Interview „Der Markt ist nie grün“, sagt Adrienne Buller. Die Wissenschaftlerin hat ein Buch darüber geschrieben, warum Emissionshandel nicht funktionieren kann und was wir stattdessen tun müssen
Glaubt nicht alles, was die fossile Industrie von sich gibt: Adrienne Buller
In ihrem Buch The Value of a Whale. On the Illusions of Green Capitalism wundert sich Adrienne Buller: Wie kann es sein, dass wir trotz unseres Wissens über die Klimakrise dem Abgrund immer näher kommen?
Die Antwort der Wissenschaftlerin: Unser kapitalistisches Wirtschaftssystem mag sich zwar einen grünen Anstrich verpasst haben, unter dem sogar die größten CO₂-Schleudern in Naturschutzprojekte investieren. Doch was, wenn all das nichts anderes ist als Augenwischerei? Dem Freitag hat sie verraten, welche Alternative es gibt.
der Freitag: Frau Buller, der Internationale Währungsfonds hat 2019 den Wert eines Wales auf zwei Millionen Dollar geschätzt. Wenn ich mir den Namen Ihres Buches ansehe: Das hat Sie ziemlich wütend gemacht, oder?
Adrienne Bull
: Das hat Sie ziemlich wütend gemacht, oder?Adrienne Buller: Wütend ist nicht das richtige Wort. Aber es hat mich überrascht und verwirrt. Klar ist der Titel des Buches eine Antwort auf die IWF-Studie. Darin versuchen die Forscher die wirtschaftlichen Argumente für den Schutz von Walen darzulegen. Sie haben sich vor Augen geführt, dass Wale in ihren 60 Lebensjahren etwa 33 Tonnen CO₂ absorbieren – das ist pro Pfund mehr als ein Baum. Sie rechneten auch den Ökotourismus mit ein, also Whale-Watching-Tours – so kamen sie schließlich zu einem Preisschild für Wale.Ist das dieser viel beschworene grüne Kapitalismus?Für mich fasst dieses Beispiel perfekt die Logik des grünen Kapitalismus und der marktwirtschaftlichen Ansätze zur Bewältigung der Klimakrise zusammen. Denn die können sich nur mit Dingen beschäftigen, die einen Preis haben.Was ist grüner Kapitalismus?Oh, dazu muss ich ein wenig etwas über meine Motivation sagen, warum ich das Buch überhaupt geschrieben habe. Meine Beobachtung war folgende: Es gibt eine Verschiebung bei den globalen Akteuren, wie sie mit Umweltproblemen umgehen. Große Unternehmen, die fossile Industrie und, ja, sogar konservative Regierungen leugnen den Klimawandel heute in den allermeisten Fällen nicht mehr. Vielmehr versuchen sie, die Dekarbonisierung so hinzukriegen, dass sich am bestehenden Wirtschaftssystem so wenig wie möglich verändert. Den Übergangsprozess so zu gestalten, dass sie neue Wege für Profite finden.Der Wirtschaftswissenschaftler William Nordhaus hat 2018 in seiner Nobelpreis-Rede gesagt, der „optimale“ Kompromiss zwischen ökonomischen Interessen und dem Klima sei eine Erderwärmung von vier Grad Celsius. Ist es nicht legitim, einen Ausgleich zu suchen zwischen Industrie und Ökologie?Ich denke, das ist eine andere Frage als die, ob vier Grad Erwärmung je optimal sein können! (lacht) Die meisten wissen, welch katastrophalen Folgen eine globale Erwärmung von vier Grad hätte – die Wissenschaft ist da ziemlich eindeutig. Aber die Arbeit von Nordhaus gibt einen Einblick in die Logik des grünen Kapitalismus. Nordhaus leugnet nicht die Wissenschaft des Klimawandels. Im Gegenteil, er versucht den Klimawandel durch eine ganz bestimmte Brille zu sehen: die der Mainstream-Ökonomie. Das DICE-Modell, für das er den Nobelpreis erhielt, steht für Dynamic Integrated Climate-Economy…. und macht was?DICE versucht zu erfassen, wie sich der Klimawandel auf das globale Bruttoinlandsprodukt auswirken wird. Interessanterweise räumt Nordhaus selbst ein, dass das Modell erhebliche Schwächen hat: Klar kann man modellieren, wie Temperatur und Meeresspiegel ansteigen werden und welche Folgen das für die Wirtschaft haben wird. Aber was ist mit stochastischen Unwägbarkeiten wie Naturkatastrophen und Kipppunkten? Die Folgen der Letzteren sind schwer vorherzusagen.Obwohl er selbst nicht weiß, was die Folgen sein werden, plädiert Nordhaus für eine Erwärmung von vier Grad?Na ja, ich glaube schon, dass er aufrichtig versucht zu verstehen, wie die Wirtschaft mit der ökologischen Krise umgehen soll. Aber ich glaube auch, dass Kosten-Nutzen-Analysen und Modelle, welche die Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt untersuchen, die Komplexität der Klima- und Umweltkrise nicht gut widerspiegeln. Zumal das BIP ein schlechter Indikator für Wohlstand ist …Placeholder infobox-1Wie akut ist die Klimakrise aus Ihrer Sicht?Es gibt zwei Hauptprobleme. Da sind zum einen die Kipppunkte, der Zusammenbruch des Grönland-Eises zum Beispiel. Zum anderen ist das Risiko wirklich katastrophaler Folgen nicht bei null. Das Klima wird oft so dargestellt: Wir sind jetzt bei 1,1 Grad, also haben wir Zeit bis 1,5 oder zwei Grad – erst dann überschreiten wir eine Schwelle und es wird ernst. Die Realität ist