Bis zu 800 Milliarden Euro wollen die EU-Staaten in die Aufrüstung stecken. Manager, Rüstungsexperten und Technokraten haben endgültig die Macht in Europa übernommen. Da kam ihnen das Verhalten des US-Präsidenten mehr als gelegen
Die Aufrüstungspläne lagen längst in ihrer Schublade: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU)
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Ach Europa. Du bist vom rechten Kurs abgekommen. Niemand hat das besser verstanden als Hans Magnus Enzensberger. Der „sogenannte Europa-Gedanke“, schrieb er 1989 in einem berühmten Essay, laufe darauf hinaus, den großen Blöcken einen weiteren Block entgegenzusetzen. Doch das „Europa der Manager, der Rüstungsexperten und der Technokraten“ gehe an den Menschen vorbei.
Wie weitsichtig Enzensberger war, hat sich in der vergangenen Woche in Brüssel gezeigt. Beim letzten EU-Gipfel wurde die „Wiederbewaffnung Europas“ beschlossen. Bis zu 800 Milliarden Euro wollen die EU-Staaten in eine forcierte Aufrüstung stecken. Die Manager, die Rüstungsexperten und die Technokraten haben wohl endgültig die Macht übernommen.
Der
2;stung stecken. Die Manager, die Rüstungsexperten und die Technokraten haben wohl endgültig die Macht übernommen. Der alte Europa-Gedanke lebt fort – aber völlig anders, als die Gründerväter gehofft hatten. Konrad Adenauer und Charles de Gaulle wollten ein geeintes Europa vom Atlantik bis zum Ural. Nun entsteht eine neue Mauer im Osten und ein europäischer Block im Westen. Die EU bricht mit alten transatlantischen Reflexen und stellt sich gegen Russland und gegen die USA auf.Dass die EU aufrüsten würde, war seit Wochen bekanntDas ist zumindest das Narrativ, mit dem die „Wiederbewaffnung“ begründet wird. Europa müsse sich gegen zwei wild gewordene Imperien verteidigen, heißt es. Nach dem Schulterschluss zwischen Wladimir Putin und Donald Trump bleibe nichts anderes übrig. Den Ausschlag habe der Eklat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus gegeben.Doch diese Erzählung ist falsch.Trumps Schauprozess gegen Selenskyj war gar nicht nötig. Dass die EU massiv aufrüsten würde, war seit Wochen bekannt. Die Pläne lagen fix und fertig in der Schublade von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Die letzten Details hat sie nach der Bundestagswahl mit CDU-Chef Friedrich Merz abgesprochen.Trump war letztlich nur der nützliche Idiot, der dabei half, die letzten Widerstände zu überwinden. Dabei glauben die EU-Spitzen selbst nicht, dass die USA über Nacht zum Feind geworden seien. Dies stellte von der Leyen kurz nach dem EU-Gipfel klar: Die Vereinigten Staaten sind weiter unsere Verbündeten, erklärte sie im Brustton der Überzeugung.Die 800 Milliarden für die Aufrüstung stehen nur auf dem PapierSo denken auch Polen, Balten und Nordeuropäer. Um keinen Preis wollen sie die Allianz mit Amerika aufgeben. Sogar Selenskyj hat erklärt, dass er der „starken Führung“ Trumps vertraue. Der Theaterdonner im Weißen Haus hat am Ende wohl vor allem dabei geholfen, das deutsche Publikum von der angeblich unvermeidlichen Wiederbewaffnung zu überzeugen.Doch warum sollte sich Europa überhaupt bewaffnen? Warum die EU und nicht die NATO? Die EU-Chefs sind einer schlüssigen Antwort schuldig geblieben. Auch in der Substanz können sie nicht überzeugen. Die 800 Milliarden Euro, von denen sie reden, stehen bisher nur auf dem Papier. Lediglich ein Bruchteil davon, 150 Milliarden, soll aus Brüssel kommen.Der Rest wird über Schulden von den Mitgliedsstaaten finanziert – dabei sind Griechenland, Frankreich oder Italien schon jetzt überschuldet. Dass dafür die Schuldenregeln gelockert werden, macht die Sache nicht besser. Denn damit riskiert die EU neben der Sicherheits- auch noch eine Schuldenkrise. Ihr grandioser Plan steht auf tönernen Füßen.Die EU kann nicht einmal die US-Militärhilfe für die Ukraine ersetzenAußerdem kommt er zu spät. Um Trump zu beeindrucken, hätte man früher anfangen müssen, am besten schon während seiner ersten Amtszeit. Nun kann die EU nicht einmal die US-Militärhilfe für die Ukraine ersetzen, die Trump ausgesetzt hat. Denn bei Aufklärung, Satelliten und Internet-Kommunikation sind die Europäer selbst auf die Amerikaner angewiesen.„Too little, too late“ – der ätzende Spruch aus der Eurokrise gilt auch jetzt wieder. Das heißt allerdings nicht, dass man achselzuckend zur Tagesordnung übergehen könne. Politisch kommt der angekündigten „Wiederbewaffnung“ große Bedeutung zu. Sie markiert das Ende der Nachkriegszeit – und den Anfang eines neuen Kalten Krieges in Europa.Der alte Feind ist, nach drei Jahrzehnten Tauwetter, auch der neue: Russland. Nur aus einer Position der Stärke, so glaubt man in Brüssel, werde die Ukraine im Krieg gegen Russland bestehen. „Frieden durch Stärke“ heißt auch der Slogan für die Zeit danach. Die gefährliche Aufrüstung dürfte daher viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, weitergehen.Eigene Friedenspläne haben die Europäer keineAllerdings bleibt unklar, warum Frieden in der Ukraine eine Bedrohung für Europa sein sollte. Das Ende des Krieges könnte ja auch zu einer neuen Phase der Entspannung führen. Doch dieses Szenario kommt den EU-Politikern nicht in den Sinn. Eigene Friedenspläne haben sie auch keine. Nicht einmal an den laufenden Ukraine-Gesprächen nehmen Europäer teil.Denn dafür müsste man sich auf einen Unterhändler einigen – ein schwieriges Unterfangen. Franzosen, Deutsche, Polen und sogar die Briten reißen sich um das Kommando in der neuen „Verteidigungsunion“. Doch einen klaren Kurs hat niemand. Früher haben die Amerikaner die Führung übernommen, heute ist ihre Stelle vakant. Es sei denn, man wollte am Ende doch wieder Trump folgen.Bei der Aufrüstung tun die Europäer bereits jetzt genau das, was Trump wollte. Sie stellen es nur anders dar – als heroischen Widerstand gegen einen durchgeknallten MAGA-Mann. Ach Europa.