Es wird ganz knapp für das BSW mit dem Einzug in den Bundestag – Hochrechnungen sehen Sahra Wagenknechts Partei zuletzt bei fünf und bei 4,9 Prozent der Stimmen. Beides wäre als Wahlergebnis jeweils mit einer besonderen Pointe verbunden
Klaus Ernst, Christian Leye, Amira Mohamed Ali, Amid Rabieh und Lukas Schön vom Bündnis Sahra Wagenknecht bangen im ehemaligen Kino Kosmos in Berlin um den Einzug in den Bundestag
Foto: Ronny Hartmann/AFP/Getty Images
Um 18.22 Uhr ist zum ersten Mal Erleichterung zu verspüren im ehemaligen Kino Kosmos in Ostberlin: Das ZDF veröffentlicht eine neue Hochrechnung, in der das Bündnis Sahra Wagenknecht bei genau fünf Prozent steht. „Jawoll!“, ruft ein Anhänger auf der Wahlparty, dann wird heftig geklatscht. In der ARD steht das BSW da noch bei 4,7 Prozent der Stimmen.
Wer nicht im Bundestag säße, sei „kein relevanter Faktor mehr“ in der deutschen Politik, hatte Parteichefin Sahra Wagenknecht in den Tagen vor der Wahl mehrmals erklärt – und ihre eigene politische Zukunft zur Disposition gestellt. Nicht nur im Kosmos wird das Zittern von BSW-Anhängern bis tief in die Nacht andauern. Der eine Treppenwitz deutet sich da schon an, in Sachen
rd das Zittern von BSW-Anhängern bis tief in die Nacht andauern. Der eine Treppenwitz deutet sich da schon an, in Sachen Regierungsbildung: Zieht das BSW in den Bundestag ein, bräuchte die Union wohl nicht nur die SPD für eine Koalition – sondern auch Bündnis 90/Die Grünen, eben die Partei, die das BSW zu seinem politischen Hauptgegner erklärt und die Wagenknecht immer wieder hart kritisiert hat.So gibt es auch im Kosmos Buhrufe, als BSW-Generalsekretär Christian Leye auf die grüne Außenministerin Annalena Baerbock zu sprechen kommt und auf ein riesiges Rüstungs- und Unterstützungspaket der Europäischen Union für die Ukraine, das Baerbock jüngst erwähnt hatte. „Geld kann nur einmal ausgegeben werden“, so Leye. Wenn es in Militärgüter fließe, stünde es nicht mehr für Krankenhäuser zur Verfügung.„Wir kommen da rein!“, ruft Amira Mohamed AliFrenetischen Beifall gibt es für Sahra Wagenknecht, als diese gegen 18.30 Uhr ans Mikrofon tritt und Hoffnung verbreitet. Zwar sei die Bundestagswahl nach der Europawahl und drei ostdeutschen Landtagswahlen 2024 „der schwerste von allen fünf Wahlkämpfen“ gewesen. Das Ampel-Aus habe das BSW „auf kaltem Fuß erwischt“, nicht einmal alle Landesverbände seien damals gegründet gewesen. Außerdem sei der Wahlkampf von einer massiven Kampagne gegen die Partei begleitet worden: „Man hat alles daran gesetzt, uns niederzuschreiben und loszuwerden“, so die 55-Jährige. „Es ehrt uns, mit welchem Aufwand sie uns bekämpft haben.“ Es liegt eine „Wir schaffen das“-Stimmung in der Luft, Co-Parteichefin Amira Mohamed Ali ruft: „Wir kommen da rein!“Auch Sevim Dağdelen, BSW-Direktkandidatin in Berlin, spricht das Thema an, auf dem die bisherigen Wahlerfolge ihrer Partei basierten: Krieg und Frieden. „Wir sind die einzige Partei, die gegen Waffenlieferungen in Krisengebieten ist“, ruft die Außenpolitikerin ins Mikrofon. Das kommt gut an. Doch mit dem Wahlsieg Donald Trumps und den sich anbahnenden Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg verlor die Friedenspolitik im Wahlkampf an Bedeutung – ein Grund dafür, das die Partei bis zuletzt um den Einzug in den Bundestag bangen muss.Migration statt FriedenspolitikZugleich geriet das BSW mit den Unions-Anträgen zur Migrationspolitik nach den Morden in Aschaffenburg unter Zugzwang – und entschied sich, gemäß ihres Programms und ihres Grundsatzes, stets rein inhaltlich abzustimmen, mit CDU, CSU, FDP und AfD für das „Zustrombegrenzungsgesetz“ zu votieren.Das hat der jungen Partei die ein oder andere interne Debatte beschert – und vereinzelte Parteiaustritte. Klar überwogen aber Stimmen wie die von Leo Miguez, der als BSW-Kandidat in Rheinland-Pfalz hofft, ins Parlament einzuziehen. Er hatte sich 2016 als Ehrenamtlicher im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos engagiert. Zudem war er in der Jugendhilfe in Bremen und Hamburg tätig. „Wir hatten beispielsweise im Kinder- und Jugendnotdienst dauerhaft eine massive Überbelegung, auch mit vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Aufgrund von personell und strukturell limitierten Kapazitäten war es kaum möglich, den Bedarfen an vernünftig betreuten Wohneinrichtungen ausreichend gerecht zu werden“, erinnert er sich. Inzwischen ist Miguez Psychotherapeut in Ausbildung, arbeitet in einer Psychiatrie in Rheinland-Pfalz und kennt auch dort das Problem eines „katastrophalen Ausmaßes an Überlastung“.Die Stärke der AfD und die Schwäche des BSW – gerade in OstdeutschlandAm Wahlabend im Kosmos in Berlin ist die Migrationspolitik kaum ein Thema. Glücklich war mit deren Hochkonjunktur beim BSW ohnehin niemand. „Unfassbar dumm“ sei es von den anderen Parteien, eine ganze lange Bundestags-Sitzungswoche die AfD in den Mittelpunkt gerückt zu haben, schimpfte Generalsekretär Leye – durch die Debatten und Abstimmungen zur Migrationspolitik, welche dann auch noch allein unterbrochen worden seien durch die Diskussion über ein AfD-Verbot. „Die einen gehen Gitarre spielend und singend auf die Straße, die anderen sitzen mit der geballten Faust in der Tasche zuhause“, so Leye: „Ich würde auch gern gegen die AfD singen, aber glaubt wer, das stimmt auch nur einen Menschen, der für die AfD stimmen will, um?