komplexer und für uns viel schwieriger vorherzusagen.Die Wirtschaft kann doch dabei helfen, das Klima zu schützen – mithilfe einer CO₂-Steuer.Ich würde sagen, am besten wird meine Sicht auf dieses Thema durch ein Zitat der Wirtschaftswissenschaftler Eric Lonergan und Corinne Sawers ausgedrückt. Die beiden haben es in einem kürzlich erschienenen Paper so formuliert: Befürworter der Kohlenstoffpreisgestaltung als ultimativer Lösung lesen aus dem „wrong chapter of the textbook“ vor, dem falschen Kapitel des Lehrbuchs.Was soll das denn heißen?Die Idee eines Kohlenstoffpreises ist doch folgende: Die unsichtbare Hand des Marktes wird schon in der Lage sein, Kohlenstoffemissionen aus der Wirtschaft zu eliminieren – solange der Preis stimmt! Das Problem ist, dass diese Idee die Trägheit unserer auf fossilen Brennstoffen basierenden Wirtschaft komplett ignoriert.Konkret?Verkehr, Lebensmittel, Energie: Dies sind alles lebenswichtige Sektoren, die auf fossile Brennstoffe angewiesen sind. In vielen Fällen und für viele Menschen, vor allem für die Ärmsten, ist es einfach nicht möglich, den Schalter einfach auf grüne Alternativen umzulegen. Einen Weg zu finden, diese Sektoren zu dekarbonisieren, ohne große wirtschaftliche Turbulenzen zu verursachen, erfordert eine sorgfältige Planung und Strategie. Die Grundlagen unserer Wirtschaft müssen völlig neu organisiert werden. Ein Kohlenstoffpreis ist aber nicht für eine solche Systemtransformation gedacht.Wann ist er denn sinnvoll?Erst gegen Ende der Dekarbonisierung, wenn die Menschen die Möglichkeit haben, auf fossilfreie Alternativen umzusteigen und dazu ermutigt werden müssen.Was ist mit dem Europäischen Emissionshandel, dem ETS? Da gibt die EU eine bestimmte Anzahl an Zertifikaten raus, welche die Gesamtmenge des CO₂ darstellen, das ausgestoßen werden darf. Diese Zertifikate werden dann am Markt gehandelt.Das ETS klingt großartig …Ja, seit 2008 wurden in den betroffenen Branchen 40 Prozent CO₂ eingespart…. bis man sich seine Gesamtauswirkungen genauer ansieht. Die kanadische Politikwissenschaftlerin Jessica Green hat alle vorhandenen Studien untersucht, die sich mit der Wirksamkeit bestehender Kohlenstoffpreismechanismen in der ganzen Welt befassen. Das kollektive Ergebnis dieser Studien deutet darauf hin, dass das ETS-System die Gesamtemissionen in der Europäischen Union seit seiner Einführung vor 15 Jahren um null bis zwei Prozent pro Jahr gesenkt hat. Und das, obwohl die von ihm erfassten Industriezweige tatsächlich Einsparungen vorgenommen haben. Der vielleicht wichtigste Punkt: Die Studien zeigen, dass ein Großteil der Senkungen, die den 40 Prozent zugrunde liegen, nicht auf eine dauerhafte Umstellung auf saubere Energie oder auf Innovation zurückzuführen ist. Vielmehr handelt es sich dabei nur um eine Umstellung von Kohle auf Gas.Das französische Unternehmen TotalEnergies hat vor einigen Jahren 600.000 Dollar für ein Waldbewirtschaftungsprojekt in Simbabwe ausgegeben. Die Industrie ist grüner als gedacht?Schönes Beispiel! (lacht) Eine Untersuchung von Bloomberg befasste sich mit einem LNG-Geschäft im Wert von 17 Millionen Dollar. Damals bezahlte Total eine Organisation in Simbabwe dafür, das Unterholz eines Waldes zu roden – in der Annahme, dass dadurch die Wahrscheinlichkeit von Bränden verringert würde. Dadurch konnte die Lieferung teilweise als kohlenstoffneutral eingestuft werden, da die Investition ja einen Wald in Simbabwe vor dem Ausbrennen bewahrt hatte! Ich denke, es ist ziemlich offensichtlich, dass die Logik hier fragwürdig ist. Weil ja völlig unklar ist, ob es dort jemals ein Feuer gegeben hätte – mit oder ohne Rodung des Unterholzes. Es gibt also ein echtes Problem mit dem Markt für Emissionsausgleiche: Er dient oft als Feigenblatt für fossile Unternehmen, um ihre schmutzigen Geschäfte unter grüner Flagge fortzusetzen.Gibt es keine gesetzlichen Vorgaben für CO₂-Kompensationen?Dies ist eine der vielen Schwierigkeiten des explodierenden Kompensationsmarkts: Er wurde fast vollständig sich selbst überlassen. Dadurch bestehen diese Probleme fort, Total ist nur ein Beispiel unter vielen. Die Herausforderung für das Erreichen der globalen Nettonull ist es, so viele unserer Emissionen wie möglich zu eliminieren – anstatt sie mithile von obskuren Projekten zu verschleiern.Nicht alle Branchen können zukünftig auf CO₂ verzichten. Dürfen die nichts kompensieren?Die Landwirtschaft ist ein Beispiel, ja. Aber wirklich kohlenstofffreie Emissionen sind kein realisierbarer Plan – der entscheidende Punkt ist, dass „Net-Zero“nicht als Deckmantel für die Nichtreduzierung von Emissionen verwendet werden sollte. Wir müssen Kompensationen für diese Rest-Emissionen reservieren, wenn dies absolut notwendig ist – und nicht als Ausrede für business as usual.Placeholder authorbio-1