Die Europäische Union braucht kein Großmachtgehabe, sondern eine eigenständige Diplomatie, will sie nicht abgehängt werden
Die EU und der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal: Ob die Ukraine auf die Europa-Flagge darf?
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Nach dem denkwürdigen Eklat im Weißen Haus war die Verwirrung in den europäischen Kanzleien groß. Offenbar ist den Verantwortlichen da erst klar geworden, dass die liberale Weltordnung unter Führung des gütigen Hegemons USA nicht mehr existiert und die Verlässlichkeit des amerikanischen Schutzes perdu ist. Donald Trump hat damit begonnen, Amerika nach seinen Vorstellungen „wieder groß“ zu machen. Dieses Ziel verfolgt er mit vier traditionellen Konzepten.
Da wäre zunächst die Monroe-Doktrin, die für eine Politik der Einflusssphären steht. Sie bezog sich früher auf die beiden Amerikas als exklusiver US-Hemisphäre. Jetzt weckt mit Grönland auch ein Teil EU-Europas Begehrlichkeiten. Die größte Insel
ikas als exklusiver US-Hemisphäre. Jetzt weckt mit Grönland auch ein Teil EU-Europas Begehrlichkeiten. Die größte Insel der Welt war zwar bereits zuvor im Orbit amerikanischer Machtprojektion, doch bieten sich angesichts des Klimawandels neue Möglichkeiten: eine eisfreie Nordostpassage, dazu immense Rohstoffreserven. Beides gilt es zu beherrschen.Ein zweites Muster ist das des Imperialismus. Es zielt auf die direkte oder indirekte Herrschaft über Regionen, die als wirtschaftlich und sicherheitspolitisch relevant erachtet werden. Ob ein solches Vorgehen völkerrechtlich legitim ist, zählt nicht, weil die Trump-Agenda zum Dritten nationalistisch intendiert ist. Völkerrecht und Vertragstreue stören nur bei der rücksichtslosen Durchsetzung von Interessen. Es zählt das vermeintliche „Recht“ des Stärkeren.Viertens schließlich verschreibt sich Trump einer merkantilistischen Wirtschaftsstrategie. Merkantilismus und der damit einhergehende Protektionismus sind das Gegenteil der lange verfolgten Freihandelspolitik. Es geht darum, viele Exporte zu ermöglichen und weniger Importe zu brauchen. Das geht natürlich auf Kosten der Handelspartner, besonders der stark von Ausfuhren abhängigen Staaten wie Deutschland. In einer solchen Welt können einstige Alliierte leicht zu Vasallen zweiter Ordnung schrumpfen.Die öffentliche Degradierung Wolodymyr Selenskyjs im Weißen Haus war nichts anderes als die praktizierte Willkür im Umgang mit hochgradig Abhängigen. Dass es mit dem durch die Trump-Regierung angestrebten Abkommen mit Russland über ein Ende des Ukrainekrieges ebenso um das Ausspielen von Kräfteverhältnissen geht, steht außer Frage.Dem sollten die Europäer konstruktiv entgegenwirken, denn das Ziel eines möglichst schnellen Friedens ist grundsätzlich richtig. Dieser läge allein schon deshalb in ihrem Interesse, weil sie dadurch mehr außenpolitischen Spielraum erhalten, den sie angesichts der zu erwartenden Konflikte mit Washington dringend brauchen. Dazu gehört die hinreichende Fähigkeit zur Selbstverteidigung, freilich auf der Basis einer realistischen Bedrohungsanalyse.Stattdessen versucht man sich an einer Politik der Stärke, indem hastig viele hundert Milliarden Euro für die Aufrüstung angekündigt werden, ohne über Maß und Ziel nachzudenken. Emmanuel Macron malt den angeblich drohenden Verteidigungsfall an die Wand, Donald Tusk fordert, Europa müsse die Herausforderung des Wettrüstens annehmen.Ukraine in die EU statt in die NATO?Nachdem man lange vergeblich auf eine europäische Initiative für eine Kriegsbeendigung gewartet hatte, präsentierten Paris und London mit dem Vorschlag, für einen Monat auf Angriffe von See und aus der Luft zu verzichten, eine leicht durchschaubare Mogelpackung. Der Bodenkrieg würde ja andauern.Die Debatte über eigene Bodentruppen zur Absicherung einer Waffenruhe unterstreicht dabei das Irrlichtern Europas. Müsste es nicht zuerst eine Agenda für Verhandlungen, dann Eckpunkte einer Feuerpause, danach einen Konsens über deren Sicherung geben, bevor über den militärischen Kontrollmodus befunden wird?Zudem sollte man zur Kenntnis nehmen, dass sich die Europäer ohne US-Beistand mit einer Peace-Keeping-Mission völlig übernehmen würden und Moskau keine Truppenpräsenz aus NATO-Staaten akzeptiert. Denkbar wäre vielleicht die Teilhabe an einem UN-Friedenskorps unter Einschluss von Ländern der BRICS-plus-Gruppe.Trumps neue Welt hat Europa in Schrecken versetzt, und es bedarf einer adäquaten Antwort, die sich nicht in Maulheldentum erschöpft, vielmehr auf Realismus vertraut. Dazu zählt die Erkenntnis, dass Russland zwar der Aggressor ist, Trump ihn aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr so nennen will. Ihm schwebt ein für die USA vorteilhafter Deal mit Moskau vor, der auch die aus US-Sicht besonders relevanten strategischen Waffen einschließt.Die Europäer werden unter diesen Umständen nicht umhinkommen, sich gleichfalls mit Russland zu arrangieren. Das heißt, neben einer Waffenruhe wird ein umfassender Frieden unerlässlich sein. Es bedarf eines konstruktiveren Beitrags zur Eindämmung des Ukrainekrieges und zu einer künftigen europäischen Sicherheitsstruktur als bisher.Deren Merkmale sind bereits erkennbar, nimmt man die von Trump angedeuteten Konzessionen: Akzeptanz des territorialen Status quo in der Ukraine (nicht dessen völkerrechtliche Anerkennung), keine NATO-Mitgliedschaft Kiews (dafür eine neutrale Ukraine in der EU), Reduzierung der US-Truppen in Europa (die in Verhandlungen über einen Abbau militärischer Potenziale überhaupt einzubinden wäre). Nur wenn sie davon ausgehen, haben die Europäer eine Chance, in die friedenspolitische Offensive zu kommen. Jetzt ist kein Großmachtgehabe gefragt, sondern kreative Diplomatie.