Für Deutsche ist es klar, dass sie kein Recht haben, den Bundespräsidenten zu wählen.

Bislang ist noch niemand auf die Idee gekommen, der politischen Schauveranstaltung, dem Panoptikum, das als Bundesversammlung bezeichnet wird und zusammentritt, um einen Bundespräsidenten zu wählen, der repräsentativ tätig und wenig mehr eine Art deutsches Spiegelbild zum britischen King Charles sein soll, dessen Funktionen ebenfalls mehr oder minder repräsentativer Art sind, die Möglichkeit, den Präsidenten zu bestimmen, mit Verweis auf demokratische Wahlrechte, die bei Bürgern veorrtet sind, streitig zu machen.

Indes, es gibt andere Regierungssysteme.

Die Franzosen und die US-Amerikaner wählen in direkter Wahl einen mit umfassenden Befugnissen ausgestatteten Präsidenten, so dass man denken könnte, das Recht auf Freie Wahl würde in den USA und Frankreich auch die Wahl des jeweiligen Präsidenten umfassen. Und während man beim US-Amerikanischen Präsidenten keinen Zweifel haben kann, dass er kraft z.B. seiner Kompetenz „Executive Orders“ als Dekrete mit bindendem Charakter zu erlassen, zur Legislative gehört, kann man sich beim Französischen Präsidenten darüber streiten, ob seine beschränkten Rechte, eine legislative Funktion begründen. Etwa, wenn er unter Notstandsgesetzgebung agiert oder die Ratifizierung von Gesetzes verweigert oder die Regierung entlassen und das Parlament auflösen kann, alles Möglichkeiten, einen indirekten Einfluss auf die Gesetzgebung auszuüben. Entsprechend gilt das Französische Politische System als Semi-Präsidentielles System: Der Präsident hat einen irgendwie gearteten und von den Mehrheitsverhältnissen in der Assemblée Nationale abhängigen Einfluss auf die Legislative, ist aber selbst von der Gesetzgebungsinitiative und dem Erlass von Gesetzen ausgeschlossen.

Warum wir das so ausführlich beschreiben?

Weil das französische Regierungssystem in weiten Teilen in das rumänische Regierungssystem übertragen wurde. Insbesondere die Funktion und Position des Rumänischen Staatspräsidenten ist der Position von Macron sehr ähnlich.

Und weil die Frage, ob der Präsident in irgend einer Form Teil der Legislative ist, für ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) von Bedeutung ist, zentral ist. Denn dort wurde gerade Application no. 37327/24 Călin GEORGESCU against Romania verhandelt und abschlägig für Georgescu beschieden. 

Călin GEORGESCU ist der Kandidat, der nach der ersten Runde der Rumänischen Präsidentschaftswahlen in Führung gelegen hat, der Hauptleidtragende der Annullierung der Präsidentschaftswahl durch das Verfassungsgericht Rumäniens und mit der Begründung, dass Unregelmäßigkeiten es Wählern verunmöglicht hätten, eine unbewiesene Behauptung, sich ein objektives Urteil der zur Wahl stehenden Kandidaten und ihrer politischen Ziele zu bilden. Wenn man davon ausgeht, dass das Belügen von Wählern die ultimative Methode ist, um zu verhindern, dass sich Wähler ein objektives, sagen wir lieber ein der Realität weitgehend entsprechendes Urteil über einen Kandidaten und von ihm vertretene Politiken bilden können, dann müsste man eigentlich in gleichem Recht die letzte Bundestagswahl annullieren. 

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Wie auch immer, Georgescu hat vor dem EGMR geklagt und dort im Wesentlichen geltend gemacht, dass sein in Artikel 3 des Protokolls zur Menschenrechtskonvention verbrieftes Recht auf Freie Wahl durch die Annullierung missachtet worden sei (er hat noch weitere Punkte geltend gemacht, die jedoch aus unserer Sicht eher irrelevant sind). Artikel 3 des 1. Protokolls zur Menschenrechtskonvention liest sich wie folgt:

Article 3 of Protocol No. 1– Right to free elections
“The High Contracting Parties undertake to hold free elections at reasonable intervals by secret ballot, under conditions which will ensure the free expression of the opinion of the people in the choice of the legislature.”

Das Recht auf Freie Wahl besteht also darin, dass in sinnvollen zeitlichen Abständen zueinander geheime Wahlen in einer Weise abgehalten werden, die die freie Meinungsäußerung der Wähler im Hinblick auf die Wahl der Legislative ermöglicht.

Wie so oft bei Gesetzestexten reklamiert die berobte Zunft, silly people wearing silly wigs in silly dresses, das allenige Recht auf die Zuschreibung von Bedeutung zu schwammigen Begriffen. So auch hier. Und wie immer, wenn man Juristen die Bestimmung von etwas überlässt, ist dieses Etwas nach der Bestimmung noch schwammiger als davor, denn das ist der Juristen Geschäft, so machen sie ihre Dienste notwendig, ihre Dienste, die darin bestehen, meistbietend die Definition zu verwenden, die gerade gewünscht oder bezahlt wird … Das ist natürlich Sarkasmus – … oder auch nicht.

