Im nächsten Jahr wird die ostdeutsche Stadt Chemnitz zur Kulturhauptstadt Europas ernannt. Von der Politik wollen sich die Organisatoren fernhalten. Das sei der falsche Ansatz, findet der Kurator Kim Brian Dudek
„Die Mechanisierung der Landwirtschaft“ von Karl Heinz Jakob von 1960 – neu interpretiert im Auftrag seiner Enkelin Henrike Naumann
Foto: Max Mendez
Im kommenden Jahr wird Chemnitz Kulturhauptstadt, die Rechten haben sie schon jetzt als Feld für ihren Kulturkampf entdeckt. Zuvor aber fand in diesem Herbst die Pochen Biennale statt, eine Ausstellung, die dazu beitragen wollte, die sächsische Stadt in Europa zu verorten. Der Kurator Serge Klymko, künstlerischer Leiter der vergangenen Kyiv Biennale, brachte Kunst nach Chemnitz, die sich mit der Ukraine, Ost- und Mitteleuropa auseinandersetzte.
Die Chemnitzer Schau mit ihrem Schwerpunkt auf Medienkunst besteht seit 2018, sie verknüpft Forschung und Ausstellung, mit Schulen arbeitet sie für eine Jugendkunstausstellung zusammen. 2024 brachte die Biennale das Stasi-Unterlagen-Archiv an Bord und sie führte das Dokumentartheater Die NSU-Monologe auf.
Aber: Das Kunst-
uf.Aber: Das Kunst- und Kulturpublikum dafür sei in Chemnitz „begrenzt“, sagt der Leiter der Biennale, Kim Brian Dudek. Im Interview spricht er über die Herausforderungen des Ausstellung-Machens und darüber, was das Kulturhauptstadt-Projekt für den Osten bedeutet.der Freitag: Herr Dudek, der Titel der diesjährigen Biennale, „Ex Oriente Ignis“, ist vieldeutig, er geht zurück auf einen Text des modernistischen Dichters Mykola Chwylowyj. Er bezieht sich auf die alte Vorstellung, dass die Kultur von Osten aus westwärts voranschreitet. Wo sehen Sie die Verbindung zu Chemnitz?Kim Brian Dudek: Eigentlich widerspricht der lateinische Titel der Zugänglichkeit, die wir schaffen wollen. Andererseits finde ich „Das Feuer kommt aus dem Osten“ gut gewählt, weil dieses Bild im ersten Moment so simpel ist, aber viele Dimensionen offenbart. Man denkt heute an die Zerstörung der Ukraine, an Artilleriefeuer und an Energie. Der Osten ist zentral, weil Chemnitz als osteuropäische Stadt in einem westeuropäischen Land bezeichnet wird – was ich kritisch sehe, aber das schafft diese Verbindung von Osten und Feuer, von Momenten der Umwälzung und Veränderung. Ich denke an die Künstlerin Henrike Naumann, die ein Bild von ihrem Großvater, der Maler in der DDR war, zur Grundlage einer Performance machte. Bei dem Gemälde ging es auch um Transformation, um Landwirtschaft und Technologisierung. Das sieht man auch in der Arbeit von Vova Vorotnyov, in der es um Bergbau geht. Die Verbindungen haben mit Ostdeutschland, dem Umland, dem Erzgebirge zu tun.Stefan Schmidtke, der Geschäftsführer der Kulturhauptstadt, sagte, Chemnitz sei eine Brücke nach Osteuropa. Irgendwie passt die Biennale doch auch dazu, oder?Stimmt, unter Vorbehalt. Wo fängt Osteuropa an? Ich sehe das kritisch, weil der Begriff einen Kulturraum überdeckt, der eine eigene Geschichte hat – Tschechien, Polen, Ungarn, die Ukraine. Die Kulturhauptstadt ist vielleicht nicht dafür da, diese Komplexität abzubilden. Vor dem Mauerbau gab es ein Mitteleuropa, und das ist dann in dem Schema von Ost und West verschwunden. Zu sagen, Chemnitz ist osteuropäisch, wäre unterkomplex. Beispielsweise ist der Umgang mit der Geschichte des Sozialismus in Deutschland ganz anders als in Polen und Tschechien, denn dort wurde Russland viel stärker als Besatzungsmacht wahrgenommen. Zugleich gibt es im Westen auch Ressentiments gegen Osteuropäer*innen. Um damit zu brechen, würde ich vielleicht doch sagen, dass Chemnitz eine osteuropäische Stadt ist.Sie selbst sind aus dem Westen. Ist der westdeutsche Blick auf den Osten problematisch?Ich habe in Jena studiert und viel über ostdeutsche Geschichte gelernt. Die Differenzierung von Osten und Westen ist richtig, und der Westen weiß viel zu wenig über den Osten. Man wächst auf mit einem vermeintlich gesamtdeutschen Bild. Aber man lernt in der Schule hauptsächlich westdeutsche Geschichte. Ich war beispielsweise im Mansfelder Land, einst eine der größten Industrieregionen der DDR. Mit der Wende waren schlagartig Tausende Menschen arbeitslos. Man lernt etwas über die Treuhand und die vielen Schicksale. Die Vergangenheit des Westens ist auch Ostdeutschland.Der Soziologe Steffen Mau sagt, es gebe zu wenig Zivilgesellschaft im Osten. Gilt das auch für den Kulturbetrieb?Ich glaube ihm als Soziologen, aber in Chemnitz nehme ich das anders wahr. Wir haben in unserem Verein großes ehrenamtliches Engagement. Ich merke allerdings, dass die Zivilgesellschaft unpolitisch ist. Die Kulturhauptstadt will diese „stille Mitte“ erreichen. Aber: Wo ist die Mitte, und wie rechts ist sie? Es gibt weitreichende