Das Kunstmagazin „Frieze“ zählt sie zu den fünf angesagtesten Galerien der Welt. Was ist dran? Ein Besuch bei Hannes Schmidts Galerie Schiefe Zähne an der Potsdamer Straße in Berlin

Foto: „Dino Phan 2, 2024“, Phun-Tien Phan/Schiefe Zähne


Alljährlich veröffentlicht das internationale Kunstmagazin Frieze eine Liste mit den „Five Galleries to Watch“. Dieses Jahr findet sich in der Auswahl der Londoner Redaktion überraschenderweise auch die ganz junge Berliner Galerie Schiefe Zähne. Grund genug, dem Ort einen neugierigen Besuch abzustatten.

2017 von Hannes Schmidt gegründet, befindet sich seine Galerie Schiefe Zähne seit dem Herbst 2023 an der Potsdamer Straße. Die stark befahrene Straße liegt in einem Teil von Schöneberg und Mitte, in dem Luxus auf Zwielicht trifft. Zahlreiche Galerien sitzen dort – international agierende „Schwergewichte“ wie Esther Schipper und Max Hetzler, aber auch viele mittelgroße wie ChertLüdde und KOW, sowie ganz junge

Schipper und Max Hetzler, aber auch viele mittelgroße wie ChertLüdde und KOW, sowie ganz junge wie Molitor und Heidi. Trotz der hohen Galeriendichte und teurer Designerläden surrt es an der Potsdamer. Es gibt Imbisse, legendäre Bars und Kneipen. An der Ecke zur Kurfürstenstraße stehen Sexarbeiterinnen, begibt man sich tiefer in die Seitenstraßen hinein, stößt man stellenweise auf die Verelendung, die mit dem Konsum harter Drogen einhergeht.Sponante Laufkundschaft gibt es kaum, aber die ist auch nicht das ZielpublikumSchmidts Galerieräume befinden sich im zweiten Stock der Potsdamer Straße 103. Wer zu Schiefe Zähne will, muss klingeln. Durch das Eingangstor betritt man ein prunkvolles, renovierungsbedürftiges Treppenhaus, durch das man locker einen Konzertflügel die Stufen hinauf transportieren könnte. Beim Betreten der Stuckaltbauwohnung knarzt der Dielenboden. Galerist Hannes Schmidt steht in der Küche. Ob der Gang in den zweiten Stock ein Hindernis für die Besuchenden darstellt? Er verneint. Zwar gebe es kaum spontane Laufkundschaft, aber die sei sowieso nicht sein Zielpublikum. Das war schon damals so, am ersten Standort im Prenzlauer Berg, wo die Galerie seit der Gründung 2017 bis zum Umzug in die Potsdamer Straße ansässig gewesen ist. Das Schiefe-Zähne-Publikum nimmt sich Zeit. Es will im Gespräch Genaueres über die theoretischen Hintergründe zur Ausstellung erfahren – nicht nur durchhuschen und raus.Zum Zeitpunkt des Besuchs läuft der dritte Teil der Gruppenausstellung Ten Thousand Ugly Inkblots. Im Türrahmen lehnend, erklärt Schmidt, dass manche der Werke auch schon in einem, oder in beiden der vorherigen Kapitel der Schau zu sehen waren. Er geht durch die Flügeltür in den hinteren der zwei Ausstellungsräume und zeigt auf eine kleine Leinwand von Anna Clegg, auf der in schwarzen Lettern auf weißem Grund „illness“ steht – die zum Beispiel. Aktuell hängt sie neben Fotografien der Berliner Künstlerin Loretta Fahrenholz, die Aufnahmen von Reenactments zeigen. Verkleidete Menschen sind darauf zu sehen, die ein historisches Ereignis mit Requisiten und Kostümen möglichst authentisch versuchen nachzuspielen. Je nachdem, neben welchen Arbeiten „illness“ positioniert ist, ändert sich der Kontext und damit auch die Wahrnehmung des Werks – und vielleicht auch die Wirkung der gesamten Ausstellung. Genau solche Fragen interessieren Schmidt. Es geht ihm um eine Reflexion des Ausstellens und des Kunstmachens an sich.Galerist Hannes Schmidt ist in Freiburg geboren, studierte Kunst in HalleVielleicht liegt dieses Interesse auch in Schmidts Werdegang begründet. In Freiburg geboren, ging er 1997 nach Halle, um Kunst zu studieren. Im Schwarzwaldstädtchen beäugte man seine Entscheidung, für das Studium in den ehemaligen Osten zu ziehen, skeptisch. Im Nachhinein fragt sich Schmidt, was er aus dieser Zeit mitgenommen hat: „Inhaltlich hatte man sich noch nicht richtig sortiert nach der Wende.