Wasserstoff wird als „Energieträger der Zukunft“ gepriesen. Der Staat schüttet Milliarden an Subventionen aus. Doch die Versprechen halten einer kritischen Betrachtung nicht stand
Wasserstofftankstelle in Namibia
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Glaubt man der Politik und der Wirtschaft ist er ein Supergas: Wasserstoff soll in einer klimaneutralen Zukunft im Heizungskeller eingesetzt werden, in der Industrie, der Brennstoffzelle oder in der Stromversorgung. Der Freitag hat die vielen Verheißungen etwas genauer unter die Lupe genommen: Ein Realitätscheck mit acht Thesen.
1. Es ist nicht genug Wasserstoff da
„Kompetitiv“ ist ein Begriff aus der Wirtschaftswelt. Ins Normaldeutsche übersetzt bedeutet er so viel wie wettbewerbsfähig. Beispielsweise sagt die Sprecherin des Chemiekonzerns BASF: „Der Zugang zu kompetitivem Wasserstoff ist essenziell für die BASF.“ Aktuell ist der Konzern aus Ludwigshafen einer der größten Erzeuger und Verbraucher von Wasserstoff in Deutschland. Das
er Konzern aus Ludwigshafen einer der größten Erzeuger und Verbraucher von Wasserstoff in Deutschland. Das flüchtige Gas steht am Anfang wichtiger Wertschöpfungsketten, wie beispielsweise bei der Ammoniaksynthese. Zudem werden mit Wasserstoff Metalle behandelt, Dünger hergestellt und Lebensmittel verarbeitet.Die Sprecherin der BASF benutzt die Formulierung „kompetitiv“ bewusst: Im Moment kostet grauer Wasserstoff nur ein Drittel so viel wie grüner Wasserstoff, der klimafreundlich ist. Daher stellte die Chemieindustrie das Gas 2023 zu 93,7 Prozent im sogenannten Reformationsverfahren her, also auf der Basis von Erdgas. Dazu die BASF: „Die Dampfreformierung ist heute das kostengünstigste Verfahren im industriellen Maßstab zur Herstellung von Wasserstoff.“ Dieser klassische Prozess ist aber enorm klimaschädlich: Bis zu zehn Tonnen Kohlendioxid entstehen pro Tonne Wasserstoff. In Deutschland wurden 2023 rund eine Million Tonnen Wasserstoff produziert, was etwa zehn Millionen Tonnen Treibhausgas verursachte.Das ist ein Zehntel dessen, was die Industrie insgesamt verursachte. Bevor die Politik über Heizen oder Autofahren mit Wasserstoff nachdenkt, sollte der grüne Wasserstoff erst in der Chemieindustrie Verwendung finden. Denn die kann nicht verzichten.2. Unrealistische Strategien für einen klimafreundlichen StoffKlimafreundlicher grüner Wasserstoff wird durch einen Prozess namens Elektrolyse hergestellt, bei dem ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien verwendet wird. Für den Klimaschutz setzt die Politik immer neue Ziele – mit wenig Aussicht auf Erfolg. Beispielsweise verdoppelte die Ampel die Zielkapazität von fünf Gigawatt auf zehn im Jahr 2030 (Wasserstoffstrategie, 2023). Der Nationale Wasserstoffrat hält sogar eine viel größere Kapazität für notwendig: bis zu 52 Gigawatt.Dabei zeigt eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), wie zögerlich die Investoren sind. „In den vergangenen drei Jahren haben sich die globalen Projektankündigungen für grünen Wasserstoff fast verdreifacht“, sagt Adrian Odenweller vom PIK. „Allerdings sind in diesem Zeitraum nur sieben Prozent der ursprünglich für 2023 angekündigten Produktionskapazität fertiggestellt worden.“ Die Gründe: Gestiegene Kosten, fehlende Zahlungsbereitschaft auf der Nachfrageseite und Unsicherheiten über zukünftige Förderung.