Frankreichs Linke leidet an inneren Zerwürfnissen und Antisemitismus-Vorwürfen. Daran kann auch eine beschwingte Demo gegen Rassismus nicht viel ausrichten
20.000 Menschen demonstrieren in Paris gegen Rassismus und Rechtsextremismus
Foto: Laurent Demartini/Hans Lucas/AFP/Getty Images
Rotes Fruchtfleisch, schwarze Kerne, grüne Schale. Die Wassermelonen-Ohrringe in Farben der Palästinenserflagge verkaufen sich gut an diesem Samstag, ebenso wie Wimpel, Fähnchen und T-Shirts mit der Aufschrift Free Palestine. Auch türkische Flaggen sind zu sehen auf der Place de la République, wo trotz bedrohlicher Gewitterwolken Volksfeststimmung herrscht.
Merguez-Würste werden gebrutzelt, junge Leute tanzen ausgelassen zu Techno-Musik, Familien mit Kinderwagen bahnen sich ihren Weg, und rund um den Demo-Wagen der Linksaußen Partei La France Insoumise (LFI) warten hunderte Fans auf den Rapper Medine, einer der über 150 Kulturschaffenden, die für die Veranstaltung anlässlich des Internationalen Tags gegen Rassismus geworben hatten.
Auch Gewe
fenden, die für die Veranstaltung anlässlich des Internationalen Tags gegen Rassismus geworben hatten. Auch Gewerkschaften, Vereine wie SOS Racisme und die meisten linken Parteien hatten sich dem „Marsch gegen den wachsenden Rechtsextremismus“ angeschlossen, landesweit waren Menschen an 180 Orten auf den Straßen. Das Motto: „L’heure de la riposte!“ – Zeit für den Gegenschlag!Provokantes Plakat sorgt für AufruhrFast war man geneigt zu vergessen, wie sehr dieser heitere Nachmittag im Vorfeld polarisiert hatte. Schuld daran war ein Plakat, das La France Insoumise in Umlauf gebracht hatte und das den wohl umstrittensten französischen TV-Moderator, Cyril Hanouna, zeigte. Darauf zu sehen war sein Konterfei in Schwarz-Weiß mit fies verzerrten Gesichtszügen. Eine Optik, die stark an die anti-jüdische Propaganda vom „ewigen Juden“ in den 30er-Jahren erinnerte und sofort für einen Aufschrei sorgte. Dabei sind die Fronten verwirrend: Hanouna, Franko-Tunesier mit jüdischen Wurzeln, ist gleichzeitig ein Ziehsohn von Medienmogul Vincent Bolloré, und eben dieser hat mit seiner rechtskonservativen, anti-woken Agenda in den letzten Jahren einen regelrechten Kulturkampf angestoßen und unterstützt die Le Pen-Partei Rassemblement National (RN). Unter Dauerbeschuss stehen naturgemäß La France Insoumise und Parteigründer Jean-Luc Mélenchon, den man als Hamas-Sympathisanten und Putin-Versteher brandmarkt. So wurde das „Poster-Gate“ in den Medien rauf und runter debattiert, auch wenn das Plakat rasch zurückgezogen wurde. In einem Eilverfahren wurde LFI zu einer Zahlung von 3.500 Euro an Hanouna verurteilt. Jean-Luc Mélenchon nahm dann am Samstag auch gar nicht in Paris, sondern in Marseille am Protest teil, so als wolle er dem hauptstädtischen „Erdbeben innerhalb der Linken“ (Le Monde) fernbleiben. Tatsächlich wird seit dem 7. Oktober 2023, ähnlich wie in Deutschland, permanent darüber gestritten, wie viel legitime Kritik an der israelischen Regierung wegen ihres Vorgehens in Gaza zulässig ist und wo Antisemitismus beginnt.Gerade in Frankreich, wo die bedeutende muslimische Bevölkerung besonders emotional auf den Nahen Osten blickt, ist der Konflikt zwischen Israel und Palästina ein aufgeladenes Reizthema. So hört man auch an diesem Tag immer wieder Sprechchöre wie „Israël assassin, Macron collabo“ (Israel Mörder. Macron Kollaborateur), in die hunderte Menschen einstimmen. Auf einem Plakat steht auf Französisch und Arabisch „DEATH TO AMERICA, DEATH TO ISRAEL, DEATH TO