Wenn der ukrainische Staatschef den zweifelhaften Vertrag infrage stellen wollte, statt ihn zu unterschreiben, warum kam er dann nach Washington? Donald Trump kam die Konfrontation erkennbar gelegen. Er war auf den Eklat gut vorbereitet


Sie ergänzten sich bei dieser Inszenierung perfekt: Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj im Oval Office

Foto: Brian Snyder / picture alliance


Es war am 17. März 2017 im Kaminzimmer des Weißen Hauses. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist auf Antrittsbesuch beim neuen US-Präsidenten. Der verweigert ihr den Handschlag. Der Fotoreporter rufen, sie sollten es doch endlich tun. Merkel deutet an, sie sei bereit, und beugt sich erwartungsvoll Richtung Gastgeber. Donald Trump bleibt hart. Nichts da.

Eklat und Beziehungskrise kann sich die Ukraine weniger denn je leisten

Will heißen, dieser Präsident war protokollarisch Konventionen nie zugetan, wenn sie ihn den Affront kosteten, den er gern auskostete. Am Vormittag des 28. Februar 2025 hat er sich nochmals gesteigert, wenn nicht übertroffen, weil Wolodymyr Selenskyj nach Kräften sekundierte. Hier trafen zwei Inszenierungen aufeinander, deren Urheber wussten und wollten, dass es so ausgeht, wie es ausgegangen ist – mit einem Eklat, einem Gipfelabbruch und einer Beziehungskrise, die sich die Ukraine weniger denn je leisten kann. Aber Selenskyj doch leisten will, weil das die noch verbliebenen europäischen Verbündeten maximal unter Druck setzt.

Was hilft es zu klagen und zu lamentieren, dass der ukrainische Staatschef öffentlich abserviert und gedemütigt wurde. Dem musste klar sein, was passiert, wenn er im Weißen Haus coram publico einen Vertrag anzweifelt, zu dessen Unterzeichnung er schließlich nach Washington gekommen war. Wenn der nicht seinen Vorstellungen entsprach, hätte er zu keinem Gipfel fliegen sollen, von dem es hieß, er diene dazu, diesen „Deal“ zu besiegeln. Stattdessen hat Selenskyj gegenüber Trump und Vizepräsident J.D. Vance Sicherheitsgarantien verlangt, zu denen die Gegenseite mehrfach erklärt hatte, dies nicht zu akzeptieren. Welche Reaktion das auslösen würde, stand außer Zweifel.

Die geplante Übereinkunft – gewiss ein Agreement äußerst zweifelhafter Natur – in demonstrativer Weise gegenüber Trump persönlich und vor der versammelten Presse in Frage zu stellen, das hieß, sie aufzukündigen, und führte folgerichtig zum Eklat. Es entstand der Eindruck, Selenskyj kam nur ins Weiße Haus, um genau das zu bewirken. Es hätte genauso gut die Möglichkeit bestanden, auf diplomatische Weise durch weitere Verhandlungen zu versuchen, bessere Konditionen zu erreichen nach dem Muster: Wir überlassen euch unsere Rohstoffe, aber wollen im Gegenzug, dass ihr uns weiter wie bisher militärisch unterstützt und nicht mit Wladimir Putin verhandelt.

Was Trump zu sagen hatte, gewann an Schlagkraft, weil er es Selenskyj ins Gesicht sagen konnte

Dazu war es allerdings in dem Augenblick zu spät, als Selenskyj den Termin im Weißen Haus annahm. Von da an konnte er den Vertrag nur noch dadurch verhindern, indem er ihn öffentlich scheitern ließ. War genau das die Absicht? Und von vornherein so gedacht?

Donald Trump wird damit gerechnet haben. Für ihn bot sich eine willkommene Gelegenheit, den Bruch mit Selenskyj gleichfalls öffentlich zu zelebrieren. Er konnte Argumente vorbringen – vor allem der Verweis auf die Gefahr eines Dritten Weltkrieges – die seiner Friedensinitiative einen missionarischen, wenn nicht sakralen Anstrich geben. Er wirkte gut vorbereitet, auf das unweigerlich heraufziehende Wortgefecht. Was er zu sagen hatte, gewann an Schlagkraft, weil er es Selenskyj ins Gesicht sagen konnte.

Der tat ihm vor laufenden Kamera auch noch den Gefallen, sich der Joe-Biden-Formel vom „Killer Putin“ zu bedienen, um Trumps Verhandlungsoption ins fiese Licht eines Komplotts aus dem politischen Kriminellen-Milieu zu rücken. Da konnte man sich im Erregungsfuror perfekt ergänzen.

Was, nebenbei gesagt, medial überhaupt nicht thematisiert wird: Selenskyj steht auch in der Ukraine unter Druck, wenn er den Ausverkauf seines Landes an die USA vertraglich festschreibt. Hat er demzufolge das „Abkommen“ lieber nicht unterschrieben, sondern vor den Augen der Welt zerrissen?

Es hat den Anschein, als arbeite Selenskyj bereits an seinem Vermächtnis, in höchster Not, nicht zu Kreuze gekrochen zu sein, sondern das Kreuz des unbeugsamen, verratenen Heroen getragen zu haben. Seine Weigerung, sich bei Trump zu entschuldigen, würde dem sich anbahnenden Mythos zuwiderlaufen. Es würde vor allem entwerten, was er im Weißen Haus als Vorstellung abgeliefert hat, um jedoch mehr vorgeführt zu werden, als etwas vorführen zu können. Weil die Rollen nun einmal so ungleich verteilt sind.



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Von Veritatis

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