“ Alte Professoren aus DDR-Zeiten trafen auf neue aus dem Westen. Über den Kunstbegriff hatte man damals in Halle verschiedene Auffassungen. „Die Realität im Osten war zusammengebrochen, Richtung Westen wollte man sich aber auch nicht orientieren, dann gab es noch die systemkritische Kunst, aber eigentlich waren die Professoren dort Ende der 90er etwas verloren.“ Die Bereitschaft des Studenten, einen Kunstbegriff gepredigt zu bekommen und diesen in der künstlerischen Arbeit auszuloten, wurde also nicht befriedigt.Noch vor Abschluss des Studiums zog es Schmidt nach Berlin. Er mietete ein Atelier, das eigene Schaffen flaute ab, stattdessen begann er ab 2011 für fünf Jahre mit einem Freund den Projektraum Dingum zu betreiben, und sich die Antworten auf seine im Studium unbefriedigten Fragen selbst zu geben. Oder diese eben zumindest auszuloten – durch das Machen von Ausstellungen.Aus Schmidts Atelier zog der Projektraum zunächst ins Eternithaus, ein Gebäude im Berliner Hansaviertel, damals das Büro einer Catering-Firma. Während der Bürobetrieb an Werktagen normal stattfand, konnten Schmidt und sein Partner an den Wochenenden Ausstellungen organisieren. Bevor sie die Werke aufhängten, fotografierten sie die Räume, um Sonntagabend alle Tische und Rechner wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu rücken. Später, in den paar goldenen Jahren, in denen in Berlin noch Zwischennutzungen möglich waren, zog Dingum in Restaurants, auf Parkdecks, Karaoke-Bars und Mietwägen, darauf folgten internationale Einladungen von Institutionen und anderen Projekträumen.Die meisten Sammler*innen, die bei Schiefe Zähne kaufen, kommen aus den USAOb es für die von ihm ausgestellte Kunst auch einen Markt geben könnte, das wollte Schmidt nach einer halben Dekade nicht-kommerzieller Projektarbeit, die er mit der Arbeit als Tischler finanzierte, dann aber doch gern wissen. Und es hat nicht allzu lange gedauert, bis er diese Frage bejahen konnte. „Das erste Interesse kam aus den USA.“ Bis heute kommen die meisten seiner Sammler*innen von dort, einige wohnen im Rheinland und in der Schweiz. In Berlin sitzt bislang der kleinste Teil der Kundschaft. Es sieht eben so aus: „Hier gibt es einen Überschuss an Künstlern, wenige Sammler und viele Galerien.“ Wer bei Schiefe Zähne Kunst kaufen will, kann das ab 1.600 Euro, die Preise gehen bis 30.000 Euro.Seit September vergangenen Jahres unterstützt die Kunsthistorikerin Dara Jochum Schmidt als Direktorin. Sie kümmert sich um Sammler*innen, schreibt Ausstellungstexte und kuratiert. Um möglichst viel Geld geht es Schmidt bei seiner Arbeit trotzdem immer noch nicht. Vielmehr betrachtet er sie als Experiment und Zusammenarbeit: „Für mich ist die Galerie eine Plattform, um die Werke von bislang weniger bekannten Künstler*innen an ein Publikum, an Kurator*innen und Institutionen zu vermitteln.“ Und es stimmt ja. Die Arbeit von wirtschaftlich agierenden Galerien wird im Gegensatz zu der von staatlich finanzierten Institutionen oft kritisch betrachtet, doch eigentlich leisten sie eine Art Pionierarbeit, helfen jungen Positionen, erstmals gesehen zu werden. Und das bei freiem Eintritt.Welche Rolle spielt man als Galerist?Die andauernde Selbstbefragung – welche Rolle spielt Schmidt selbst als Galerist? Welche Rolle die Kunst, die er ausstellt und verkauft, als Teil des kapitalistischen Systems? – spiegelt sich im Galerieprogramm: Zum Gallery Weekend Berlin, das dieses Jahr am