Krishna Singh arbeitet gerade im Homeoffice, weil er sich nebenbei um seinen kranken Kater kümmern muss. Auch sonst liegt dem Juristen das Tierwohl am Herzen, er arbeitet seit 2013 bei Deutschlands größter Tierschutzorganisation Peta. Die versucht gerade, in einer neuen Kampagne das Töten von Tieren in der Massentierhaltung mit juristischen Mitteln in Frage zu stellen.
der Freitag: Sie haben Deutschlands größte Fleischbetriebe verklagt. Warum?
Krishna Singh: Grundlage unserer Strafanzeigen ist das deutsche Tierschutzgesetz. Unter Paragraf 17, Nummer 1 heißt es: Die Tötung von Wirbeltieren ist strafbar.
Aber es werden doch tagtäglich Tiere getötet?
Das Gesetz besagt, Tiertötungen sind nur dann gerechtfertigt, wenn es einen vernünftigen Grund gibt. Wenn der nicht vorliegt, handelt es sich um eine strafbare Handlung, die mit Geld und auch mit Freiheitsstrafen verfolgt werden kann.
Tiere zu töten, um sie zu essen, ist unvernünftig?
Das haben wir juristisch eingehend geprüft. Und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das aus ganz vielen Gründen kein vernünftiger Grund ist und deswegen die Rechtfertigung nicht greift. Aus unserer Sicht gibt es ein klares Regel- und Ausnahmeverhältnis: Die Regel ist, Tiere zu töten, ist strafbar. Die Ausnahme sind Gründe, die wirklich vernünftig sein müssen. Das ist nur der Fall, wenn es ein vitales Erhaltungsinteresse des Menschen gibt, dass das Interesse des Tieres, am Leben zu bleiben, überwiegt. Es gibt also eine Rechtfertigungsebene, die entscheidet, ob eine Tiertötung strafbar ist oder nicht.
Die Tötung von Tieren zur Fleischproduktion als moralisch verwerflich zu kritisieren, ist nicht neu. Warum die Strafanzeige genau jetzt?
Wir befinden uns auf der juristischen Ebene, die moralische spielt aber natürlich auch eine Rolle. Täglich werden in Deutschland zwei Millionen Landlebewesen getötet. Das ist ein unglaublicher, auch juristischer Skandal. Was da passiert, ist bisher nicht einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt worden. Deshalb werden wir jetzt tätig.
Das heißt, Sie wollen einfach selbst bestimmen, was vernünftig ist und was nicht?
Uns geht es um die juristische Interpretation des Begriffs „vernünftig“. Wenn man den Vernunftbegriff ethisch-philosophisch anwendet, kommt man automatisch zu dem Schluss: Tiere zu töten, um sie aufzuessen, ist komplett unvernünftig. Aber dass in dem Gesetz überhaupt drinsteht, das Töten von Wirbeltieren aus vernünftigem Grund sei nicht strafbar, ist schon sonderbar. Denn diese Formulierung lädt doch regelrecht dazu ein, nach Gründen zu suchen, um Tiere doch zu töten. Nach „vernünftigen Gründen“ eben. Konsequent wäre also tatsächlich, diesen Rechtfertigungsgrund aus dem Tatbestand zu streichen. Denn so, wie er jetzt im Gesetz steht, hat der Paragraf nahezu verführerischen Charakter.
Aber was ist mit Notwehr? Wenn ein Wolf mich angreift, darf ich mich nicht wehren?
Notstand und Notwehr sind juristische Rechtfertigungsgründe: Wenn ich von einem Menschen angegriffen werde und mich verteidige und dabei jemanden verletze, dann handelt es sich um eine Körperverletzung, die aber gerechtfertigt ist. Im Körperverletzungs-Paragrafen steht – anders als im Tiertötungs-Paragrafen – nichts von einem vernünftigen Grund. Der Tiertötungs-Paragraf aber ist schon von vornherein so angelegt, dass es doch Möglichkeiten geben könnte, wieso man Tiere töten darf. Das wollen wir ändern.
Also sind Mensch und Tier für Sie vollkommen gleichwertig?
Ja. Und rechtlich Unterschiede zu machen, ist speziesistisch: Menschen billigen sich einen höheren Status als den nicht-menschlichen Tieren zu.
Die neue Methode von Peta ist also, Gerichte zu bemühen?
Es ist an der Zeit, die tägliche Praxis juristisch zu überprüfen. In der Tierethik werden die Rechte von Tieren schon lange anerkannt. Die Frage ist: Wie können die Interessen von Tieren praktisch berücksichtigt werden? In einem Rechtsstaat ist es gut und richtig, sich damit auseinanderzusetzen.
Und deshalb sollen die Fleischbetriebe jetzt verurteilt werden?
Kein Gericht kann aus eigenem Antrieb über Sachverhalte entscheiden, das darf es nicht. Es sind immer Fälle, die angeklagt werden müssen. Damit das passiert, haben wir uns entschlossen, die Praxis in den Unternehmen bei den Staatsanwaltschaften anzuzeigen.
Sie arbeiten bereits seit 2013 für Peta und leiten mittlerweile die Rechtsabteilung. Warum genau dort?
Natürlich ist das, was Tieren angetan wird, für mich persönlich das größte Unrecht. Vorsätzliches Töten ist das schwerste Verbrechen, das man begehen kann: Totschlag oder Mord sind Kapitalverbrechen. Mord verjährt nicht. Und die bloße Tatsache, dass es sich hier um Vierbeiner handelt oder um Zweiflügler, macht in meinen Augen keinen Unterschied, was das Unrecht betrifft.
Sie selbst verzichten auf Fleisch?
