Durch das „Sondervermögen Infrastruktur“ steht dem Bund in den nächsten Jahren mehr Geld zur Verfügung, als die Ampel zu ihren besten Zeiten ausgeben konnte. Doch Experten zweifeln, dass es ausreicht
Foto: plainpicture/Elektrons 08
Gewaltig scheint der finanzielle Spielraum, den sich die Koalition im Entstehen von CDU, CSU und SPD von Bundestag und Bundesrat genehmigen ließ: 500 Milliarden Euro. Doch bei genauerer Betrachtung entpuppt sich die gewaltige Summe als gar nicht mehr so üppig – angesichts der absehbaren Kosten.
Schienen, Schulen, Straßen: Deutschland bröselt, bröckelt, lebt von der Substanz. Das Land, das Friedrich Merz (CDU) gerne regieren möchte, ist ein Sanierungsfall. Der aufgelaufene Investitionsstau muss angegangen werden. Doch so ganz genau weiß die öffentliche Hand nicht, was eigentlich alles baufällig ist oder absehbar baufällig wird.
Denn während Unternehmen darüber Buch führen, welche ihrer Investitionen voraussichtlich bis wan
e, ist ein Sanierungsfall. Der aufgelaufene Investitionsstau muss angegangen werden. Doch so ganz genau weiß die öffentliche Hand nicht, was eigentlich alles baufällig ist oder absehbar baufällig wird.Denn während Unternehmen darüber Buch führen, welche ihrer Investitionen voraussichtlich bis wann abgenutzt sind, ist das in Bund, Ländern und Kommunen nicht zentral erfasst. Kaum vorausberechnet wird auch, wann welche Wartungs-, Sanierungs- oder Ersatzkosten anfallen. Für Erhaltung wird ausgegeben, was nötig ist, wenn es nötig ist. Wenn die Kasse es denn hergibt. Und die war zuletzt oft leer.Schwarz-Rot will genau diesen Stau nun auflösen und hat sich dafür von Bundestag und Bundesrat gewaltige Kredite ermöglichen lassen: 500 Milliarden Euro, ein Sondervermögen, das Deutschland generalsanieren soll. Das klingt enorm – doch ist es bei Lichte betrachtet nicht.Investitionsbedarf übersteigt Mittel deutlich600 Milliarden Euro würde es eigentlich brauchen, um den Rückstau abzubauen, hatten Ökonomen des nicht gerade als sozialistisch geltenden Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zusammen mit dem Institut für Makroökonomie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung im Mai 2024 ausgerechnet. Kommunale Infrastrukturen und Nahverkehr würden gut 200 Milliarden benötigen, die Bildungseinrichtungen 40, der Schienenverkehr 60 Milliarden und die Fernstraßen 39. Maßnahmen zur Anpassung an Klimaveränderung und zum Klimaschutz würden mit 213 Milliarden zu Buche schlagen. Aber nun stehen nur 500 Milliarden zur Verfügung, die allerdings zusätzlich zu den bereits geplanten Investitionen kommen sollen.Ein Berg an Möglichkeiten. Immerhin war der gesamte Haushalt des Bundes im Jahr 2024 nur 488 Milliarden Euro groß. Doch es klingt mehr, als es letztlich ist.Drei Legislaturperioden lang soll das Geld verplant werden dürfen – bis zum Jahr 2037. Ein Fünftel der 500 Milliarden Euro ist für Klimaaufgaben reserviert. Weitere 100 Milliarden sollen über die Länder den Kommunen zur Verfügung stehen. Bleiben 300 Milliarden Euro übrig. Gleichmäßig über die Jahre verteilt, wären das jeweils 25 Milliarden Euro. Ein Anfang, meint der Wirtschaftsweise Achim Truger von der Universität Düsseldorf: „Natürlich könnte es immer noch etwas mehr sein, aber mit den 300 Milliarden kann der Bund schon sehr weit kommen“, sagt er gegenüber dem Freitag. Vor allem, weil die 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz auch dem Bund zur Verfügung stünden. Das sei in Summe, so Truger, „viel mehr, als die Ampel selbst zu besten Zeiten in Aussicht hatte.“Zeitdruck, Kostensteigerungen und knappe KapazitätenDas Geld muss möglichst schnell vom Hof. Denn selbst bei nur zwei Prozent Kostensteigerungen würden 300 Milliarden Euro von heute im Jahr 2037 real nur noch den Wert von 240 Milliarden widerspiegeln – ein Wettlauf gegen die Zeit. Doch Schnelligkeit und Gründlichkeit sind widerstreitende Ziele: Was hat wirklich Priorität? Wie lässt sich vermeiden, dass Projekte erst günstig beantragt werden und im Verlauf viel teurer werden als ursprünglich veranschlagt? Beim Bahn-Vorzeigeprojekt Stuttgart 21 waren die Kosten von ursprünglich 4,5 stückweise immer weiter auf inzwischen elf Milliarden Euro gestiegen. Doch nach einmal erfolgtem Baubeginn ist ein Abbruch ebenfalls kostenträchtig.Die Gretchenfrage aber lautet: Was ist bis wann überhaupt realistisch?Denn auch die Kapazitäten von Planern in Kommunen, Ländern und Bund, bei Bauunternehmen und anderen Beteiligten sind endlich. Ökonomisch gibt es einen Punkt, an dem Unternehmen so viele Aufträge haben, dass ab dann nur noch der Preis steigt, aber dafür nicht mehr geleistet wird. Auf solche Punkte muss die künftige GroKo erst noch Antworten finden – und zwar schnell. Denn mit jedem Tag ohne Investitionen verfällt vorhandene Infrastruktur wie Schulen, Straßen oder Schienen weiter – was die Kosten erhöht.Reform der SchuldenbremseUnd jede Investition zieht Folgekosten nach sich: Personal, Wartung oder Instandsetzung. Die müssen aus den normalen Kassen bestritten werden. Ökonomen fordern seit Jahren, solche Kosten nachhaltiger einzuplanen – etwa, indem bei Straße und Schiene spezifische Einnahmen in einen eigenständigen Fonds einfließen statt in allgemeine Haushalte. Schwarz und Rot wollen das jetzt prüfen.Vor allem bei den Kommunen sieht Ökonom Achim Truger zudem absehbar weiteren Finanzierungsbedarf: Angesichts der Bedarfe seien die 100 Milliarden für die Länder und Kommunen vielleicht zu gering dimensioniert, sagt er. Das Institut für Urbanistik hatte 2022 auszurechnen versucht, was dort nötig sei. Und kam auf gewaltige 372 Milliarden Euro, die bis 2030 allein für die Verkehrsinfrastruktur in den Kommunen nötig würden.Sinnvoller als der Weg über Sondervermögen, meint Achim Truger, sei es, Investitionen in der Schuldenbremsenlogik anders zu behandeln und Kredite für diese zu erlauben. Sollte die noch einzurichtende Kommission, die für die Schuldenbremse bis Ende 2025 eine Reform erarbeiten soll, sich diesem Votum anschließen, würde aber eine ganz neue Frage aufkommen: Wozu noch Sondervermögen?