Nach dem Assad-Sturz ist ein Machtvakuum unverkennbar, das dschihadistischen Kräften wie dem IS Spielräume verschaffen könnte. In kurdischen Autonomiegebieten wächst die Gefahr, dass die dort inhaftierten IS-Kämpfer gewaltsam befreit werden


Mutmaßliche IS-Kämpfer im Panorama-Gefängnis in Hassakeh, in Nordsyrien

SQ / Imago Middle East Images


Jeder Windstoß weht eine Welle von Körpergeruch herbei, der durch die kleine Luke aus einer Massenzelle dringt. Drinnen sitzen hagere Häftlinge in braunen Overalls auf dünnen grauen Matratzen. Gut acht Jahre sind seit dem Ende des sogenannten Kalifats vergangen, das der Islamische Staat (IS) in Teilen Syriens ausgerufen hatte. Für die gut 4.500 Männer, die im Panorama-Gefängnis in Hassakeh, im Nordosten des Landes festgehalten werden, hat sich seither kaum etwas verändert. Sie sind Gefangene ohne Aussicht auf ein Gerichtsverfahren oder die Entlassung.

„Es herrscht Krieg – oder?“, fragt Muhammad Saqib Raza, ein 45-jähriger britisch-pakistanischer Arzt, der beschuldigt wird, IS-Kämpfer zu sein. Er wisse nichts darüber, w

