Gibt es einen Justizskandal am Berliner Landgericht? Kürzlich vermeldeten die NGOs Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Democracy Reporting International (DRI) einen „wichtigen Erfolg“ vor Gericht gegen die Plattform X in Bezug auf die Herausgabe von Nutzerdaten. Doch offenbar hatte der Richter nicht offengelegte Verbindungen zu einer der Organisationen. Auf Antrag von X wird er nun von dem Fall abgezogen.
Ein (vermeintlicher) Erfolg gegen X
Wie DRI noch in einer Erklärung am 7. Februar schrieb, müsse X nach einem Eilverfahren des Landgerichts Berlin den Organisationen „unbeschränkten Zugang zu allen öffentlich verfügbaren Daten (…) wie die Reichweite oder die Anzahl an Likes und Shares von Posts“ geben.
Die Entscheidung wurde als „riesiger Erfolg für die Forschungsfreiheit und unsere Demokratie“ gefeiert, wie es Simone Ruf, Juristin und stellvertretende Leiterin des Center for User Rights der GFF ausgedrückt hatte. „Wir haben den Zugang zu relevanten Forschungsdaten erkämpft und schieben damit Versuchen, Wahlen zu beeinflussen, einen Riegel vor“, so Ruf.
Mit den Daten, so hieß es, wolle man in einem Projekt „erforschen, ob es auf der Plattform zu Wahlbeeinflussung im Vorfeld der Bundestagswahl kommt“. Die Klage hatte sich dabei auf eine neue gesetzliche Regelung des Digital Service Act (DSA) gestützt, den Anspruch auf Forschungsdatenzugang (Artikel 40 Abs. 12 DSA), so DRI, um „systemische Risiken“ untersuchen zu können. Im Gesetzestext der EU steht dazu unter anderem:
„Die Anbieter sehr großer Online-Plattformen oder sehr großer Online-Suchmaschinen gewähren unverzüglich Zugang zu Daten, einschließlich – soweit dies technisch möglich ist – zu Daten in Echtzeit vorausgesetzt, die Daten sind Forschern, auch Forschern, die mit gemeinnützigen Einrichtungen, Organisationen und Vereinigungen verbunden sind, (…) zur Aufdeckung, Identifizierung und zum Verständnis systemischer Risiken in der Union gemäß Artikel 34 Absatz 1 …“ (Artikel 40 Abs. 12 DSA)
Das Landgericht habe die Entscheidung damit begründet, dass ein weiteres Abwarten das Forschungsprojekt vereitelt hätte, weil dafür die Zeit kurz vor der Bundestagswahl entscheidend gewesen wäre.
Doch damit war der Fall noch nicht auf seinem Höhepunkt angelangt.
„Freie Meinungsäußerung unserer Nutzer bedroht“
Das Global-Government-Affairs-Team von X erklärte dieser Tage, die „Entscheidung eines Richters des Landgerichts Berlin“ anzufechten, „die unser Grundrecht auf ein faires Verfahren in eklatanter Weise untergräbt und die Datenschutzrechte und die freie Meinungsäußerung unserer Nutzer bedroht“.
Die beiden Organisationen Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und die Organisation Democracy Reporting International (DRI) hätten die Klage eingereicht, um für ein „angebliches Forschungsprojekt im Vorfeld der deutschen Wahl“ uneingeschränkt auf Echtzeitdaten von X über alle Benutzerbeiträge auf der Plattform zugreifen zu können.
X habe weder die Möglichkeit gehabt, auf die Klage zu reagieren, noch Stellung zu nehmen. Laut dem Portal fehlten dem Antrag zu dem „entscheidende Informationen“. Dennoch habe das Gericht X zur Herausgabe der Daten verpflichtet.
Doch damit nicht genug.