ersten Maiwochenende stattfinden wird, zeigt Schiefe Zähne eine Einzelausstellung von Phung-Tien Phan. Die Essener Künstlerin, deren Eltern aus Vietnam kommen, setzt sich in ihren Installationen und Videoarbeiten oft auf humorvolle Weise mit dem Widerspruch zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen an sie als Künstlerin und dem tatsächlichen Alltag als Mutter auseinander.Auch in der Gruppenschau Echo’s Hunger, die am 8. März bei Schiefe Zähne eröffnet, wird eine Arbeit von Phung-Tien Phan zu sehen sein. Denn die Schau zielt in ähnlicher Weise auf ein Ausloten der Spannung zwischen der Arbeit als Künstler*in und der Möglichkeit einer Selbstkritik, respektive einer Kritik am kapitalistischen Kunstmarkt. Dara Jochum, die die Ausstellung mit Franziska Sophie Wildförster kuratiert hat, erzählt, dass ihr beim Zusammenstellen der Arbeiten für die Schau aufgefallen ist, dass Künstler*innen, die die eigene Verortung in ihren Arbeiten kritisch reflektieren, oft mit gefundenen Objekten und mit Praktiken des Wiederverwendens und Übermalens arbeiten. Dieses ständige Hinterfragen und Verändern eines einzigen Objekts, sagt Jochum, gleiche der Arbeit am Selbst, am Künstlerselbst, im Verlauf eines Lebens.Von dem amerikanischen Konzeptkünstler Terry Atkinson werden deshalb zwei Wandarbeiten aus seiner Signature-Serie aus den 1990er-Jahren zu sehen sein, in denen er mittels variierender Signaturen unterschiedliche Künstlersubjektivitäten durchspielt. Auch Eyrie Alzate, von der die Galerie neue Papierarbeiten zeigt, integriert Übermalungen und -klebungen in ihre Werke, und Tanja Widmann arrangiert gefundenes Bildmaterial auf Tafeln.Kritik üben und sich gleichzeitig formal weiterentwicklen, geht das? Jochum erzählt, dass sie sich während des Kuratierens dieser Gruppenausstellung viele Gedanken über einen Artikel des Kunstkritikers Dean Kissick gemacht hat, der Ende vergangenen Jahres im Harper’s Magazine erschienen ist. Der Text mit dem Titel The Painted Protest schlägt einen großen Bogen, und wurde dafür gelobt, aber auch stark kritisiert. Kissicks Argumentation lautet, dass zeitgenössische Kunst durch einen Fokus auf Identitätspolitik – so wie das zum Beispiel bei der letzten Venedig-Biennale oft der Fall war – formal nicht innovativ sein könne. Als Beispiel nennt er die Malerei des jungen Künstlers Louis Fratino. Dieser malt queere Liebe in häuslichen Szenerien, bedient sich dabei aber der Mittel der Meister der Moderne – Pablo Picasso, Henri Matisse. Laut Kissick führt diese Kombination zu einer Rückwärtsgewandtheit. Wie kommt man da raus? Wie kann Kunst inhaltlich Kritik üben und sich trotzdem formal weiterentwickeln? Solche Meta-Diskurse beschäftigen Dara Jochum und Hannes Schmidt. Und das merkt man, wenn man sich ihre inhaltlich dichten Ausstellungen anschaut, die zum Nachdenken über den Stand des Kunstbegriffs an sich anregen.Jochum und Schmidt sind ein gutes Team. Sie eint das Interesse an Kunst, die sich selbst reflektiert. Und daran, die eigene Funktion als Akteur*innen im Kulturbetrieb zu hinterfragen. Dabei ist ihnen klar, dass ihre Anliegen ziemlich idealistisch sind. „Wir machen uns ja selbst immer wieder über uns lustig“, sagt Jochum, und Schmidt fügt hinzu: „Warum können wir nicht einfach mal was ‚Normales‘ zeigen?“ – „Schöne, bunte Malerei zum Beispiel.“ Gut, dass sie das nicht tun. Die Zähne bleiben schief.Schiefe Zähne zeigt vom 8. März bis zum 20. April 2025 die Gruppenausstellung Echo’s Hunger. Das Gallery Weekend Berlin findet in diesem Jahr vom 2. bis 4. Mai statt



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Von Veritatis

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