„Es wären enorme zusätzliche Fördermaßnahmen in Höhe von etwa einer Billion US-Dollar erforderlich, um alle angekündigten Wasserstoffprojekte bis 2030 zu realisieren“, erklärt Falko Ueckerdt vom PIK. Auch in Zukunft werde grüner Wasserstoff ohne Förderung gegenüber dem grauen nicht wettbewerbsfähig sein, weshalb es global eine mächtige Lücke zwischen Angebot und Nachfrage geben wird. Woher also soll der massenweise verplante Wasserstoff für Deutschland kommen?3. Importe schaffen neue AbhängigkeitenNie wieder abhängig von Erdgas! So hieß es, nachdem die Versorgung aus Russland zusammengebrochen war. Ein guter Grund, auf Energie aus lokaler Erzeugung zu setzen. Doch grüner Wasserstoff soll laut Regierungsstrategie im Umfang von bis zu 70 Prozent importiert werden. Die europäischen Elektrolyse-Kapazitäten werden einfach nicht ausreichen. Dabei wird auf das Derivat Ammoniak gesetzt, das zwar giftig ist, sich aber leichter in Tankern transportieren lässt.Zum Beispiel aus Namibia: Dort startete 2021 das Projekt „Hyphen Hydrogen Energy“, beteiligt ist auch das deutsche Unternehmen Enertrag. 9,4 Milliarden Dollar sollen in Solar- und Windkraftwerke fließen, um jährlich drei Gigawattstunden grünen Wasserstoff zu produzieren. Das klingt nachhaltig, könnte sich aber als Greenwashing herausstellen. Alfred Shilongo aus Windhoek in Namibia kommentiert in der taz, „dass eine klimaneutrale Wirtschaft in Europa zu ökologischen Katastrophen auf der anderen Seite des Planeten führen kann“.Warum? Hunderte Windräder sollen sich drehen, dazu kommen Pipelines und industrielle Infrastruktur – und das alles im Nationalpark Tsau-Khaeb. Über dieses wertvolle Ökosystem schreibt das Umweltministerium von Namibia: Der Park weise „riesige Felsbögen, Meteoritenkrater und archäologische Stätten“ auf sowie einige der „unberührtesten und wildesten Landschaften der Erde“. Ergebnis: Deutschland nutzt natürliche Ressourcen auf Kosten des globalen Südens, wobei es seine alte Abhängigkeit von fossiler Energie durch eine neue Abhängigkeit ersetzt.4. Grüner Wasserstoff als Trojanisches PferdUm den Übergang in eine klimafreundliche Zukunft zu organisieren, sollen Erdgasthermen oder Gaskraftwerke „H₂-ready“ werden. Das bedeutet: Die Anlagen sollen auch mit grünem Wasserstoff betrieben werden können. Die Leipziger Stadtwerke loben sich selbst: „Wir sind das erste Gaskraftwerk weltweit, das schon vollständig bereit für den Einsatz von grünem Wasserstoff ist.“ Der praktische Test kommt zwar erst 2026. Im Marketing hat aber das Label „H₂-ready“ einen guten Klang. Wahrscheinlicher ist: Es wird viel zu wenig grünen Wasserstoff zur Strom- und Wärmegewinnung in Kraftwerken geben, jetzt und in naher Zukunft.Deshalb könnte sich grüner Wasserstoff auch als Trojanisches Pferd der Energiewende erweisen: Wenn er nicht in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht, muss dann blauer Wasserstoff oder eben weiterhin Erdgas verfeuert werden. Blauer Wasserstoff wird wie grauer Wasserstoff mit Erdgas hergestellt, das dabei anfallende Kohlendioxid aber abgeschieden und in unterirdischen Lagerstätten verpresst. Das ist nicht nur ein sehr energieintensiver Prozess. Mit der Weiternutzung von Erdgas wird auch das fossile Zeitalter verlängert.5. Staatshilfen für Wasserstoff sind verbranntes SteuergeldTatsächlich fließen schon reichlich Subventionen in Wasserstoff-Projekte. Beispielsweise erhielt der Stahlkonzern Thyssenkrupp 1,3 Milliarden Euro von der Bundesregierung, um seine Produktion auf grünen Wasserstoff umzustellen. Solche Vorhaben werden zudem durch Landesmittel unterstützt, Thyssenkrupp bekam 700 Millionen Euro von Nordrhein-Westfalen. Auch für „Important Projects of Common European Interest“ stehen über acht Milliarden Euro für strategische Förderprojekte der Europäischen Kommission bereit.Seit 2021 wurden so 62 deutsche Großprojekte gefördert, in der Hoffnung, Investitionen in Höhe von 33 Milliarden Euro auszulösen. „Wasserstoffsubventionen in zig Milliardenhöhe gibt es seit Jahrzehnten, bis heute ohne Erfolg“, stellt Hans-Josef Fell fest. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Bündnisgrünen erklärt: „Es wurden viele hochsubventionierte Projekte nach dem Auslaufen der Förderungen sang- und klanglos eingestampft.“ Fell gilt als einer der Väter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG).Ähnlich beurteilt Maximilian Fichtner Wasserstoff-Projekte. Vor 20 Jahren war der Professor an der Universität Ulm German Expert bei der internationalen Energieagentur und Chairman einer der größten Konferenzen zur Wasserstoffzukunft. Damals sei viel behauptet worden, „dann kam nur wenig, beziehungsweise es kommt auch heute nichts“. Außerdem machte Fichtner die Erfahrung: „Was kommt, ist immer hochsubventioniert. Die 30 Jahre alten Versprechungen zum Wasserstoff sind immer noch nicht eingelöst.“ Heute ist der Chemiker unter anderem Direktor am Helmholtz-Institut Ulm für elektrochemische Energiespeicherung.Dies scheint das Muster zu sein: Einmal ausgegebene Wasserstoff-Subventionen fehlen an anderer Stelle. Die beteiligte Industrie verdient mit subventionierter Technologie gutes Geld – bis der Finanzstrom versiegt. Vielleicht sollte dieses Steuergeld besser in die Batterieforschung fließen?6. Die Infrastruktur ist viel zu komplex und damit zu teuerWasserstoff-Projekte scheitern oft an hohen Kosten. Seit Jahrzehnten wird beispielsweise an der Brennstoffzelle geforscht, um emissionsfreie Mobilität möglich zu machen. Der technische Traum: In der Brennstoffzelle reagiert der Wasserstoff mit Sauerstoff, es fließt Strom – und Wasser ist der einzige Abfall. Dazu ist aber eine aufwendige H₂-Infrastruktur notwendig, die hohe Wartungskosten auslöst. Es sieht im Moment so aus, dass es für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und die individuelle Mobilität bessere Alternativen gibt, etwa einen intelligenten Modalsplit auf der Basis rein elektrischer Autos sowie von E-Bussen und E-Bahnen. Wasserstoff könnte noch eine Rolle bei Schiffen, Flugzeugen und im Schwerlastverkehr spielen.Warum treiben einige Wasserstoff-Projekte ihre Investitions- und Betriebskosten in die Höhe? Maximilian Fichtner: „Die Kosten für die H₂-Infrastruktur sind hoch. Zum Vergleich: Eine Ladesäule kostet 100.000 Euro, eine H₂-Tankstelle zwei Millionen Euro, das Zwanzigfache!“ Hinzu kämen große Wartungskosten: „Sie sind heute einer der Sargnägel für viele Wasserstoff-Projekte“, so der Chemiker. Bei einer 700-Bar-Tankstelle werde der Wasserstoff auf 1.050 Bar hochkomprimiert und auf 40 Grad unter Null abgekühlt, eine „unglaubliche Belastung“ des Materials.„Teile dieser Tankstellen gehen regelmäßig kaputt – und es gibt dafür noch keine Lösung, die dauerhaft stabil funktioniert“, berichtet Fichtner. Alternativ zum Druckspeicher könne zwar auch Flüssigwasserstoff eingesetzt werden, aber eine Verflüssigung des Wasserstoffs koste in der Praxis 40 Prozent des Heizwertes, „was einem Verlust von 40 Prozent des Wirkungsgrads entspricht“. So sprechen schon die Gesetze der Physik dagegen, Wasserstoff in der Mobilität großflächig einzusetzen.7. Nur ein schneller Ausbau der Erneuerbaren hilft„Wir werden am Wasserstoff nicht vorbeikommen, weil wir ja die Dunkelflaute haben“, sagt Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Dunkelflauten entstehen beispielsweise in der Nacht, wenn keine Sonne scheint und sich bei Flaute kein Windrad bewegt. Solche Situationen sind zwar selten, auf sie muss die Energiewirtschaft aber vorbereitet sein. Es gibt zwei Arten von Energiespeichern, die dann zur Anwendung kommen können, so Quaschning: Im Sommer seien über Nacht Batterien geeignet, inzwischen günstig im Betrieb. Im Winter, wenn die Sonne schwächer scheint und die Photovoltaik weniger Ertrag liefert, käme Wasserstoff in Frage. Dafür müssten die deutschen Erdgasspeicher auf Wasserstoff umgerüstet werden. Quaschning: „Der Charme beim Wasserstoff ist: Auch große Mengen sind leicht zu speichern.