„Es gibt viele Bereiche, in denen Korruption völlig legal ist“, sagt Marco Bülow. Er saß 19 Jahre für die SPD im Bundestag. Im Interview verrät er, wie geschickt Lobbyisten vorgehen, um Politiker wie ihn zu verführen – und was dagegen hilft


Wir sprachen mit Marco Bülow auf der Leipziger Buchmesse

Foto: Stella Weiss für der Freitag


Das neue Buch von Marco Bülow heißt Korrumpiert und ist im Februar im Westend-Verlag erschienen. Stellenweise liest es sich wie ein Krimi. Bülow beschreibt darin, wie er sich während seiner aktiven Zeit als Politiker von Lobbyisten losreißen musste – und dafür noch Stress mit seinen SPD-Kollegen bekam. Hier verrät er die schmutzigen Tricks der Lobbyisten.

der Freitag: Herr Bülow, Sie saßen 19 Jahre im Bundestag: Wie käuflich sind Ihrer Erfahrung nach unsere Politiker?

Marco Bülow: Darauf gibt es natürlich keine einfache Antwort. Vor allen Dingen muss man erst mal definieren, was käuflich ist. Wir haben alle dieses Bild im Kopf: Da stehen Leute mit Geldkoffern vor den Büros der Abgeordneten und versuchen, diese zu bes