Ich selbst lebe seit Ewigkeiten vegan, viele andere tun es auch. Meine Kolleg:innen tun das. Der bloße Geschmack, die Tradition des Fleischverzehrs oder die Gewohnheit hält den Anforderungen des Vernunftbegriffs, der aus guten Gründen auch im Gesetz steht, einfach nicht stand. Im Gegenteil, es gibt sehr viele gute Gründe, kein Fleisch zu essen, unabhängig von so was wie Wasserverbrauch, Bodenressourcen, Gesundheit, Klima, Biodiversität. Das sind zwar alles sehr vernünftige Gründe, Tiere nicht zu töten. Aber im Vordergrund steht für mich und für Peta tatsächlich die ethische Frage.
Was sagen Sie Menschen, die ab und zu ein Steak essen, aber zum Beispiel aus Klimaschutzgründen auf Flugreisen verzichten?
Es gibt gute Gründe, darauf zu achten, dass man das Klima nicht unnötig schädigt. Es ist absolut legitim und richtig, seine Lebensweise daran anzupassen. Aber der ethische Aspekt steht bei mir im Vordergrund. Eine vegane Lebensweise hat auch einen äußerst positiven Effekt auf die persönliche Klimabilanz, denn Fleischkonsum generiert einen hohen Ausstoß an klimaschädlichen Gasen. Klimaschutz ist ein wichtiger Zweck, man kann sich auch für Menschenrechte einsetzen. Das ist auch wichtig. Aber Tiere sind diejenigen Lebewesen, die außer Leidzufügung und Tötung und Einsperren und Vorenthaltung ihrer ganz natürlichen Bedürfnisse leider sehr wenige andere Lebenserfahrungen machen, wenn sie in Ställen gehalten werden.
Was ist mit dem Beruf des Jägers? Erledigen die nicht gesellschaftlich notwendige Aufgaben, wenn sie beispielsweise Wildbestände regulieren?
Jäger sind Menschen, die jenen Teil der Tierwelt töten, der vom Menschen noch nicht eingesperrt wurde. Ganze Familienverbände schießen Jäger auseinander und dafür habe ich gar kein Verständnis. Das ist zwar nicht der Inhalt dieser bestimmten Strafanzeige, aber die Jägerei als solche verurteilen wir natürlich auch.
Was ist mit Tierärzten, die beispielsweise ein krankes Haustier – etwa ein Meerschwein – einschläfern?
Eine Tötung von Tieren, die bei Menschen leben, kann meiner Meinung nach in Einzelfällen tatsächlich gerechtfertigt sein. Um zu verhindern, dass das Leid immer größer wird.
Wo fängt Mord an Tieren an?
Die Kampagne heißt „Kein Recht auf Mord“, weil wir Parallelen zum Mordparagrafen im Strafgesetzbuch sehen. In Paragraf 211 heißt es: Eine Tötung wird dann Mord, wenn sie vorsätzlich ist und bestimmte Begleitumstände beinhaltet – Habgier beispielsweise oder eine heimtückische Tötung. Das Töten von Tieren in den Schlachtbetrieben dient oft rein wirtschaftlichen Zwecken, dort wird getötet, um Gewinne zu erhöhen. Und das ist Habgier.
Von Ihnen ebenfalls angezeigt wurden die „unmittelbar handelnden Täter“: Welche Konsequenzen müssen diese fürchten?
Gemeint sind die Leute, die den Tieren die Kehle durchschneiden oder das Ausbluten veranlassen. Also die Leute, die Tiere vor Ort – juristisch ausgedrückt – als Tatnächste töten. Das ist auch etwas, was wir einer juristischen Prüfung zuführen wollen. Denn das sind die Täter, denen die Tiere gegenüberstehen in ihren letzten Sekunden. Die juristischen Konsequenzen stellt das Tierschutzgesetz selbst auf. Paragraf 17 sieht dafür eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor.
Was erhoffen Sie sich von diesem juristischen Weg?
Zwei Dinge. Erstens: Es soll bestehendes Recht angewendet werden, indem man das Gesetz beim Wort nimmt. Würde das Recht konsequent angewendet, dürften Tiere nicht mehr zur Fleischproduktion getötet werden. Diejenigen, die es trotzdem tun, würden bestraft werden. Die Strafanzeigen, die wir eingereicht haben, sind jeweils über 30 Seiten lang. In diesen wird sehr genau begründet, was denn mit „vernünftiger Grund“ gemeint ist. Und ich finde, wir haben eine sehr gut begründete und auch sehr überzeugende Argumentation vorgelegt.
Und zweitens?
Natürlich wollen wir auch die Menschen aufrütteln. Wir wollen vermitteln, dass das, was jeden Tag an der Dönerbude oder im Supermarkt verkauft wird, nichts Normales ist. Dass es etwas ist, was aus juristischer Sicht einer strafbaren Handlung folgt. Es ist unnormal, Tiere zu töten und sie uns dann in den Hals zu schieben. Diesen Anschein von Normalität, den wollen wir durch die Kampagne infrage stellen.
Peta wird vorgeworfen, radikal zu sein. Denken Sie, dass der Moment eintreten wird, wo es gesellschaftlich „Klick“ macht und alle vegan werden?
Ja, das ist meine Hoffnung und darauf arbeite ich täglich hin. Und ja, wir sind radikal gewaltlos und radikal friedlich. Unser Ziel ist radikaler Frieden.
Krishna Singh geboren 1972 in Nordrhein-Westfalen, hat nach seinem Zivildienst Rechtswissenschaften in Bonn studiert. Er war Lehrbeauftragter für Verfassungsrecht an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung in Köln und ist seit 2013 Justiziar bei der Tierschutz-Organisation PETA Deutschland. Seit 2021 leitet er dort die Rechtsabteilung.