rechtsradikale Strukturen in Sachsen und Ostdeutschland. Ich sehe keine Mitte, die sich dagegen erhebt. Es gibt Engagement von Vereinen, Institutionen und Einzelpersonen, aber eine Bewegung wie die große Anti-AfD-Demo im Januar ist komplett verpufft. Diese Struktur ist im Westen noch stärker. Diejenigen, die sich hier seit der DDR politisch engagiert haben, sind in Teilen in den Westen gegangen. Das Freiwilligenprogramm der Kulturhauptstadt funktioniert ganz gut, aber ich sehe nicht, dass man sagt: Wir wollen das Feld nicht den Rechten überlassen. Es gibt so eine abwartende Vorsicht. Aber die Faschos sind schon da. Wir konnten mit Mühe eine AfD-Mehrheit in den drei Landtagen im Osten verhindern. Gleichzeitig sagen hier auch viele: Wir machen das schon so viele Jahre. Die Menschen sind ausgebrannt. Es gibt tolles Engagement in Chemnitz, aber vielleicht nicht die Leute, die es erreicht.Wie positioniert sich die Kulturhauptstadt politisch?Die Kulturhauptstadt kann mit ihrem Programm belegen, dass sie versucht, migrantische Perspektiven und queere Positionen zu zeigen, dass sie versucht, alle abzuholen, und dass sie mit dem Pilotprojekt für das NSU-Dokumentationszentrum Strukturen des Rechtsradikalismus thematisiert. Aber in Teilen sind das Feigenblätter. Die Initiative versucht, die Mitte zu erreichen, von der ich behaupte, dass es sie seit den Corona-Jahren nicht mehr gibt. Es gibt ein verkürztes Zitat von Stefan Schmidtke, in dem er sagt, Politik machen andere. Ich finde das schade, weil man so die Zivilgesellschaft nicht mobilisiert. Chemnitz ist Kulturhauptstadt geworden, weil es 2018 rechtsextreme Aufmärsche gab, in den letzten zwei Jahren hat aber keine tiefgreifende Arbeit von Chemnitz 2025 stattgefunden, um migrantische und demokratische Strukturen nachhaltig zu stärken. Ich hätte mir gewünscht, dass man da aktiver mit engagierten Initiativen solidarisch ist. Man kann die AfD und andere Rechte nicht wegignorieren.Es gibt einen Kulturkampf von rechts: Anfang vergangenen Jahres forderte die AfD im Bundestag eine Neuausrichtung der Kulturpolitik mit Fokus auf Identität. Das Bündnis Pro Chemnitz hat im Frühjahr gleich das Ende des Kulturhauptstadt-Projekts gefordert. Aber was wollen die Rechten in der Kulturpolitik?Das sind Manöver. Denen ist klar, dass sie nicht das Ende der Kulturhauptstadt einläuten. Die Rechten wollen Debatten bestimmen. Der Pro-Chemnitz-Stadtrat Robert Andres sagte, Chemnitz wäre nur dank der Rechten Kulturhauptstadt geworden, daher wollen die auch einen Anteil daran haben. Die Eröffnung der Kulturhauptstadt im Januar 2025 darf nicht ihnen gehören, sondern denen, die für eine vielfältige Kultur und pluralistische Demokratie eintreten.Es werden jetzt oft Kulturhauptstädte erwählt, die abseits der Zentren liegen. Fast könnte man meinen, dass diese Projekte einen Mangel in der Peripherie ausgleichen sollen.Es gibt eine wiederkehrende Situation in ländlichen Regionen, auf die wir als europäische Gesellschaft keine Antwort gefunden haben. Auf dem Land in Ostdeutschland waren die Faschos in den 1990ern die ersten, die eine Kiste Bier und Musik in die Jugendclubs gebracht haben. Die haben nicht mit Ideologie angefangen, aber die waren halt da. Die Rechten haben von dem entleerten Raum Besitz ergriffen, und es gab keine Strategie dagegen. Das ist jetzt ähnlich. Wo es einen großen Wegzug gibt, kann man eine Rückbesinnung auf Identität beobachten und fremdenfeindliches Agieren, weil man Angst hat, die Identität würde durch Immigration verschwinden: das spezifisch Deutsche, Polnische oder Ungarische. Aber ohne Zuzug wäre Chemnitz tot. Die Kulturhauptstadt hat es nicht geschafft, darauf eine Antwort zu geben. Dank des Titels verbessern sich aber die Kompetenzen von Vereinen und Initiativen, ich denke, dass sich Chemnitz nachhaltig positiv verändert hat. Aber teilweise sind die Erwartungen überzogen. Wir wachen 2026 nicht plötzlich in einer besseren Gesellschaft auf.Was planen Sie als Pochen Biennale für 2025?Wir wollen Resonanzräume schaffen, Stimmen, Perspektiven, Bilder aus Europa, aus Mittel- und Osteuropa hierherholen, mit Fokus auf ukrainische Positionen, die in Zukunft europäische Positionen sein werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat gesagt, in der Ukraine werden europäische Werte verteidigt. Man muss sich fragen, welche europäischen Werte das sind. Ich habe keine Antwort, aber es geht darum, diese Frage zu stellen.Placeholder image-1Kim Brian Dudek wurde in Hessen geboren und hat in Jena und Halle Politikwissenschaft und Philosophie studiert. In Halle war er drei Jahre für die Werkleitz Gesellschaft tätig. Seit 2023 leitet er mit Benjamin Gruner die Pochen Biennale in Chemnitz, wo er seit 2021 lebt