“ Das Rekordwahlergebnis der Rechtspopulisten am Sonntag gibt ihm recht.Infolgedessen dürfte vor allem in Ostdeutschland der Anspruch der BSW-Gründer, Wählern mit Affinität zur AfD eine Alternative zu bieten, nur eingeschränkt Wirkung entfaltet haben. 13,5 Prozent in Brandenburg, 11,8 Prozent in Sachsen, 15,8 Prozent in Thüringen – das waren die Landtagswahlergebnisse des BSW 2024, die in Potsdam und in Erfurt zu Regierungsbeteiligungen führten. Diese könnten aber Protestwähler gekostet haben. Die AfD warf dem BSW vor, „die jüngste der Altparteien“ zu sein und fuhr entsprechende Kampagnen, vor allem im Internet.Online-Wahlkampf kann auch die LinksparteiDorthin aber hatten die BSW-Gründer von Anfang an einen Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit gelegt: Massenpartei mit breiter Mitgliederbasis? Diese Zeiten seien vorüber. Online-Plattformen würden in den Wahlkämpfen der Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen und viele Menschen seien heute schon zufrieden, könnten sie sich zeitsparend und punktuell, ohne Parteimitgliedschaft, politisch einbringen, und sei es nur mit einer kleinen Geldspende.Dann aber glänzte ausgerechnet die frühere Partei der meisten BSW-Mitglieder, die Linke, mit einem erfolgreichen Online-Wahlkampf, für den sie die finanziellen Mittel verdreifacht hatte. Vor allem Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek erreichte über Plattformen wie TikTok und Instagram so viele Menschen, wie sonst fast nur Wagenknecht, vor allem mit ihren Reden in der „Brandmauer“-Bundestagswoche. Beim BSW mutmaßten sie derweil, dass der Instagram-Algorithmus junge hippe Inhalte der Linken stärker belohne, während gegen die Verbreitung von AfD-Beiträgen auf den Plattformen ohnehin kaum anzukommen sei.Was, wenn das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert?Die Linke demonstrierte zudem, dass Massen an – neuen – Mitgliedern auch im Jahr 2025 Wahlkämpfe entscheidend prägen können. Während die zahlreichen Veranstaltungen der Linken vor allem von jungen Menschen überrannt wurden, wartete das BSW neben zahlreichen lokalen Einsätzen seiner Unterstützerinnen mit nur neun Terminen einer „Sahra-kommt!“-Tour ihrer Spitzenkandidatin Wagenknecht auf. Einen davon, noch dazu im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW, musste diese kurzfristig absagen, weil die Terminplanung rund um den Termin einer TV-Debatte zu eng getaktet war. Der Wahlkampfabschluss am Freitag vor dem Brandenburger Tor in Berlin bei Eiseskälte und Streik der Berliner Verkehrsbetriebe schließlich war größer dimensioniert als letztlich besucht: Am Rande der Bühne stapelten sich überzählige, für das Publikum vorgesehene Holzschilder mit Slogans wie „Unser Land verdient mehr Gerechtigkeit“. Zwischen den letzten Reihen der schätzungsweise knapp 1.000 Besucher und einer Hebebühne mit riesigem Sahra-Wagenknecht-Transparent an der Einmündung zur Straße des 17. Juni klaffte eine merkliche Lücke.In der ARD hat sich die Lücke zu den fünf Prozent am Wahlabend gegen 21:30 Uhr verkleinert: 4,9 Prozent entfallen nun auf das BSW – was als Endergebnis der andere Treppenwitz wäre: Mit genau 4,9 Prozent war die Linke 2021 an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert – wie sie damals dennoch wegen der Grundmandatsklausel in Fraktionsstärke einzuziehen, kommt für das BSW nicht in Frage, Direktmandat wird die Partei keines erzielen. Vorläufigen Zahlen zur Wählerwanderung nach gewinnt das BSW mit 410.000 Stimmen nach AfD und CDU die meisten Stimmen aus dem Lager der Nichtwähler hinzu, und trotzt als einzige Partei der AfD Wähler ab, wenngleich mit 60.000 in überschaubarem Ausmaß.„Wir wussten, dass wir ein Risiko eingehen“, sagt Generalsekretär Leye im Kosmos, „das war uns klar.“ Noch nie habe es eine Partei auf Anhieb in den Deutschen Bundestag geschafft. Doch das BSW sei „im Modus“. Es habe „ein Jahr lang mit Hürden gekämpft, die noch nie einer genommen hat“. Doch was, wenn es am Ende nicht reicht? „Dann ist es eine Niederlage“, sagt Sahra Wagenknecht, „aber nicht das Ende des BSW“.