATO-Staaten und von Russland fixiert werden sollten, mit eingebauten Automatismen für den Fall, dass die ukrainischen Grenzen doch wieder verletzt würden. Die Ukrainer wollten das, die Russen waren einverstanden – und der Westen mochte die verlangten Garantien nicht geben.Beucker: Das ist vergossene Milch. Tatsache ist, dass Putin inzwischen etwa 20 Prozent der Ukraine annektiert hat. Ich bin skeptisch, ob sich daran in den „Friedensverhandlungen“, die jetzt Trump mit Putin führen will, noch etwas ändern wird. Für die Menschen in der Ukraine ist das bitter.Muss man als Pazifist einen Diktatfrieden in der Ukraine schlucken?Beucker: Ich wünsche mir, dass dieser fürchterliche Krieg lieber heute als morgen endet. Nicht nur für die Ukraine wäre es jedoch fatal, wenn das dadurch geschehen würde, dass sich zwei imperialistische Großmächte ein schwächeres Land zur Beute machen. Eine Großmacht krallt sich Land, die andere die Rohstoffe – das ist eine gruselige Vorstellung.Müller: Ein Diktatfrieden wäre alles andere als ideal, aber besser als die Fortsetzung des Abnutzungskriegs mit stetig eingebauter Atomkriegsgefahr.Ihr Pazifismus ist in der Sorge vor einer nuklearen Eskalation begründet. Nun hat Russland seine Atomdoktrin verschärft, es kann jetzt auch auf einen konventionellen Angriff atomar reagieren. Macht Ihnen das Angst?Müller: Ich finde die neueste Änderung der russischen Doktrin nicht allzu gravierend; sie greift wie gehabt erst in dem Augenblick, in dem sich Russland in seiner Existenz bedroht sieht. Etwas anderes ist beunruhigender: Bei den gegenwärtigen Spannungen zwischen den Atomsupermächten kann der kleinste Zufall direkt in den Atomkrieg führen – und deshalb müssen wir diese Spannungen rasch abbauen, tun aber das Gegenteil. Diese Gefahr wird auf haarsträubende Weise ausgeblendet. Wer sie anspricht, gilt als Panik-Opa. Doch im Herbst 2022 haben die US-Dienste aufgrund russischer Leaks ernsthaft mit einem taktischen Nuklearschlag auf dem Schlachtfeld gerechnet.Manche sagen ja, nach dem Krieg ist vor dem Krieg – dann mit der NATO.Müller: Für die Ostgrenze der NATO sollten und können wir entschieden defensive Signale setzen. Um ein Territorium zu erobern, musst du dreimal so stark sein, wie um es zu verteidigen; um eine Stadt zu erobern, zehnmal so stark. Wenn wir jetzt klug in echte Verteidigung investieren, auch in soziale Verteidigung, dann können wir einen erfolgreichen Angriff auf NATO-Territorium in ein Ding der Unmöglichkeit verwandeln. Jetzt werden Sie fragen: Was ist noch pazifistisch daran, die Militärs zu bitten, möglichst defensive, aber sichere Verteidigungsmechanismen zu installieren? Nun, das ist weniger kriegerisch als die aggressive Aufrüstung, die bevorsteht – und also relativ betrachtet akzeptabler für Pazifisten.Beucker: Wir müssen versuchen, aus dieser hochgefährlichen Aufrüstungslogik auszubrechen.Hat eine solche Position in der deutschen Politik ihren Platz? Ich würde vermuten: nein?Müller: Ich bin in den letzten Jahren durchs Land gefahren, habe viele Pazifisten gesprochen. Die Stimmung ist deprimierend: Wer ein pazifistisches Anliegen hat und aus der Mitte der Gesellschaft kommt, hat keine Ahnung, was er bei der Wahl tun soll. Die Grünen sind kein Heimathafen mehr für Pazifisten. Ich verstehe die Sachzwänge, unter denen sie stehen. Sie müssen zeigen, dass sie regierungsfähig sind, sie müssen Krieg können. Das mussten sie 1999 mit ihrer Zustimmung zum NATO-Einsatz gegen Serbien, jetzt müssen sie es wieder.Beucker: Das Ursprungsprogramm der Grünen war radikalpazifistisch. Die Strecke, die sie zurückgelegt haben, sehr lang. Als es um den Jugoslawien-Krieg ging, haben viele noch gesagt: Ich bin ja so zerrissen. Heute behaupten sie noch nicht einmal mehr das. Dass das Militärische ihr Denken so erfasst hat, ist erschreckend.Woran liegt das?Beucker: Die Grünen wollten unbedingt mitregieren, und dafür mussten sie im Widerspruch zu ihren ursprünglichen Prinzipien dem Krieg zustimmen. Aber es ist schwierig, immer nur im Widerspruch zu leben.Müller: Es kommt etwas hinzu, was die Grünen erst einmal sympathisch macht. Sie stehen mit großer moralischer Emphase auf der Seite der Schwächeren. Darin steckt ein Gerechtigkeitsempfinden. Nur leider übertreiben sie es.Beucker: Das führt zu einem Menschenrechtsbellizismus. Der ist jedoch keine angemessene Antwort auf eine schwierige Weltlage. Es gibt erschreckend viele Länder, die keine Demokratien sind. Aber zu glauben, man könnte die jetzt alle mal militärisch besiegen und dann kommt das Himmelreich, ist eine höchst gefährliche Illusion.Müller: In Afghanistan haben wir gesehen, was der Versuch wert war, mithilfe unserer Armee Mädchenschulen zu gründen.Beucker: Immerhin tut sich bei der Linkspartei wieder was. Dadurch, dass sie sich von der – böse gesprochen – Kremlfraktion getrennt hat. Und dass sie mit Jan van Aken einen versierten Friedenspolitiker an die Spitze gewählt hat. Das ist erfreulich.Der Prügelknabe ist natürlich das BSW. Viele Menschen sind doch einfach der Meinung, dass es ohne Kooperation mit Russland nicht geht. Warum ist das falsch?Müller: Um mein Unbehagen mit dem BSW ästhetisch auf den Punkt zu bringen: Da stimmt der Zungenschlag nicht, es fehlt an Empathie. Die überfallenen Ukrainer scheinen dem BSW eine Quantité négligeable zu sein.Beucker: Zudem haben Wagenknecht & Co. ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wer einst „Amis raus aus dem Irak“ gerufen hat, muss jetzt auch „Russland raus aus der Ukraine“ fordern. Das macht das BSW jedoch nicht.Wie steht es mit der AfD? Höcke zeigte sich mit Friedenstaube.Beucker: Das ist rein provokativ. Zum einen hat die AfD eine ideologische Nähe zu Putin. Zum anderen ist sie eine nationalistische Partei. Aus beidem ergibt sich, dass sie will, dass die Ukraine verliert. Die AfD ist in keiner Weise pazifistisch. Sie will eine starke Armee. Sie tritt für die Wehrpflicht ein. Sie will Aufrüstung.In den heftigen Diskussionen um den Gazakrieg spielte und spielt der Pazifismus gar keine Rolle.Beucker: Wahrscheinlich, weil es einfach so komplett verfahren ist.Müller: Mitten im Gemetzel der Hamas in Israel hat sich der Kibbuz Nir Am mit seiner bewaffneten Selbstverteidigungseinheit gerettet. Das sollte man als Pazifist gutheißen. Ich würde es mit dem US-General Stanley McChrystal halten: Wer zwei von zehn Terroristen tötet, steht danach nicht vor acht, sondern vor 20 Terroristen, denn nun greifen die Verwandten der Getöteten zur MP. Das martialische Vorgehen gegen die Hamas ist also unklug – kein moralischer Punkt, sondern ein faktischer.Der moralisch relevante Punkt wäre doch: Ist es noch ein Verteidigungskrieg gewesen?Müller: Dazu möchte ich als Deutscher den Mund halten. Sollen die Franzosen darüber sprechen.Gibt es denn überhaupt französische Pazifisten?Beucker: Es gab tatsächlich mal französische Pazifisten, aber das ist lange her. Was den Nahostkonflikt betrifft: Die Entwicklung in Israel und Palästina macht mich einfach nur traurig. Ich habe große Hoffnungen in den Osloer Friedensprozess gesetzt. Es war beeindruckend, wie jemand, der aus dem Militärischen kam wie Jitzchak Rabin, erkannt hat, dass die Perspektive eine Verständigung sein muss. Er und der Friedensprozess sind ermordet worden. Die israelische Friedensbewegung ist immer kleiner geworden. Und es waren gerade Friedensbewegte, die von der Hamas bei ihrem Überfall massakriert worden sind. Es ist einfach nur deprimierend.Sorge macht mir auch die hybride Kriegsführung in Europa, plötzlich werden massenhaft Kabel in der Ostsee beschädigt, solche Dinge. Da braut sich was zusammen, nicht Krieg, aber auch nicht Frieden.Beucker: Eigentlich ist das ein Rückfall in die Situation des kalten Krieges, und das heißt, man ist unter der Schwelle des heißen Krieges, aber man bekriegt sich. Natürlich ist das gefährlich.Die pazifistische Bewegung sagt dazu aber nichts, kann es vielleicht auch nicht.Beucker: Die Friedensbewegung ist nicht nur so schwach wie noch nie, sie ist auch gespalten. Es gibt dort einen Teil, von dem man glaubt, dass sie gar nicht für den Frieden sind, sondern für den Sieg des Okkupanten. Das hat eine historische Tradition. In der Ostermarschbewegung gab es 1968 einen pazifistischen Teil, der den Einmarsch der fünf Warschauer-Pakt-Staaten selbstverständlich verurteilte. Und es gab den kommunistischen Teil, der die Niederschlagung des Prager Frühlings begrüßte. Daraufhin hat es zehn Jahre lang keine Ostermärsche mehr gegeben – bis dieser Grundkonflikt nach dem NATO-Doppelbeschluss zur Stationierung atomar bestückter Mittelstreckenraketen in den Hintergrund trat.Gibt es auch im Pazifismus eine Art Zeitenwende? Wo ist der Pazifismus der Ostermärsche? Stirbt er aus?Beucker: Ich hoffe, dass er nicht ausstirbt. Eine Traditionslinie des Pazifismus ist der Völkerrechtspazifismus – er ist notwendiger denn je. Leider war die UNO seit ihrer Gründung noch nie so schwach. Das macht die Welt unsicherer.Wie könnte die Welt sicherer werden, Herr Müller?Müller: Indem die Menschen langsam, langsam merken, wie wenig wir mit Waffen erreichen – die Suche nach anderen Wegen der Konfliktlösung sollte nicht länger verteufelt werden.Placeholder image-1Pascal Beucker, geboren 1966 in Düsseldorf, arbeitet als Redakteur im Inlandsressort der taz in Berlin. Er ist Mitglied des taz -Parlamentsbüros und der Bundespressekonferenz. Sein Buch Pazifismus – ein Irrweg? erschien 2024 bei KohlhammerPlaceholder image-2Olaf Müller, geboren 1966, studierte Mathematik und Philosophie. Seit 2003 lehrt er Philosophie mit Schwerpunkt humanistische Wissenschaftsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2025 ist bei Reclam erschienen Atomkrieg. Eine Warnung