definieren, was käuflich ist. Wir haben alle dieses Bild im Kopf: Da stehen Leute mit Geldkoffern vor den Büros der Abgeordneten und versuchen, diese zu bestechen. Aber so funktioniert das natürlich nicht. Korruption ist eben nicht nur, dass man Geld dafür bekommt, eine Machtposition auszunutzen. Lobbyisten haben einen viel größeren Instrumentenkoffer, um Politiker zu beeinflussen, als man gemeinhin vermutet.Was ist in dem Koffer so drin?Das geht bei Parteispenden los. Natürlich ist selten jemand so doof, zu sagen: Hier ist meine Spende und ich erwarte dafür Gegenleistung XY von euch …Doch! Es gibt einen solchen Fall in Ihrem Buch: Der Immobilienunternehmer Christoph Gröner hat 2020 der Berliner CDU 820.000 Euro gespendet und später im Deutschlandfunk ausgeplaudert, dass er im Gegenzug von der Partei eine Abschwächung des Mietendeckels gefordert hat.Stimmt. Das war wirklich sehr dämlich. Sowas bleibt meistens trotzdem folgenlos, weil es keinen Kläger gibt. Und selbst wenn Ihnen jetzt einfallen würde, okay, dann verklag ich den Gröner mal, dann dürften Sie das gar nicht. Das darf nur eine Partei tun. So, da hat sich aber natürlich keiner bereit erklärt, bis die PARTEI diese Klage eingereicht hat. Ich finde es schon bezeichnend, dass in Deutschland eine Satirepartei diesen Job übernehmen musste. Die Klage liegt aktuell bei der Bundestagsverwaltung und wird überprüft. Aber ich weiß schon, wie es ausgehen wird.Und, wie?Man wird sagen: Ja, da ist ein bisschen was dran, aber es war sicher nicht so gemeint und letztendlich reicht es nicht aus, die CDU dafür wirklich vor Gericht zu stellen.Welche Instrumente haben Lobbyisten noch?Es gibt auch Spenden, die direkt an Abgeordnete gehen. Das haben wir im letzten Wahlkampf wieder gesehen, als Rheinmetall an solche Politiker gespendet hat, die wahrscheinlich im Haushalts- oder Verteidigungsausschuss landen und das Geld verteilen werden. Aber das ist nur ein Beispiel von vielen.Wenn man auf dem Podium sitzt als frisch gewählter Abgeordneter und da sind 150 Leute aus Wirtschaft, Politik und Medien im Publikum, dann wird man aufgewertet in der FraktionSie sprechen gerne von Wohlfühl-Lobbyismus. Was ist das?Das ist wahrscheinlich die verbreitetste Form des Lobbyismus. Da bauen Interessenvertreter erstmal eine Vertrauensstellung auf zum Abgeordneten. Diese Leute haben viel Zeit, sind sehr gut geschult und kommen am Anfang nicht mit Forderungen um die Ecke. Die lernen einen erstmal kennen und dann laden sie einen irgendwann auf ein Podium ein zum Beispiel. Und wenn man auf dem Podium sitzt als junger und frisch gewählter Abgeordneter und da sind 150 Leute aus Wirtschaft, Politik und Medien im Publikum, dann wird man aufgewertet in der Fraktion. Denn Ihre Machtposition in der Fraktion wächst nicht, weil Sie gute Argumente haben und in Ihrem Thema gut im Stoff stehen, sondern wenn Sie gute Kontakte haben. Und diese Kontakte kriegen Sie, wenn Sie sich auf die Lobbyisten einlassen. So läuft das.Vor ein paar Tagen konnte man auf „tagesschau.de“ lesen, dass die FDP-Bundestagsfraktion auf den letzten Metern versucht hat, ihre Mitarbeiter in Wirtschaftslobbyverbänden unterzubringen. Überrascht Sie das noch?Nee, natürlich nicht. Die FDP hatte im Wahlkampf am zweitmeisten Spenden gekriegt. Da werden jetzt einige sauer sein, dass sie die Kohle in den Sand gesetzt haben. Für die FDP-Fraktion haben 100 Menschen gearbeitet, für die liberalen Abgeordneten ungefähr 600: Die brauchen jetzt alle eine neue Anstellung. Und natürlich gehen die zu Wirtschaftslobbyverbänden und nicht zu Greenpeace. Obwohl, nette Geschichte am Rande: Ich habe mitbekommen, dass sich auch ein paar FDP-Mitarbeiter bei Abgeordneten der Linkspartei beworben haben. Das nennt man dann wohl politisch flexibel?Im neuen Bundestag ist der Anteil von Arbeitern auf drei Prozent gesunken. Macht die Tatsache, dass unser Parlament voll mit Akademikern ist, die Politik anfälliger für Profitlobbyismus?Bestimmt. Meistens wird ja darüber gesprochen, dass der Anteil der Frauen im Bundestag so niedrig ist. Stimmt ja auch! Aber der krasseste Unterschied, den gibt es bei den Akademikern. 