Aber lesen Sie selbst:

2. Article 3 of Protocol No. 1 concerns only the choice of the legislature. This expression is not, however, confined to the national parliament. The constitutional structure of the State in question has to be examined (Timke v. Germany, Commission decision, 1995). Generally speaking, the scope of Article 3 of Protocol No. 1 does not cover local elections, whether municipal (Xuereb v. Malta, 2000; Salleras Llinares v. Spain (dec.), 2000) or regional (Malarde v. France, 2000). The Court has found that the power to make regulations and by-laws, which is conferred on the local authorities in many countries, is to be distinguished from legislative power, which is referred to in Article 3 of Protocol No. 1, even though legislative power may not be restricted to the national parliament alone (Mółka v. Poland (dec.), 2006). However, having examined the Italian constitutional structure, the Court has found that Article 3 of Protocol No. 1 applied to local elections to provincial councils in Italy. By a 2001 constitutional reform, the Italian regions were granted very broad legislative powers, covering all matters which were not expressly reserved to the exclusive powers of the State. As such, the provincial councils were to be considered as part of the “legislature” (Repetto Visentini v. Italy (dec.), 2021; Miniscalco v. Italy, 2021).

Quelle: European Court of Human Rights, Guide on Article 3 of Protocol No. 1 to the European Convention on Human Rights

Als Legislative gilt ein Ort, an dem Gesetze erlassen werden, gemeinhin als Parlament bezeichnet bzw. in manchen Regierungssystemen auch der Präsident. In Europa finden sich darüber hinaus lokale Parlamente, die nach Ansicht von Richtern am EGMR eine vom nationalen Parlament unbeeinträchtigte und unabhängig bestehende Gesetzgebungsfunktion ausüben, so dass als Resumée dieses kleinen Ausflugs festgestellt werden kann, dass nach Ansicht der Richter am EGMR das Recht auf Freie Wahlen entweder das nationale Parlament oder im Fall von Italien eine Reihe lokaler bzw. regionaler Parlamente umfasst, die ihre Bevölkerung mit Gesetzen traktieren können – es komme eben auf den Kontext an.

Um es bis hier zusammenzufassen: Damit ein Recht auf Freie Wahl besteht, muss das zu wählende Organ eines Regierungssystems eine GESETZGEBUNGSFUNKTION besitzen, also Regeln für die Wähler erlassen können. Für alle anderen Organe eines Regierungssystems, etwa einen Präsidenten oder einen Verfassungsschutzpräsidenten besteht kein Recht auf Freie Wahl, sofern Sie nicht legislative Funktion ausüben.

Die Frage, ob Georgescu mit seiner Eingabe an den EGMR Erfolg haben kann, hängt somit einzig und allein davon ab, ob die Richter die verfassungsmäßige Position des Präsidenten in Rumämien als mit „legislativer Funktion“ ausgestattet und somit als Teil der Legislative einordnen:

6. As regards presidential elections, the Court has taken the view that the powers of the Head of State cannot as such be construed as a form of “legislature” within the meaning of Article 3 of Protocol No. 1. It does not exclude, however, the possibility of applying Article 3 of Protocol No. 1 to presidential elections. Should it be established that the office of the Head of State in question had been given the power to initiate and adopt legislation or enjoyed wide powers to control the passage of legislation or the power to censure the principal legislation-setting authorities, then it could arguably be considered to be a “legislature” within the meaning of Article 3 of Protocol No. 1 (Boškoski v. the former Yugoslav Republic of Macedonia (dec.), 2004; Brito Da Silva Guerra and Sousa Magno v. Portugal (dec.), 2008). This possibility has never been used, however, and has not even been mentioned in subsequent cases (Paksas v. Lithuania [GC], 2011; Anchugov and Gladkov v. Russia, 2013, §§ 55-56).

Quelle: European Court of Human Rights, Guide on Article 3 of Protocol No. 1 to the European Convention on Human Rights

Die entscheidenden Kriterien sind somit:

  • Recht auf Gesetzesinitiative;
  • Erlass von Gesetzen;
  • Kontrolle über weite Teile des Gesetzgebungsprozesses;
  • Befugnisse, um sich über die Gesetzgebungsfunktion des Parlaments hinwegzusetzen;

Gemessen an diesen Kriterien hat es Georgescu den Richtern mit seiner Eingabe zu einfach gemacht, denn der Präsident Rumäniens hat keines der vier beschriebenen direkten Rechte, die ihn nach Ansicht der Richter zur Legislative oder einem Teil der Legislative machen. Er hat indirekte Einflussmöglichkeiten, die in der Welt der Richter nicht vorkommen.

Und so kommen wir bei der Auffassung an, dass Organe eines Regierungssystems vom Recht auf Freie Wahl ausgenommen sind, sich dieses Recht ausschließlich auf die jeweilige Legislative beschränkt bzw. das, was die Richter als solche ansehen. Obschon „alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht“, und zwar in allen demokratischen Systemen, hat dieses Volk kein Recht, seinen Willen in Inhaber von Positionen im Regierungssystem zu transferieren. Dafür sorgen nicht nur Richter am EGMR, dafür sorgen vor allem absurde Regelungen wie Artikel 3 des 1. Protokolls zur Menschenrechtskonvention, die das Recht auf Freie Wahlen zu einem bedingten Recht auf Freie Wahlen machen.

Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde am 4.November 1950 von den Mitgliedsstaaten des damaligen Europarates unterzeichnet und trat am 3. September 1953 in Kraft. Die Idee zur Europäischen Menschenrechtskonvention hatte Winston Churchill, Pierre-Henri Teitgen, ein französischer Politiker und Jurist, gilt als Hauptinitiator der Konvention. Teitgen hat einen ersten Enwturf vorgelegt. Maßgeblich verfasst wurde die Konvention aber von David Maxwell-Fyfe einem britischen Anwalt und Politiker. Maxwell-Fyfe hat sich quasi die weitere Karriere geschrieben, denn er war einer der ersten Richter am anschließend geschaffenen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Das Ganze ist ein Nachkriegsanachronismus, der der Überarbeitung oder Streichung bedarf.

Den Beschluss des EGMR finden Sie hier [in englischer Sprache]


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Von Veritatis

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