Warum ist es auf den Campussen der US-Universitäten derzeit so still? Adrian Daub ist Professor in Stanford und erinnert an die Vorbereitung der rechten Repression: Wer Listen von „Universitätern“ erstelle, solle sich nicht wundern
Protest gegen die Festnahme des Studenten Mahmoud Khalil, der in den USA gegen den Gaza-Krieg protestierte: Es wird ja protestiert, aber vielleicht nicht so, wie sich das manche Deutsche wünschen
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Inmitten von historischen Verwerfungen sind es manchmal die Fragen eher als die Antworten, die uns ein Bild vom Geschehen bieten. Denn unsere Fragen sind häufig noch an jenen Kategorien und Urteilen geschult, die gerade ihre Gültigkeit einbüßen.
Zwei Fragen werden mir als in den USA Lehrendem von Medienvertretern aus Deutschland dieser Tage vor allem gestellt. Erstens: Wie sieht es aus auf dem Campus, wie ist die Stimmung? Und zweitens: Trügt der Eindruck, oder ist es erstaunlich ruhig?
Community Colleges, Harvard und Columbia: Angst haben sie alle
Ich halte es für interessant, was in diesen Fragen mitschwingt: erstens „der Campus“. In Wahrheit gibt es den Campus gar nicht. Amerikanische Campusse sind riesige Agglomerationen, keine zwei gleichen sich.
keine zwei gleichen sich. Und so treffen die Angriffe der Regierung jeden Campus anders: Für eine Universität mit großem Klinikum ist es das Wegfallen von hunderten Millionen, für den Zweitcampus einer staatlichen Universität in einem republikanisch regierten Bundesstaat sind es massive Eingriffe in die Freiheit der Lehre.Die Ängste, mit denen die Universitäten derzeit zu kämpfen haben, sind vielschichtig und dürften an keiner dieselben sein. Wer mit Kolleg:innen in Harvard, der University of Pennsylvania oder der Columbia University in New York spricht, Unis also, die die Gleichschaltung bereits mit voller Wucht erwischt hat, und der an einer ähnlich aufgestellten Institution lehrt, der bekommt eine Vorschau darauf, was seiner eigenen Universität noch blüht. Für Kolleg:innen an kleinen Liberal Arts Colleges, an den aberhunderten Community Colleges, gibt es vielleicht ganz andere Sorgen. Nur: Angst haben sie alle.Die letzten Jahrzehnte haben viel privates Geld an die amerikanischen Unis gespült. Dieses Geld hat allerdings auch die oberen Ränge der Universitätsverwaltung verändert. Sie nehmen ihre finanziellen Pflichten inzwischen sehr viel ernster als etwa die Vertretung der Campus-Community. Dies erklärt wohl die erstaunlich kleinlauten Reaktionen der Uni-Präsidien auf die Kürzungen, die Einmischungen, die Drohbriefe. Zum Teil.Zum Teil haben die Uni-Präsident:innen auch einfach Angst. Wer in den letzten zwei Jahren als Uni-Präsident:in in den Medien auftauchte, war danach sofort den Job los. Keiner will Claudine Gay sein, die Harvard-Präsidentin, die sich zuerst vom Repräsentantenhaus fertigmachen lassen musste und danach einer Kampagne rechter Kulturkämpfer und auch liberaler Medienhäuser zum Opfer fiel.Was ist denn passiert, als diese Studierenden zuletzt demonstrierten – gegen den Gaza-Krieg?Und damit wären wir bei der zweiten Frage, nach der Ruhe auf dem Campus. Denn es stimmt: Der Campus, dessen quirliges, manchmal auch nerviges Treiben in den letzten Jahren auch den deutschen Medien so viele Schlagzeilen wert war, ist einigermaßen verstummt. Man wartet ab, man harrt der Dinge, die da kommen.Aber die Frage selber fasziniert. Denn es schwingt darin wohl auch mit: Ihr wart ja vorher immer so laut, finden jetzt die Student:innen ihre Transparente plötzlich nicht mehr? Die Fragestellung, warum x, warum nicht y, ist ein fest etabliertes rhetorisches Manöver, wenn es darum geht, Campus-Proteste zu delegitimieren.Aber man muss ehrlicherweise auch bedenken: Was ist denn passiert, als diese Studierenden zuletzt demonstrierten? Politiker beider Parteien verteufelten sie. Ihre Universitäten schickten große Polizeiaufgebote in voller Kampfmontur auf sie, viele wurden festgenommen, mittlerweile sitzen viele von ihnen in Abschiebehaft. In keinem bisher bekannten Fall ging dem Vorgehen physische Gewalt voraus; in einigen Fällen reichte, nach derzeitigem Erkenntnisstand, ein Artikel oder eine Unterschrift unter einem offenen Brief.Ihr wolltet, dass die queeren Kids endlich die Schnauze halten? Jetzt tun sie esAuch in deutschen Medien wurden entsprechende Aktionen seinerzeit immer wieder gefordert. Als sie anfingen, wurden sie kräftig beklatscht. Wenn diese Medien sich heute mit der Stille auf dem Campus auseinandersetzen, möchte man das so unterschreiben, wie Le Petit Journal das Bild von Wilhelm I vor dem brennenden Arras: „le barbare contemple son oeuvre“, der Barbar betrachtet sein Werk. Ihr wolltet, dass die queeren Kids und pinkhaarigen Aktivist:innen endlich die Schnauze halten? Jetzt tun sie es. Seid Ihr stolz auf Euch?Ein Tipp, von dem man eigentlich dachte, ihn nicht wiederholen zu müssen: Menschen, die Ihnen wortreich erklären können, dass man nicht mehr frei