20 Prozent in der Gesellschaft in Deutschland haben einen Hochschulabschluss, 80 Prozent haben keinen. Aber im Bundestag sind wir auf dem Weg, 90 Prozent Akademiker zu haben. Die meisten Abgeordneten haben Wirtschaft oder Jura studiert. Das heißt: Die Taxifahrerinnen, der Krankenpfleger, der Mensch an der Kasse, die fehlen alle unter der Reichstagskuppel. Die sind aber wichtig, weil sie natürlich eine andere Lebensrealität haben und vor allen Dingen: Weil sie vielleicht mal soziale Not erlebt haben und wissen, wie es ist, wenn die Eltern am Ende des Monats damit rechnen mussten, die Miete nicht zahlen zu können. Die, die jetzt im Bundestag sitzen, haben diese Not zum großen Teil nie gespürt. Natürlich ist man dann anfälliger dafür, die Interessen von großen Konzernen über die Interessen armer Menschen zu stellen.Die SPD war mal die Schutzmacht der kleinen Leute. Ich habe das immer gerne Menschenlobby genannt. Aber das ist total verloren gegangenSie sind 2018 nach 25 Jahren SPD-Mitgliedschaft aus der Partei ausgetreten. Warum?Das war ein schleichender Prozess. Die SPD war mal die Schutzmacht der kleinen Leute. Ich habe das immer gerne Menschenlobby genannt. Aber das ist total verloren gegangen. Ich komme aus Dortmund, einer klassischen Arbeiterstadt, wenn man so will. Da geht es den Menschen zumindest zum Teil eben nicht so gut. Aber wenn ich zu einer Parteivorstandssitzung gekommen bin, standen da die dicken Mercedes-Benz-Karren vor der Tür. Da darf man sich nicht wundern, wenn sich Langzeitarbeitslose und Malocher nicht mehr von einem vertreten fühlen.Der deutsche Verteidigungshaushalt ist in den letzten fünf Jahren um 33 Prozent gewachsen. Wie hängt die derzeitige Aufrüstung, die auch Friedrich Merz und Ihre Ex-Partei anstreben, mit dem Lobbyismus der Rüstungsindustrie zusammen? Besteht da überhaupt ein Zusammenhang?Ich habe diesen Satz gestern erst wieder in einer Berliner Tageszeitung gelesen: Die Bundeswehr sei kaputtgespart worden. Dabei ist das totaler Quatsch! Auch vor dem Einmarsch von Russland in die Ukraine ist der Verteidigungshaushalt am stärksten gewachsen: zwischen 2018 und 2023 von 38,5 auf 51,8 Milliarden. 2025 wird er ein Volumen von 55 Milliarden Euro haben. Da passen die Haushalte von Bildung, Forschung, Klima, Energie, Gesundheit, Umweltschutz und Reaktorsicherheit zusammen rein. Aber während wir diese Posten in den letzten Jahren immer weiter gekürzt haben – übrigens auch die Gelder für Katastrophenschutz –, ist der Verteidigungshaushalt immer weiter gewachsen. Da habe ich mich irgendwann gefragt: Hm, woran liegt das eigentlich? Da werden Flugzeuge gekauft, die in Deutschland nicht landen können. Da werden Waffensysteme angeschafft, die mit unserer Technik gar nicht einsetzbar sind. In jedem anderen Bereich muss man genau nachweisen, dass die Gelder erstens benötigt werden und zweitens, wo sie hinfließen. Nur im Verteidigungsbereich muss das nicht nachgewiesen werden. Da kann mir keiner erzählen, dass das im Interesse unserer Sicherheit ist. Es ist im Interesse der Rüstungslobby.Als ich noch Abgeordneter war, habe mir irgendwann zur Aufgabe gemacht, Geschenke, die über eine Schokolade hinausgingen, zurückzuschicken. Das kam nicht gut anSie sind gegen Aufrüstung und für Umverteilung. Warum sind Sie nicht zum BSW gewechselt?Die Antwort würde ein bisschen unser Gespräch sprengen. Ich will gar nichts zu dieser Partei sagen … Ein Punkt, der mich in Ihrem Buch überrascht hat: Politiker dürfen total viele Geschenke annehmen! Tickets für die Fußball-WM, schöne teure Gala-Dinner, First-Class-Übernachtungen in luxuriösen Hotels – alles erlaubt.Ja, ich nenne das legale Korruption. Es gibt einen internationalen Korruptionsindex und da ist Deutschland immer auf einem der Topplätze gewesen. Auf Platz Nr. 9, glaube ich. Jetzt sind wir auf 15 abgerutscht. Und dabei fließen diese legalen Methoden, die Sie erwähnt haben, bei diesem Index noch nicht einmal mit ein! Als ich noch Abgeordneter war, habe mir irgendwann zur Aufgabe gemacht, Geschenke, die über eine Schokolade hinausgingen, zurückzuschicken. Das war tatsächlich mehr Arbeit als Sie denken.Und, wie kam das bei den Lobbyisten und Unternehmen an?Nicht gut. Zumal ich später auch Fotos davon gemacht und die bei Social Media hochgeladen habe.Sie haben einen 9-Punkte-Plan vorgelegt, wie wir zu einer weniger profitorientierten Demokratie kommen. Am meisten liegt Ihnen die Einführung von Gesellschaftsräten am Herzen.Ja. Die Politikwissenschaft spricht jetzt seit 15 Jahren über eine Fassadendemokratie. Angela Merkel hat es marktkonforme Demokratie genannt. Ich selbst habe 19 Jahre versucht, mit demokratischen Instrumenten voranzukommen. Das funktioniert aber nicht. Mehrere Male habe ich Parteitagsbeschlüsse und Fraktionsmehrheiten besorgt, die bei Koalitionsverhandlungen nicht berücksichtigt wurden. Wir erleben gerade wieder, dass Wahlversprechen und Grundsätze von Parteien von einem auf den anderen Tag über Bord geworfen werden. Wir müssen also die Spielregeln ändern – und das macht die Politik nicht von selbst. Der Ansatz ist, die Demokratie durch Gesellschaftsräte zu erweitern. Das Wichtige dabei: Das muss mit Losverfahren passieren und die Entscheidung muss in eine Gesetzesvorlage gegossen werden. Dann sitzen Leute aus allen Bereichen einmal und danach nie wieder zu einem Thema zusammen. Das würde den Lobbyisten die Türen versperren.



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Von Veritatis

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