Die kurdisch-deutsche Publizistin und Autorin Mely Kiyak erhält den Heinrich-Mann-Preis 2025. Kiyak sei zu einer wichtigen intellektuellen Stimme der deutschen Gesellschaft geworden, so die Jury. Die Laudatio hielt Satiriker Jan Böhmermann


Falsche Freundlichkeit liegt ihr nicht, dafür die Bereitschaft zu Unverschämtheit, auch gegen sich selbst

Foto: Svenja Trierscheid


So ist Mely Kiyak eben. Bei der After-Show-Party ihrer Preisverleihung in der Akademie der Künste gibt es nicht nur ein Glas Sekt und Small Talk. „Kommt mal nach hinten, ich habe Poğaça und Sigara Böreği bestellt“, ruft sie und wirklich, es stehen etliche Bleche mit goldgelben Käse-und Teigtaschen auf den Tischen neben den Sektkühlern. Mely Kiyak gelingt galant stets beides: Sie kann Wärme und Gemütlichkeit schaffen, wenn es der Situation angemessen ist, aber auch reichlich spitz und scharf sein, vor allem in ihren zahlreichen politischen Texten, Essays und Kolumnen.

Mitfühlendes, zuweilen zärtliches Interesse an anderen Menschen

Noch vor einer Stunde stand die Preisträgerin auf der Bühne und sprach über das Le

ch über das Leben, das Leben als Schriftstellerin und ihre Verbindung zu Heinrich Mann. Umrahmt wurde der Abend mit wunderschönen alevitischen Volksliedern von Nevzat Akpinar am Klavier und Haydar Kutluer (Gesang und Bağlama).Durch ihre Texte sei sie „zu einer wichtigen intellektuellen Stimme der deutschen Gesellschaft geworden“, so die Jury, der Lena Gorelik, Kathrin Schmidt und Asmus Trautsch angehörten. Mely Kiyaks Texte, so die Jury, zeichneten sich „durch ein mitfühlendes, zuweilen zärtliches Interesse an anderen Menschen aus, auch an denjenigen, die aus anderen sozioökonomischen und kulturellen Ausgangslagen ihre Orientierung gewinnen“. Am 25. März, zwei Tage vor dem Geburtstag des Schriftstellers und etwas weniger erfolgreichen Bruders von Thomas Mann, wird ihr in Berlin der mit 10.000 Euro dotierte Preis verliehen.Und es wäre nicht Mely Kiyak, wenn sie nicht sofort die komischen Momente rund um dieses Ereignis feststellen und in ihrer Rede verpacken würde. So habe ihr, erzählt sie auf der Bühne, ein Chefredakteur eines bekannten Magazins einen Brief geschrieben, in dem er ihr zum Preis mit den Worten gratulierte: Glückwunsch, 10.000 Euro steuerfrei!Unerschrockenheit. Eine ausgeprägte Allergie gegen alte Gedanken1976 wird Mely Kiyak als Tochter von kurdischen Eltern in Deutschland geboren. Ab 2008 veröffentlicht Kiyak Kolumnen in der Frankfurter Rundschau, später auch in der Berliner Zeitung und auf Zeit Online. Seit 2013 ist sie die Hauskolumnistin des renommierten Maxim Gorki Theaters in Berlin und schreibt weiterhin für Zeit Online die Serie Gute Momente, und veröffentlicht seit 2023 im Schweizer Magazin Republik die Essayreihe Meine Testamente. Seit 2024 veranstaltet Mely Kiyak am Berliner Maxim-Gorki-Theater regelmäßig den Salon Mely Kiyak hat Kunst.Ihre zahlreichen Bücher reichen von politischen Analysen bis hin zu essayistischen Betrachtungen: 2007 veröffentlicht Mely Kiyak den Band 10 für Deutschland, in dem sie mehrere Gespräche mit türkeistämmigen Abgeordneten führt, 2013 den Roman Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an, 2020 den autobiographischen Prosaband Frausein, 2022 die Essaysammlung über Deutschland und seine Migrationspolitik, Werden sie uns mit Flix-Bus deportieren?, und 2024 Dieser Garten über die Benediktinerinnenabtei zur Heiligen Maria in Fulda, wo sie eine Ausbildung zur Gärtnerin absolvierte.Der Satiriker Jan Böhmermann wird in seiner Laudatio an dem Abend auf ihre beiden großen Talente verweisen: Mut und Wut. Kiyak habe alles, „was unser verzagtes Europa und unser ängstlich suchendes Deutschland gerade brauchen“, sagt Böhmermann.Dazu gehörten „Unerschrockenheit, Präzision, eine ausgeprägte Allergie gegen alte Gedanken und falsche Freundlichkeit, die Bereitschaft zu Unverschämtheit, auch gegen sich selbst“. Kiyak hingegen erinnerte an das Exilleben des Schriftstellers Heinrich Mann (1871 – 1950), der 1933 nach Frankreich ausreisen musste. Heinrich Mann glaubte zunächst, dass sich Hitler nicht lange an der Macht halten würde, 1940 emigrierte er dann schließlich doch mit der Hilfe seines älteren Bruders Thomas Mann in die USA zu. Beide Brüder waren erbitterte Gegner der Nazi-Herrschaft, Heinrich sollte bis zu seinem Tod im Jahr 1950 in den USA bleiben.Ich verdiene diesen Preis nicht, aber ich nehme ihn gerne anUngleich seinem älteren Bruder hatte er wenig schriftstellerischen Erfolg und verstarb verarmt. Kurz zuvor, 1949, war er in der frisch gegründeten DDR zum Präsidenten der neuen Akademie der Künste berufen worden.Unschwer zu erkennen, wie sehr sich die Sorgen und die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen der Schrifstellerinnen Heinrich Mann und Mely Kiyak an diesem Abend gleichen. So erzählt Kiyak in ihrer Rede, dass sie am Grab von Heinrich Mann auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte gesessen habe, ihr Geschenk für sein Grab: Klatschmohnblüten, „die Heinrichs Gesicht streichelten“. Sie hätte ihn um ein Zeichen gebeten, „genüge ich Deinen Ansprüchen, als Stimme, die sich laut genug auflehnt gegen Barbarei, Lüge und Verrat an der Geschwisterlichkeit?“Mely Kiyaks Antwort an sich selbst ist das Weitermachen als politische Handlung. Oft kommt an dem Abend der Bezug zu den dunklen Zeiten der 1930er auf und sie nimmt Bezug auf die Überlegungen vieler Menschen heute in diesem Land, wann es wieder soweit sein könnte und man das Land verlassen sollte. Jan Böhmermann weist in seiner Laudatio aber auch darauf hin, dass sich Kiyak und Böhmermann als Praktiker*innen verstünden, die den „Frühling schon im Herbst riechen würden und sich grüßen würden wie Busfahrer“.Als klare und wichtige Stimme gegen den wieder aufkeimenden Faschismus hat Kiyak auch ein gewisses Händchen für die Darstellung der Parallelen: Die beiden Auszüge aus Texten Heinrich Manns, die der Schauspieler Mehmet Yilmaz am Ende der Veranstaltung vorliest, zeigen sehr deutlich, wie Heinrich Mann 1933 schon die Verrohung der Gesellschaft und die offene Judenverfolgung voraussieht.Mely Kiyaks Rede endet übrigens mit den Worten: „Ich verdiene diesen Preis nicht, aber ich nehme ihn gerne an.“



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Von Veritatis

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