Noch geht es auf der Leipziger Buchmesse um Bücher. Aber künstliche Intelligenz ist im Begriff, die Grundlagen der literarischen Kultur zu zerstören
Illustration: der Freitag, Material Midjourney
Wer mit Menschen aus dem Literaturbetrieb über das Thema KI spricht, stößt auf große Ratlosigkeit und noch größere Sorgen. Der Literaturbetrieb, das sind Autoren und Agenten, Übersetzer, Verleger und Lektoren, Buchhändler – und natürlich Leser (alle w/m/d)! Diese und viele andere sind mittelbar und zunehmend unmittelbar mit KI konfrontiert. Weitgehend unsichtbar, zumindest von außen. Wobei sich zunächst die Frage stellt: Was zum Teufel ist das eigentlich, Künstliche Intelligenz?
Wenn Sie ChatGPT fragen, lautet die Antwort: „Künstliche Intelligenz bezeichnet die Fähigkeit von Maschinen oder Computersystemen, menschenähnliche Intelligenzleistungen zu erbringen. Dazu gehört das Erkennen von Mustern, das
stern, das Verstehen von Sprache, das Treffen von Entscheidungen, das Lösen von Problemen sowie das Lernen aus Erfahrungen.“ Die Anforderungen sind also generell eher niedrig. Weshalb müssen wir trotzdem Sorge haben, dass KI der Anfang vom Ende menschlicher Kultur sein könnte?Das Lektorat erledigt die MaschineDazu muss man sich ansehen, wo wir stehen – und wohin die Entwicklung weist. Aktuell befinden wir uns am Ende des größten Raubzugs der Geschichte. Niemals wurden so viele Menschen so schamlos bestohlen wie in den zurückliegenden drei bis fünf Jahren. Firmen wie OpenAI, Google oder Meta haben das gesamte Wissen der Menschheit genutzt, um ihre Technologie damit zu füttern. Millionen literarischer Werke wurden ausgelesen und ihr Inhalt wurde verarbeitet, ohne dass irgendjemand die Urheber gefragt oder ihnen gar etwas dafür bezahlt hätte. Und das, obwohl mithilfe ihrer geistigen Leistung Milliardenwerte erschaffen wurden.Nachdem sie den Autorinnen und Autoren ihre Arbeit aus der Vergangenheit gestohlen haben, sind die Tech-Konzerne nun nicht nur im Begriff, sondern auch imstande, ihnen darüber hinaus die Lebensgrundlagen für die Zukunft zu entziehen – und mit ihnen vielen anderen Teilnehmern des Literaturbetriebs.Tatsache ist, dass es inzwischen Tutorials gibt, wie man mit KI sein „eigenes“ Buch schreiben kann. Man braucht dazu weder Phantasie noch schriftstellerische Fähigkeiten. Wer heute in der Lage ist, den Weg zu einer Tastatur zu finden, kann schon Autor werden. Ein paar Klicks, ein paar müde Befehle und fertig ist der Jahrhundertroman. Man muss sich das Zeug nicht einmal selber durchlesen. Lektorat und Korrektur erledigt die Maschine. Für den lästigen Rest gibt es Leser.Die ganze Buchbranche ist betroffenNachdem die Übersetzungsbranche, die über Generationen hinweg die Literatur der Welt zu uns gebracht hat, ihrem digitalen Tod bereits ins Auge sieht, weil Programme wie DeepL in Sekundenschnelle von einer Sprache in die andere übertragen, wofür studierte Übersetzer Monate brauchen, sind als nächstes die Autoren dran, die Sprecher von Hörbüchern, die Illustratoren … Kein Gewerk in der Buchbranche das nicht betroffen wäre.Allerdings, wenn wir mal von den weinerlichen Kulturschaffenden absehen: Macht es was? Kann es mir nicht einfach egal sein, ob mein Buch dem Hirn eines genialischen Menschen entsprungen ist oder der brillanten Rechenleistung eines Computers?Wer sich vorstellen kann, in einem Restaurant zu essen, in dem künstlich erzeugte Zutaten von Maschinen zubereitet und serviert werden, und zwar abgestimmt auf seinen individuellen Geschmack, aber halt ohne Koch und Kellner, der darf jetzt sagen: Nein, es macht nichts. Denn Literatur ist geistige Nahrung. Wenn wir ihre „Zubereitung“ dem Algorithmus anvertrauen, werden wir immer das bekommen, was uns schmeckt. Aber wir werden nie wieder etwas wirklich Neues erschaffen.Bloß keine Experimente!Man kann sich das gut am Beispiel der bildenden Kunst vor Augen führen: Stellen wir uns vor, KI hätte die Malerei im Jahr 1900 gekapert, so wie sie jetzt im Begriff ist, die Literatur zu kapern. Dann hätte es nach dem Impressionismus nichts Neues mehr gegeben. Keinen Expressionismus, keine Moderne, keine Postmoderne … Denn der Algorithmus kann nur verarbeiten, was schon war, und er wird immer den wahrscheinlichsten Weg gehen. Der wahrscheinlichste Weg ist, dass allen gefällt, was allen gefällt. Bloß keine Experimente. Schöne neue Welt!Die Tech-Konzerne haben die literarische Welt ausgesaugt. Ihr Ziel ist es, die Maschine an die Stelle des kreativen Menschen zu setzen. Wie wenig dieser Mensch ihnen wert ist, haben sie mit ihrem Raubzug gezeigt. Wer glaubt, KI könne die Kultur substanziell bereichern, missversteht das Konzept seiner Schöpfer: Es geht nicht um den Menschen und um sein Leben, es geht ums Geld. Wer bei diesem Spiel mitspielt, kann auf Dauer nur verlieren. Denn am Ende gewinnt im Casino immer die Bank. Und die Bank sind die KI-Firmen.