reden könne, können frei reden. Menschen, die nicht mehr frei reden können, erkennt man darin, dass sie nicht mehr frei reden. Um nur von meinem Campus zu sprechen: Zehn Prozent unserer Studierenden sind Internationale, die meisten dürften dank Studenten-Visa im Land sein. Jenen Visa also, die laut einem Bericht der Times of India jetzt im großen Stil widerrufen werden. Unter den Graduierten beträgt die Zahl gar 35 Prozent. H1B Visas und Green Cards gibt es an den großen Forschungsunis zu tausenden.Auch die Uni-Professor:innen wurden diffamiertUnd die Professor:innen? Als die Proteste vergangenes Jahr zerschlagen wurden, haben sich viele auf die Seite der Studierenden gestellt. Sie hatten häufig andere Ansichten, waren nicht mit der Taktik der Protestierenden einverstanden. Aber fanden das Eingreifen der Unileitungen falsch und überzogen. Auch sie wurden diffamiert, geschlagen, festgenommen. Viele von Ihnen dürften auf genau denselben Registern stehen wie die Student:innen, die bereits im Abschiebeknast sitzen.So sucht man hinter den Kulissen nach Lösungen: Briefe an Uni-Präsident:innen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass diese nicht umfallen, wenn die Attacke aus Washington kommt. Nur: Was bringt es, sich der Rückendeckung von Chefs zu versichern, wenn die Chefs allesamt selber auf dem Schleudersitz zu sitzen scheinen? Kongress und Weißes Haus haben sich auf Amerikas Uni-Präsident:innen eingeschossen. Die Attacken kommen längst nicht nur aus Washington: Gegenwind kommt von republikanisch dominierten Länderparlamenten, oder etwa von den reichen, häufig äußerst konservativen Mäzenen.Deutsche Zeitungen bedienten sich bei den Listen rechter GruppenAn der Columbia University in New York, so der Eindruck, hat nicht die Übergangs-Präsidentin mit der Bundesregierung verhandelt, sondern das Board of Trustees, also der Verwaltungsrat. Ein paar Tage später musste auch die Übergangs-Präsidentin gehen – rechte Medien hatten durchgestochen, dass sie signalisiert hatte, sie werde Zugeständnisse nur langsam und zögerlich umsetzen. Die neue Übergangs-Präsidentin ist folgerichtig gar keine Professorin mehr, sondern gleich eine Alumna, die Mitglied im Board of Trustees ist.Rechte Stiftungen und Milliardäre haben in den letzten Jahrzehnten einen enormen Überwachungsapparat geschaffen, als Medien getarnt. Bei den Anekdotensammlungen dieser Gruppen haben sich auch deutsche Zeitungen gerne bedient. Bis jetzt war es eher ein Kuriosum, sich als Professor:in auf diesen Listen wiederzufinden – es bedurfte nur eines einzigen konservativen Studierenden, oder eines Praktikanten in Washington D.C mit zu viel Google-Zeit, und man stand drin.Man kriegte ein paar fiese Emails, man leitete sie an die Campus-Polizei weiter. Gewiss, wenn Poster und Trucks mit Werbeflächen auftauchen, die einzelne Professor:innen zum Ziel machten, wenn Instagram- oder Facebook-Werbung geschaltet wurde, dürfte es den Kolleg:innen auch schon früher mulmig geworden sein. Aber generell wurde der Vorgang mit einem Achselzucken quittiert: Was sollte man schon machen? Es war für Professor:innen „the cost of doing business”.Jason Stanley, Timothy Snyder und Marci Shore verlassen die USAJetzt kenne ich mehrere Kolleg:innen, die versuchen, sich aus diesen Listen zu klagen. Die Angst haben, konservative Studierende mit guten Verbindung in das rechte Meldesystem ihren Leistungen gerecht zu benoten, aus Angst, dann doch noch auf die Listen zu kommen. Sie haben Angst vor den Leuten in den unmarkierten Bullis. Denn viele der Studierenden, denen Deportation droht, haben die Beamten der Immigration and Customs Enforcement-Polizei (ICE) anscheinend auf von eben diesen Gruppen unterhaltenen „Watch Lists“ gefunden.Aber viele der Lösungen sind individuell: Der Philosoph Jason Stanley und die Historiker Timothy Snyder und Marci Shore verlassen das Land gen Kanada. Shore sagte dem Inside Higher Education, sie sei „nicht zuversichtlich, dass es Yale oder anderen amerikanischen Universitäten gelingen wird, ihre Studenten oder ihre Fakultät zu schützen.“ Informelle Stimmungsbilder (wie jenes von Nature von vergangener Woche) legen nahe, dass viele Lehrende und vor allem Nachwuchskräfte ähnliche Schritte in Erwägung ziehen.Wer erinnert sich an die Liste der „Universitäter“?Der Blick auf die USA fördert derzeit nur Diffuses zutage. Aber auch der Blick auf sich selbst lohnt sich: Gewiss, deutsche Beobachter und deutsche Medien haben nichts von dem, was jetzt in den US-Universitäten passiert, verursacht. Aber: Vieles von dem, was diese Institutionen nun zerstört, hat man gefordert oder beklatscht.Listen von „Universitätern“ hat nicht die auflagenstärkste Zeitung der USA angefertigt, sondern jene Deutschlands. Vieles fordert man im eigenen Land ja längst selber. Man wird den Verdacht nicht los, dass die weitläufige Unfähigkeit in Deutschland, die Anfänge in den USA zu beschreiben, damit einhergeht, dass man ihnen gar nicht mehr wehren möchte.