X: Richter arbeitete für GFF-Organisation
Das Global-Government-Affairs-Team von X erklärte in seinem Statement:
Schlimmer noch, es stellt sich auch heraus, dass der einzige Richter in diesem Fall zuvor für die Gesellschaft für Freiheitsrechte (… ) gearbeitet hat.“
Es werfe „ernsthafte Zweifel an der Unparteilichkeit der Entscheidung“ auf, dass sich der Richter nicht selbst als befangen erklärt – oder zumindest „diese wichtigen Verbindungen“ nicht offengelegt habe.
Kannten sich vielleicht noch mehr, die am Prozess beteiligt waren?
Laut X schon: Die GFF habe das Forschungsprojekt demnach nicht nur finanziert, auch die vor Gericht vertretenden Anwälte seien bei der GFF angestellt.
Gericht zieht Richter ab
Am 20. Februar informierte X über die Entscheidung des Kammergerichts, dem Antrag der Social-Media-Plattform stattzugeben, den Richter vom Fall abzuziehen.
„Das Gericht befand, der Richter sei nicht unparteiisch, da er zuvor bei einer der Aktivistenorganisationen angestellt gewesen sei und sich positiv mit deren Social-Media-Inhalten auf LinkedIn auseinandergesetzt habe“, erklärte X.
Wie das juristische Fachportal „Beck“ schreibt, sei dies aus juristischer Sicht, nicht „vollkommen korrekt“, weil es im Rahmen eines Befangenheitsantrags – mit Verweis auf § 42 Abs. 2 ZPO – niemals um eine„ tatsächliche Befangenheit“ gehe, sondern nur um die „begründete Besorgnis“.
Dies habe auch das Kammergericht festgestellt, wie Gerichtssprecherin Paula Riester dem Fachportal bestätigt habe. Riester habe erklärt, dass es ausreichend für eine „begründete Ablehnung (…)“ sei, „dass für eine Partei bei objektiver Sicht die bloße Sorge entsteht, der Richter gehe nicht unvoreingenommen ans Werk“.
Man sei davon ausgegangen, dass diese „bloße Sorge“ bestehen könne, „da der betroffene Richter in der Vergangenheit bei einer die Antragstellerin unterstützenden Gesellschaft tätig war“. Weitere Einblicke in den „nicht-öffentlichen Beschluss“ habe das Gericht auf Nachfrage jedoch nicht gewähren wollen, heißt es weiter.
X will vor „Ungerechtigkeit nicht zurückweichen“
Wie X mitteilte, sei man der Ansicht, dass das Urteil im Eilverfahren „gegen die Grundrechte auf ein faires Verfahren“ verstoßen habe, die in der deutschen Verfassung garantiert seien. Man sei entschlossen, „diese Rechte durch das Rechtssystem zu verteidigen“ und werde „angesichts von Ungerechtigkeit nicht zurückweichen“.
Mehr noch. Vor einigen Tagen erklärte X, dass Deutschland innerhalb der Europäischen Union „die meisten rechtlichen Forderungen nach Benutzerdaten an X“ stelle. Dabei handle es sich in etwa 87 Prozent der Fälle um „Rededelikte“.
X ist der Ansicht, dass diese rechtlichen Forderungen nach Benutzerdaten rechtswidrig sind und hat sowohl vor deutschen Bundes- als auch Landesgerichten Klage eingereicht, um die Rechtmäßigkeit der staatlichen Eingriffe in die Privatsphäre und Meinungsfreiheit unserer Benutzer anzufechten.“ (X, Global-Government-Affairs-Team)“
Epoch Times fragte bei der GFF nach, ob der Organisation nicht aufgefallen sei, dass der Richter zuvor bei der GFF gearbeitet – und damit eine mögliche Parteilichkeit vorgelegen habe. Wir wollten auch wissen, ob die Organisation die Herausgabe der Nutzerdaten weiterhin von X verlange – auch wenn dies für die morgige Bundestagswahl nicht mehr von Belang sein dürfte. Vom Landgericht Berlin wollten wir gerne erfahren, wie es in der Sache weitergeht.
Die Antworten lagen bei Veröffentlichung des Artikels noch nicht vor, werden aber, soweit sie gegeben werden, nachgereicht.