FASCISM“. Wir bekämpfen jede Form von Diskriminierung, wir machen keinen Unterschied zwischen Religionen, Hautfarben, sexueller OrientierungKanza Sakat, La France InsoumiseMitten unter den Demonstrierenden steht auch die parlamentarische Mitarbeiterin Kanza Sakat (LFI) mit Palästinenserflagge über den Schultern. „Es werden die schlimmsten Massaker seit Jahrzehnten begangen. Demgegenüber können wir nicht untätig bleiben. Es ist beschämend, wie gewisse Politiker und Politikerinnen dazu schweigen. Wir bekämpfen jede Form von Diskriminierung, wir machen keinen Unterschied zwischen Religionen, Hautfarben, sexueller Orientierung. Die Linke sollte sich einig sein bei diesen Themen, das sind doch unsere Grundpfeiler.“ Ob die Linke dabei sei, sich zu spalten? „Ich würde eher die Frage stellen, ob die Sozialisten mit ihren Haltungen wirklich noch links sind. Sie unterstützen in Wahrheit eine uns aufgezwungene Regierung.“Jung, divers, mobilisiertZurück im Demonstrationszug, der sich langsam Richtung Place de la Nation schiebt. Längst sind linke Proteste in Frankreich keine Sache von ergrauten Gewerkschaftern mehr. Viele Frauen mit Kopftuch sind zu sehen, Menschen aus der queeren Szene, ebenso wie junge, schwarze und häufig minderjährige Migranten, die in den letzten Jahren – dank der Unterstützung von Hilfsorganisationen – mehr und mehr aus der Unsichtbarkeit auftauchen und auf ihr Schicksal aufmerksam machen. Erst letzte Woche wurde unter großer medialer Aufmerksamkeit das bekannte Kulturzentrum La Gaîté Lyrique mitten in Paris von der Polizei mit Gewalt geräumt, in dem seit Monaten obdachlose Einwanderer untergekommen waren. Viele Demonstrierende sehen in solchen Vorfällen die Ankunft im Alltag von Macrons vollzogenem politischen Rechtsruck.Der 18-jährige Baptiste, schwarze Ohrringe, schwarzer Lidschatten, ist zur Demo mit drei Freundinnen gekommen. „Die Zeiten von Jean-Marie Le Pen haben wir zwar nicht gekannt, aber seine Tochter und die Rechtsextremen sind mittlerweile so präsent, dass wir nicht anders können, als uns dagegen aufzulehnen“, sagt er. Alice fügt hinzu: „Seit den Europawahlen gibt es eine mega Mobilisierung junger Menschen, es ist echt krass, total gut.“„Verhältnismäßig verhalten“, so lautet allerdings am Abend die Bilanz dieses Protesttags. 20.000 Menschen auf Pariser Straßen, ein paar Zusammenstöße mit der Polizei, überschaubarer Einsatz von Tränengas, das ist für französische Verhältnisse kaum der Rede wert. Trotz der instabilen politischen Verhältnisse seit den Parlamentswahlen im letzten Jahr und trotz des allgemeinen Unmuts über Präsident Macron und seine Regierung fällt es der Zivilgesellschaft und der linken Opposition derzeit schwer, sich mit ihren unterschiedlichen Ansinnen, von Ökologie über Frauenrechte, Meinungsfreiheit bis zur Solidarität mit den Palästinensern, wirklich Gehör zu verschaffen.Eine zentrale Figur auf politischer Ebene, die parteiübergreifend Sympathien genießt, gibt es nicht. Die mächtigen rechtskonservativen Medien dominieren den Diskurs, wiegeln auf, schüchtern ein. Und so liest man über Paris an diesem Wochenende im Ausland statt über die antirassistischen Demos eine ganz andere Schlagzeile: Bei einer Volksabstimmung mit 4 Prozent Wahlbeteiligung stimmten 66 Prozent der Pariser für die Schaffung von weiteren 500 autofreien Straßen und die Abschaffung tausender Parkplätze. Immerhin, dann wäre mehr Raum für demokratischen Protest. Gute Gründe dafür gibt es reichlich in diesen aufgewühlten Zeiten, ob mit oder ohne Wassermelonen-Ohrringe.