ht eine Welle von Körpergeruch herbei, der durch die kleine Luke aus einer Massenzelle dringt. Drinnen sitzen hagere Häftlinge in braunen Overalls auf dünnen grauen Matratzen. Gut acht Jahre sind seit dem Ende des sogenannten Kalifats vergangen, das der Islamische Staat (IS) in Teilen Syriens ausgerufen hatte. Für die gut 4.500 Männer, die im Panorama-Gefängnis in Hassakeh, im Nordosten des Landes festgehalten werden, hat sich seither kaum etwas verändert. Sie sind Gefangene ohne Aussicht auf ein Gerichtsverfahren oder die Entlassung.„Es herrscht Krieg – oder?“, fragt Muhammad Saqib Raza, ein 45-jähriger britisch-pakistanischer Arzt, der beschuldigt wird, IS-Kämpfer zu sein. Er wisse nichts darXX-replace-me-XXX252;ber, was draußen vor sich gehe. Immerhin habe er von einem Menschenrechtsaktivisten, der zu Besuch war, erfahren, dass Donald Trump wieder US-Präsident sei und Baschar al-Assad Syrien nicht mehr regiere. Die Gefängnisverwaltung wollte das nicht bekanntgeben. Sie hat Angst, dies könne Unruhe innerhalb der Anstalt stiften.Mobiltelefone sind hinter deren Mauern nur als Schmuggelware zu haben. Das trifft vorwiegend nicht-syrische Männer, denen vorgeworfen wird, für den IS gekämpft zu haben. Die Wärter tragen Schlagstöcke und Sturmhauben, um ihre Identität zu verbergen, da sie annehmen, dass sie im Falle eines Ausbruchs mit Vergeltung rechnen müssten. Und Experten warnen: Der IS hat die Internierten nicht vergessen.US-Truppen in Syrien, die seit 2014 kurdische Streitkräfte unterstützen, um den IS in Schach zu halten, könnten demnächst abziehen. Großbritannien, Australien und Frankreich haben sich dafür entschieden, den mutmaßlichen IS-Kämpfern die Staatsbürgerschaft zu entziehen, um eine Rückkehr zu verhindern. Doch gibt es seit dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember keinen Grund, die Überreste des IS zu ignorieren. Kurdische Autoritäten schlagen Alarm und warnen, dass die Bedrohung durch den IS größer werde, der das Sicherheitsvakuum ausnutze, welches durch den Kollaps des bisherigen Regimes entstanden sei. Tatsächlich häufen sich IS-Aktivitäten in Nordsyrien, Zellen erwachen, die Jahre in der Wüste versteckt waren. „Als Assad gestürzt wurde, eroberte der IS Waffen. Eines seiner Hauptziele wird diese Haftanstalt sein“, sagt der Direktor des Gefängnisses, der seinen Namen nicht preisgeben will.Die kurdischen Behörden halten etwa 65.000 Menschen, davon 42.000 aus dem Ausland, als mutmaßliche IS-Kämpfer samt ihren Angehörigen in Gefängnissen und Lagern der von ihnen regierten Autonomieregion im Nordosten fest. Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch sehen in dieser Internierung ausländischer Staatsangehöriger eine „rechtswidrige“ Praxis, zumal das „unter lebensbedrohlichen Bedingungen“ geschehe.Die Sorge ist groß, dass IS-Gruppen die Haftanstalt attackieren, um ihre Leute herauszuholen. Vom Büro des Direktors kann man eine alte Gefängnisanlage gut überblicken, auf die es 2022 einen Angriff von IS-Kämpfern von außen gab, während zugleich Häftlinge Wachen als Geiseln nahmen. Der Aufruhr dauerte zehn Tage, am Ende waren Hunderte von Häftlingen entkommen und fast 500 Menschen tot. Die Ruinen als stumme Zeugen eines Infernos gehören zur Umgebung der danach gebauten Arrestanstalt. „Der Glaube an den IS ist bei den Gefangenen stärker geworden. Würden wir die Tore öffnen, käme ein aggressiver Dschihadismus zurück“, glaubt der Gefängnisdirektor.Viele Häftlinge bestreiten indes jede Verbindung zu islamistischer Ideologie und beteuern, nie Teil des IS gewesen zu sein. Muhammad Saqib Raza, der als Kieferchirurg beim britischen Gesundheitsdienst in Leicester arbeitete, will sich beworben haben, als ihm eine Stelle in einem syrischen Hospital angeboten wurde. Eine Gelegenheit, die er als „gut für den eigenen Lebenslauf“ ansah. Als Raza dann in seinen Arbeitsort eintraf, will er in einem Lieferwagen entführt und an den IS verkauft worden sein, für den er schließlich als Arzt arbeitete. Er behauptet, dass alle Sympathien, die seine Mitgefangenen einst für den IS gehegt hätten, verschwunden seien.„Ich habe bei diesen Jungs nie etwas Ungewöhnliches gefunden. Ich sehe hier im Gefängnis niemanden, der eine Bedrohung darstellen könnte.“ Die britische Regierung lehnt die Rückführung von Raza ab und hält es in anderen Fällen genauso. Stattdessen hat sie fast 16 Millionen Pfund für den Neubau des Panorama-Gefängnisses bereitgestellt – um sich von einer Rückkehr eigener Staatsbürger freizukaufen und es den Kurden zu überlassen, über ihr Schicksal zu entscheiden?Mustafa Hajj-Obeid, ein 41-jähriger Australier, der lange Zeit als vermisst galt, bricht in Tränen aus, als er von seiner IS-Zeit erzählt. Von den Männern in Gefängnissen und Internierungslagern im Nordosten Syriens wurde bisher keiner offiziell eines Verbrechens angeklagt. Es gibt nicht einmal Ermittlungsverfahren. Die weder von der derzeitigen syrischen Regierung noch anderen arabischen Staaten anerkannte kurdische Autonomiebehörde sieht sich außerstande, einstigen IS-Kämpfern den Prozess zu machen. Solange die nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden, bleibt nur eine sich unablässig verlängernde Haftzeit ohne Kommunikation mit der Außenwelt. Manche Gefangene sprechen über Misshandlungen und Schikanen durch das kurdische Gefängnispersonal. Häufig werde als Strafmaßnahme das Wasser abgestellt, werfen sie den Wärtern mit gedämpfter Stimme vor.Human Rights Watch vertritt die Auffassung, einige Regierungen würden eine Mitschuld für die rechtswidrige Inhaftierung ihrer Staatsangehörigen tragen. Sie legten ein Verhalten an den Tag, das elementaren Normen der Menschlichkeit widerspreche. „Wenn sich Menschen in Großbritannien schuldig gemacht haben, werden sie vor Gericht gestellt. Was geschieht hier? Warum bringen sie uns nicht vor Gericht?“ fragt der Chirurg Raza, bevor ein Gefängniswärter die Tür zuschlägt und das Gespräch für beendet erklärt.William Christou und Michael Safi sind Nahostkorrespondenten des Guardian



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Von Veritatis

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