“Am sinnvollsten ist seine Herstellung mit „weggeworfenem Strom“. Der trennt im Elektrolyseur Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Als „weggeworfenen Strom“ bezeichnet Quaschning jenen, der mit einer drohenden Überlastung der Netze zusammenhängt. Wenn Windräder bei Sturm zu viel Strom ins Netz drücken, müssen sie abgeschaltet werden. „Stünde für diesen Fall ein Elektrolyseur bereit, müssten die Windräder nicht angehalten, ihr Strom nicht ‚weggeworfen‘ werden.“Das Problem: Die Erneuerbaren sind in Deutschland noch nicht so weit ausgebaut, dass es oft solche Situationen gibt. Das musste ein Industriekonsortium erleben, das in Heide, Schleswig-Holstein, den größten Elektrolyseur Deutschlands bauen wollte. 36 Millionen Euro Fördermittel hatte es aus öffentlichen Kassen erhalten, um genau diese Idee auszuprobieren: überschüssige Windenergie kostengünstig zu nutzen und grünen Wasserstoff zu produzieren. „Der Elektrolyseur sollte ein halbes Jahr durchlaufen, damit am Ende ein vernünftiger Preis herauskommt“, erklärt Quaschning.Das wären rund 4.000 Stunden im Jahr. „Wegwerfstrom“ gibt es aber im Moment nur 200 bis 300 Stunden, in der restlichen Zeit sei Strom aus dem Netz notwendig gewesen, was viel zu teurer geworden wäre. Die Folge: Das Projekt wurde abgebrochen. Deshalb hängt die deutsche Wasserstoff-Zukunft für Quaschning eng mit dem schnelleren Ausbau der Erneuerbaren zusammen: „Grüner Wasserstoff wird hierzulande erst interessant, wenn wir große Mengen Wegwerfstrom haben.“8. Teure Doppelstrukturen können entstehenSchon heute gibt es Technologien auf Wasserstoff-Basis, die eigentlich veraltet sind. Angesichts der Fortschritte bei Batterien sind einige Anwendungen nicht mehr aktuell, da sie kostspielige Doppelstrukturen für Strom und Wasserstoff erfordern. Das ist beispielsweise bei einer Technologie der Fall, die sich „Range Extender“ nennt: Im Rhein-Neckar-Gebiet soll sie die Reichweite für elektrisch angetriebene Busse verlängern – und zwar auf bis zu 400 Kilometer. Das geschieht durch eine Brennstoffzelle mit einem Wasserstofftank. Diese produziert während der Fahrt zusätzlichen Strom, mit dem E-Busse größere Distanzen fahren können. Der Nachteil: Neben Ladesäulen für den Strom sind bei dieser Technologie auch Wasserstofftankstellen nötig, eine teure Doppelstruktur.Dabei hat die Entwicklung reiner E-Busse enorme Schübe erfahren. Beispielsweise kann der zwölf Meter lange Solobus von MAN bereits heute elektrisch eine Reichweite von bis zu 350 Kilometern zurücklegen. Da sich die Leistung von Batterien schnell entwickelt, will MAN künftig „zuverlässige Reichweiten von mehr als 350 Kilometern“ gewährleisten. „Mit unseren Elektrobussen können Verkehrsbetreiber schon heute einen Großteil ihrer Linien betreiben, und das ohne Zwischenladen“, wie ein Sprecher des Unternehmens erklärt: „Hier sehen wir keinen Grund, im ÖPNV zwischen zwei verschiedenen Technologien zu wechseln.“Eine klare Absage an Range-Extender-Systeme. Trotzdem tanken auf dem neuen Heidelberger Busbetriebshof bis zu 27 Busse Wasserstoff – und laden dann ihre Batterien auf. Kostenpunkt: 24,5 Millionen Euro. Das gesamte Projektvolumen liegt bei 46 Millionen Euro; vom Land Baden-Württemberg kommen zusätzlich Subventionen in Höhe von 16,7 Millionen Euro. Das Modell ist nicht das einzige, das die von Daimler Busses entwickelte Technologie nutzt. Beispielsweise ließen sich auch die Verkehrsbetriebe Wien überzeugen. „Staatliche Subventionen für diese nicht wirklich zukunftsfähige Technologie sind unter solchen Umständen verbranntes Steuergeld“, urteilt Experte Fichtner.