SPD und Union wollen massiv aufrüsten – dafür planen sie aktuell mit den Mehrheiten des alten Bundestages ein Sondervermögen und eine Lockerung der Schuldenbremse. Wird parallel die Bevölkerung im Land „kriegstüchtig“ gemacht?
Abenteuerspielplatz Bundeswehr? Auch Minderjährige sind der Kriegspropaganda ausgesetzt.
Christof STACHE/AFP
Kennen Sie die „Invictus Games“? Das Sportereignis, gesponsert vom Flugzeugbauer Boeing, verfolgte 2023 in Deutschland ein durchaus honoriges Ziel: Mithilfe der ausgetragenen Wettbewerbe sollte sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Leid von Kriegsversehrten richten.
Darüber berichtete auch das aktuelle Sportstudio im Zweiten Deutschen Fernsehen. Eingeladen waren der gediente SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius sowie der britische Prinz Harry, der einst im Irak Militärdienst leistete. Zwei weitere Ex-Soldaten traten auf: Der eine hatte bei seinem Einsatz in Afghanistan beide Beine verloren, der andere berichtete über seine andauernde posttraumatische Belastungsstörung.
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über seine andauernde posttraumatische Belastungsstörung. Die Ursache für die schweren Beeinträchtigungen der versehrten Gäste – der Krieg nämlich – wurde in der Sendung kein einziges Mal direkt benannt. Erst nach 45 Minuten stellte die Moderatorin eine heikle Frage an den Minister: Ob er den Unmut verstehen könne, der in dem vordergründig rein sportlichen, aber nicht ohne Grund von der Waffenindustrie geförderten Event eine Verherrlichung des Militärischen sehe? Pistorius beschwichtigte, es gehe doch lediglich darum, Solidarität und Respekt „für die Einsatzkräfte“ zu zeigen. Die schleichende Militarisierung des Alltags Man kann es auch anders sehen: Ein öffentlich-rechtlicher Sender bereitete die Werbebühne für wehrhafte Kriegstüchtigkeit. Das ist nur ein Beispiel für die schleichende Militarisierung des alltäglichen Lebens, die sich verstärkt, je länger der Konflikt in der Ukraine anhält. Der meinungsführende Journalismus ist sich seit dem russischen Angriff vor drei Jahren weitgehend einig. Er lässt kaum Zweifel gelten an dem ständig verbreiteten Szenario, dem zufolge das personalisierte Feindbild Wladimir Putin spätestens Ende des Jahrzehnts NATO-Staaten überfallen wolle.Die Notwendigkeit einer drastischen Steigerung des deutschen Rüstungsetats wird medial kaum infrage gestellt. Ebenso wenig umstritten ist die damit verbundene Perspektive, nicht nur die Armee, sondern auch eine angeblich vom „Unterwerfungspazifismus“ infizierte kriegsmüde Bevölkerung müsse „kriegstüchtig“ sein. So wird an der Heimatfront mobilisiert. „Unter dem Schlagwort der Zeitenwende sind überall in Deutschland kriegsvorbereitende Maßnahmen zu beobachten“, schreibt der Soziologe und Medienkritiker Marcus Klöckner in einem aktuellen Buch. Leider diskreditiert der Autor seine Anliegen mit teils verschwörungstheoretisch anmutenden Aussagen, dennoch benennt er wichtige kulturelle Prozesse in der Gesellschaft. Die Veränderung in Richtung Militarisierung beginnt schon bei der Sprache, wenn dort von Helden, Ehre und Tapferkeit auf der einen, jedoch von Soldateska, Söldnern oder Schergen auf der anderen Seite die Rede ist.Die Veränderung in Richtung Militarisierung beginnt schon bei der Sprache.Straßenbahnen oder Busse fahren mit großflächiger Werbung für die Bundesweher durch die Städte. Auf Berufsorientierungsmessen und in Sporthallen ist die Armee mit Waffenschauen im Einsatz, macht ausgestellte Panzer oder Hubschrauber zu magnetischen Anziehungspunkten für Jugendliche, die sie für ihre Zwecke rekrutieren will. In die Schulklassen drängen rhetorisch trainierte Offiziere, um ihre Sichtweise einer „veränderten Sicherheitslage“ im Politik- oder Ethik-Unterricht unhinterfragt zu verbreiten. Authentische Beiträge von Kriegsdienstverweigerern oder gar Kriegsversehrten als Gegenstimmen sind eine Seltenheit. In Bayern sind die Lehrkräfte seit August 2024 sogar verpflichtet, die einseitigen Werbeauftritte in Uniform zu tolerieren. Gegen das „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr“ klagt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zusammen mit mehreren anderen Organisationen wie der Deutschen Friedensgesellschaft und Pax Christi. Ähnlich wie im Kalten Krieg gibt es wieder regelmäßig und nicht nur auf den Schulhöfen Sirenenalarm. Der sogenannte Zivilschutz wird ausgebaut. Notstandsszenarien der Bundeswehr raten den Haushalten dazu, für den kriegerischen „Ernstfall“ Lebensmittel vorzuhalten, die mindestens ein paar Wochen lang private Autonomie gewähren. Wer Immobilien besitzt, wird aufgefordert, darüber nachzudenken, einen privaten Bunker im Keller einzurichten.Der „Operationsplan Deutschland“ der Bundeswehr entwirft Korridore für umfangreiche Truppentransporte der westlichen NATO-Verbündeten auf ihrem Weg zu einer imaginären „Ostflanke“. Logistisch eingebunden sind Flughäfen, Schienen, Wasserwege und Autobahnen; unterstützen sollen „Blaulichtorganisationen“ wie das Technische Hilfswerk, das Rote Kreuz sowie Polizei und Feuerwehr. Für die Verpflegung der durchreisenden Frontkämpfer, so die Militärstrategen, habe die einheimische Bevölkerung zu sorgen. Mehr Resilienz für den Krieg„Wir müssen kriegstüchtig sein. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen“, so lautet der genaue Wortlaut des viel zitierten Appells von Boris Pistorius. Dass ein sozialdemokratischer Minister sich unbeeindruckt von den schrecklichen Erfahrungen in Faschismus und zwei Weltkriegen einer Sprache bedient, die eher an Aussagen des AfD-Hardliners Björn Höcke erinnert, wäre in früheren Zeiten undenkbar gewesen.Im Kern wiederholte Pistorius eine Formulierung, die zuerst Carsten Breuer, der Generalinspekteur der Bundeswehr, verwendet hatte. Neben der militärischen Aufrüstung sieht der oberste deutsche Soldat zwei weitere Pfeiler der „Kriegstüchtigkeit“, es brauche einen „gesellschaftlichen Mentalitätswandel“ und „personelle Einsatzbereitschaft“. Notwendig sei mehr „Resilienz“, ein Schlagwort, das bereits in dem von Breuer verantworteten Weißbuch der Streitkräfte im Jahr 2016 auftaucht. Gemeint ist hier die mentale wie physische „Bereitschaft und Fähigkeit einer Gesellschaft, einen Konflikt mit den Einschränkungen und Verlusten mitzutragen“. Es handelt sich um eine äußerst waghalsige Interpretation des modischen Psychobegriffs.Das dahinter liegende Selbstverständnis deckt sich mit zahlreichen Verlautbarungen aus Wissenschaft und Politik. Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck (CDU) beklagte schon 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine „Entfeindung“, die fälschlicherweise auf vertrauensbildende Maßnahmen angelegt sei; angebrachter seien vielmehr Misstrauen und Argwohn.Der Historiker Heinrich August Winkler betonte in seiner Rede zum 70. Jahrestag des Kriegsendes 2015 im Bundestag, aus den Verbrechen des Nationalsozialismus lasse sich kein „deutsches Recht auf Wegsehen ableiten“. Gerade wegen der unrühmlichen Vergangenheit gebe es eine moralische Verpflichtung, sich weltweit an Waffengängen für vorgeblich ehrenhafte Ziele zu beteiligen. Genauso legitimierte der grüne Ex-Außenminister Joschka Fischer einst die Bombardierung der serbischen Hauptstadt Belgrad durch NATO-Flugzeuge, ohne Mandat der Vereinten Nationen. Genauso legitimierte der grüne Ex-Außenminister Joschka Fischer einst die Bombardierung der serbischen Hauptstadt Belgrad durch NATO-Flugzeuge.Bei dem Bemühen, den pazifistischen Neigungen vieler Deutscher ein Ende zu setzen und sie auf künftige militärische Konflikte vorzubereiten, schreckt die Kriegspropaganda nicht einmal vor der Manipulation der Jüngsten zurück. Für seinen Kinderkanal auf Youtube produzierte das ZDF 2024 ein animiertes Video, in dem verschiedene Waffensysteme spielerisch gegeneinander antreten, nach dem Motto: Welcher Marschflugkörper ist der tollste? Der arme Taurus wird bemitleidet, weil Kanzler Olaf Scholz ihn nicht fliegen lässt: eine besonders perfide, nicht nur didaktisch fragwürdige Form der Beeinflussung Minderjähriger – des Kanonenfutters der Zukunft.